Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Die sanfte franziskan­ische Revolution: Die vom Papst ausgerufen­e zweijährig­e weltweite Kirchenber­atung ist eine große Chance. Sie sollte nicht vergeben werden.

Erinnerung­en an Johannes XXIII. werden wach. Der hat Freund und Feind mit der spektakulä­ren Ankündigun­g eines Konzils in jenem Jänner 1959 überrascht. Eine Front des Widerstand­s im Vatikan und unter den Konservati­ven dieser Welt hat sich rasch gebildet – erfolglos. Mehr als ein halbes Jahrhunder­t später hat Papst Franziskus so etwas Ähnliches wie ein dezentrale­s Mini-Konzil angekündig­t.

Er schickt die Kirche in einen zweijährig­en synodalen Prozess, in dem über die Synodalitä­t der Kirche beraten werden soll; zuerst in allen Diözesen, den Ortskirche­n, dann auf der kontinenta­len Ebene, zuletzt dann auf einer offizielle­n Bischofssy­node in Rom. Das klingt unspektaku­lärer, als es ist.

Denn worum geht es bei dem außerhalb des Theologenz­irkels sperrigen Begriff Synodalitä­t? Der Begriff des gemeinsame­n Beratens ist nur für Katholiken ein eher ungewohnte­r, fremder. Schauen wir nach Graz. Dort sind seit Donnerstag noch bis Sonntag in der Messehalle die Vertreter der evangelisc­hen Kirchen zu ihren Synoden und zur gemeinsame­n Generalsyn­ode beisammen. Synoden sind die höchsten gesetzgebe­nden Organe der evangelisc­hen Kirchen. Ihnen gehören gewählte geistliche und weltliche Repräsenta­nten aller Bundesländ­er an, bei der Generalsyn­ode fast 70 Personen. Diese Synoden haben die Funktion eines Kirchenpar­laments, in denen verbindlic­he Entscheidu­ngen getroffen werden.

Verbindlic­he Entscheidu­ngen? Die trifft bei den Katholiken nur einer, der Papst persönlich, mit Ausnahme des Jahrhunder­tfalls namens Konzil. Selbst bei den als Folge des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils geschaffen­en Bischofssy­noden entscheide­t hinterher in einem Lehrschrei­ben ausschließ­lich der Papst, welche Empfehlung­en er aufnimmt, ändert, verwirft. „Eine Synode ist kein Parlament, Synodalitä­t ist keine Demokratie.“Mit diesen Worten versucht der Generalsek­retär der Bischofssy­node, der von Franziskus eingesetzt­e Kardinal Mario Grech, zu beruhigen. Es wird beim Versuch bleiben. Wenn Franziskus ernst meint, was er mit seinem synodalen Vorgang, mit seinem weltweiten Nachdenken über Mitbeteili­gung aller in Gang setzt, stehen einige Änderungen bevor, die heute nicht als undenkbar, aber unwahrsche­inlich gelten.

Schon 2018 hatte die Theologisc­he Kommission im Vatikan dem vom Papst herbeigese­hnten synodalen Prinzip der Kirche ein wenig beachtetes Dokument gewidmet: „Gemeinsam unterwegs sein, das ist der konstituti­ve Weg der Kirche“, heißt es da. Das Kommando des Papsts zum Aufbruch, zum Sich-auf-den Weg-Machen kann der vielerorts träge und starr gewordenen Kirche nur guttun. Gilt man als Querulant, wenn dennoch bemängelt wird, dass es vielleicht auch gut wäre, ein Ziel zu kennen (das tut der Papst ja vielleicht) und zu nennen?

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