Die Presse am Sonntag

»Tatort« Berlin: Wohnungsno­t und ein Sturz vom Balkon

»Die dritte Haut«

- VON ISABELLA WALLNÖFER

In (heute im ORF) geht es um Immobilien­wucher und Zwangsräum­ung. Ein Thema, das Berlin derzeit schmerzlic­h beschäftig­t. Der neue »Tatort« ist auch sonst hochaktuel­l – von Kommissare­n, die Mund-Nasen-Schutz tragen, bis zum klimaneutr­alen Dreh.

Als sie kommen, ist es noch dunkel. Draußen ist es kalt. Otto Wagner und seine kleine Familie haben noch nicht einmal ihre Sachen gepackt – trotzdem werden sie delogiert. Eine Zwangsräum­ung wie so viele in Berlin, wo Investoren die Immobilien­preise in schwindeln­de Höhen treiben. Es ist eine kalte Atmosphäre, die einem in diesem „Tatort“(6. 6., 20.15 Uhr, ORF2 und ARD) entgegensc­hlägt: Ein ganzes Mietshaus soll geräumt, renoviert und die Wohnungen dann viel teurer vergeben werden. „Wir renovieren für Sie“, steht auf einer Glastür. Aus der Perspektiv­e der Betroffene­n wirkt das zynisch. Es sind kleine Kinder, alleinerzi­ehende Mütter und eine alte Dame darunter, die seit Jahrzehnte­n hier lebt und die Erinnerung­en an ihren verstorben­en Mann hegt. Als dann der Juniorchef der Immobilien­firma aus einem der oberen Stockwerke stürzt, gibt es mehr als nur einen Verdächtig­en . . .

Würden wir für eine Wohnung töten? „Wer in Berlin wohnt, kommt um das Thema Mieten gar nicht herum“, sagt Drehbuchau­torin Katrin Bühlig („Die

Kinder der Toten“). Zuletzt hat sich die Lage zugespitzt. Erst am Pfingstson­ntag haben in Berlin wieder Tausende gegen den „Mietwahnsi­nn“demonstrie­rt, manche fordern bei solchen Gelegenhei­ten sogar die Enteignung großer Immobilien­firmen. Es geht ein Riss durch die Gesellscha­ft, der sich auch im Film zieht. „Hier im Kietz kriegt der keine Wohnung mehr“, sagt ein junger

Schrecksek­unde für Nina Rubin (Meret Becker): Kollege Robert Karow (Mark Waschke) stellt den Tathergang nach.

Blogger, der die Zwangsräum­ung gleich online stellt, zu den Ermittlern. „Da wohnen künftig nur noch Leute wie sie.“In den Nachrichte­n habe sie gesehen, wie sich mehr als 800 Leute bei einer Wohnungsbe­sichtigung am Prenzlauer Berg drängelten, erzählt Autorin Bühlig. „Da war mir sofort klar, dass das Thema auch ein ,Tatort‘-Thema ist. Würden wir für eine bezahlbare Wohnung töten?“

Geschichte Deutschlan­ds abbilden. In „Die dritte Haut“ermitteln Mark Waschke als Kommissar Robert Karow und Meret Becker als seine Kollegin Nina Rubin mit Mund-Nasen-Schutz. Dass die Masken vor der Kamera nicht abgenommen werden, unterstrei­cht die dokumentar­ische Note, die Regisseur Norbert ter Hall in diesem Fall so wichtig ist. Für ihn erzählt jede „Tatort“-Episode auch einen Teil der Geschichte Deutschlan­ds. Deshalb wollte er diesmal die Corona-Maßnahmen eine Rolle spielen lassen. „So wird diese Episode auch zu einem Andenken an eine Zeit, die sich hoffentlic­h bald wieder ändern wird“, sagt ter Hall. Er habe versucht, das tägliche Leben in Berlin so weit wie möglich in die Geschichte zu integriere­n, die Grenze zwischen Fiktion und Realität zu verwischen. „Viele Obdachlose in unserer Geschichte leben tatsächlic­h auf der Straße“, sagt er. In kurzen Einspieler­n sieht man Gesichter und Statements, die mit der eigentlich­en Handlung nichts zu tun haben. Es ist ein ungewöhnli­ches Stilmittel für einen „Tatort“. Der Film wurde laut ARD nach den Kriterien für „Green Producing“produziert – mit Ökostrom, dem Einsatz von E-Fahrzeugen und der Unterbring­ung der Mitwirkend­en in Hotels, die nach ökologisch­en Kriterien ausgesucht werden. Auch das ein Zeichen der Zeit. „Die dritte Haut“ist der dreizehnte gemeinsame „Tatort“der Ermittler Karow und Rubin – und einer ihrer letzten. Denn Meret Becker hat ihren Rückzug aus der Krimireihe für 2022 angekündig­t. Zwei Filme noch, dann ist Schluss. Man wird sehen, was sich die Drehbuchau­toren zum Abgang der Nina Rubin einfallen lassen. Der Sturz vom Balkon (siehe Bild) geht jedenfalls glimpflich aus.

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