»Tatort« Berlin: Wohnungsnot und ein Sturz vom Balkon
»Die dritte Haut«
In (heute im ORF) geht es um Immobilienwucher und Zwangsräumung. Ein Thema, das Berlin derzeit schmerzlich beschäftigt. Der neue »Tatort« ist auch sonst hochaktuell – von Kommissaren, die Mund-Nasen-Schutz tragen, bis zum klimaneutralen Dreh.
Als sie kommen, ist es noch dunkel. Draußen ist es kalt. Otto Wagner und seine kleine Familie haben noch nicht einmal ihre Sachen gepackt – trotzdem werden sie delogiert. Eine Zwangsräumung wie so viele in Berlin, wo Investoren die Immobilienpreise in schwindelnde Höhen treiben. Es ist eine kalte Atmosphäre, die einem in diesem „Tatort“(6. 6., 20.15 Uhr, ORF2 und ARD) entgegenschlägt: Ein ganzes Mietshaus soll geräumt, renoviert und die Wohnungen dann viel teurer vergeben werden. „Wir renovieren für Sie“, steht auf einer Glastür. Aus der Perspektive der Betroffenen wirkt das zynisch. Es sind kleine Kinder, alleinerziehende Mütter und eine alte Dame darunter, die seit Jahrzehnten hier lebt und die Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann hegt. Als dann der Juniorchef der Immobilienfirma aus einem der oberen Stockwerke stürzt, gibt es mehr als nur einen Verdächtigen . . .
Würden wir für eine Wohnung töten? „Wer in Berlin wohnt, kommt um das Thema Mieten gar nicht herum“, sagt Drehbuchautorin Katrin Bühlig („Die
Kinder der Toten“). Zuletzt hat sich die Lage zugespitzt. Erst am Pfingstsonntag haben in Berlin wieder Tausende gegen den „Mietwahnsinn“demonstriert, manche fordern bei solchen Gelegenheiten sogar die Enteignung großer Immobilienfirmen. Es geht ein Riss durch die Gesellschaft, der sich auch im Film zieht. „Hier im Kietz kriegt der keine Wohnung mehr“, sagt ein junger
Schrecksekunde für Nina Rubin (Meret Becker): Kollege Robert Karow (Mark Waschke) stellt den Tathergang nach.
Blogger, der die Zwangsräumung gleich online stellt, zu den Ermittlern. „Da wohnen künftig nur noch Leute wie sie.“In den Nachrichten habe sie gesehen, wie sich mehr als 800 Leute bei einer Wohnungsbesichtigung am Prenzlauer Berg drängelten, erzählt Autorin Bühlig. „Da war mir sofort klar, dass das Thema auch ein ,Tatort‘-Thema ist. Würden wir für eine bezahlbare Wohnung töten?“
Geschichte Deutschlands abbilden. In „Die dritte Haut“ermitteln Mark Waschke als Kommissar Robert Karow und Meret Becker als seine Kollegin Nina Rubin mit Mund-Nasen-Schutz. Dass die Masken vor der Kamera nicht abgenommen werden, unterstreicht die dokumentarische Note, die Regisseur Norbert ter Hall in diesem Fall so wichtig ist. Für ihn erzählt jede „Tatort“-Episode auch einen Teil der Geschichte Deutschlands. Deshalb wollte er diesmal die Corona-Maßnahmen eine Rolle spielen lassen. „So wird diese Episode auch zu einem Andenken an eine Zeit, die sich hoffentlich bald wieder ändern wird“, sagt ter Hall. Er habe versucht, das tägliche Leben in Berlin so weit wie möglich in die Geschichte zu integrieren, die Grenze zwischen Fiktion und Realität zu verwischen. „Viele Obdachlose in unserer Geschichte leben tatsächlich auf der Straße“, sagt er. In kurzen Einspielern sieht man Gesichter und Statements, die mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun haben. Es ist ein ungewöhnliches Stilmittel für einen „Tatort“. Der Film wurde laut ARD nach den Kriterien für „Green Producing“produziert – mit Ökostrom, dem Einsatz von E-Fahrzeugen und der Unterbringung der Mitwirkenden in Hotels, die nach ökologischen Kriterien ausgesucht werden. Auch das ein Zeichen der Zeit. „Die dritte Haut“ist der dreizehnte gemeinsame „Tatort“der Ermittler Karow und Rubin – und einer ihrer letzten. Denn Meret Becker hat ihren Rückzug aus der Krimireihe für 2022 angekündigt. Zwei Filme noch, dann ist Schluss. Man wird sehen, was sich die Drehbuchautoren zum Abgang der Nina Rubin einfallen lassen. Der Sturz vom Balkon (siehe Bild) geht jedenfalls glimpflich aus.