Der Stabilen
sein muss. Anders als in Österreich herrschte vor dem Parteitag Nervosität - vorerst blieb der Aufstand der linken Basis aus. Der vielleicht heikelste Antrag auf dem Parteitag wurde abgelehnt. Er zielte darauf ab, den CO2-Preis nicht auf 60 Euro pro Tonne im Jahr 2023 sondern auf 80 Euro im Jahr 2022 zu erhöhen. Das dürfte einer Mehrheit der Deutschen schwer vermittelbar sein. Rückenstärkung gab es auch für
Die grüne Linie ist bei Kurz unklar: Er soll zurücktreten, wenn er wegen Falschaussage vor dem U-Ausschuss verurteilt wird. Aber noch nicht, wenn es zur Anklage kommt? Jetzt ist erst einmal die Zeit dafür, dass die Ermittler in aller Ruhe belastende oder entlastende Beweise sammeln. Aber es gibt Grenzen der Amtsfähigkeit. Ein verurteilter Bundeskanzler ist jedenfalls nicht vorstellbar.
Nina Tomaselli: „Der Ibiza-Untersuchungsausschuss ist einer der erfolgreichsten überhaupt.“
Ihr Buch „Die Selbstgerechten“geriet zur Abrechnung mit Identitätspolitik und dem Kurs Ihrer eigenen Partei. Im Vorwort schreiben Sie, dass Sie damit rechnen, dass Sie nun „gecancelt werden könnten“. Wurden Sie inzwischen „gecancelt“?
Sahra Wagenknecht: Nicht in dem Sinn, dass ich sozial vernichtet wurde. Denn darum geht es in der Cancel Culture ja: Professoren und Journalisten wurden wegen unliebsamer Meinungen entlassen. Bei einer Abgeordneten ist das schwieriger. Aber manche Debatten um mein Buch haben meine Thesen leider sehr bestätigt. Es ging zum Teil nicht um Argumente, sondern nur noch darum, mich in die rechte Ecke zu stellen. Und dort gehöre ich natürlich nicht hin.
Die rechte AfD sieht das anders. Sie hat im Wahlkampf in Sachsen-Anhalt – offenbar erfolgreich – mit Ihrem Konterfei geworben. Das war eine besonders perfide Art der Wählertäuschung. Ich bin juristisch dagegen vorgegangen.
Vielleicht werden Sie noch von Ihrer eigenen Partei „gecancelt“. Mehrere Genossen werfen Ihnen vor, der Partei mit Ihrem Buch „schweren Schaden“zugefügt zu haben, und beantragten Ihren Parteiausschluss.
Das haben nach meiner Kenntnis drei Mitglieder beantragt. In jeder Partei kann jedes Mitglied solche Anträge stellen. Ich mache mir keine Sorgen, wie das Verfahren ausgehen wird.
Falls es anders kommt, stünden Ihnen in der SPÖ Burgenland wohl die Türen offen. Haben Sie schon von Hans Peter Doskozil gehört?
Also ich bin sehr gern in der Linkspartei und auch keine Österreicherin.
Worauf die Frage abzielt: Der kleine Landesverband in Österreich setzt auf eine Melange aus linker Sozialpolitik und restriktiver Migrationspolitik. Das müsste Ihnen gefallen. Es geht mir nicht allein um eine andere Migrationspolitik. Linke Parteien müssen endlich wieder an die Lebensrealität der Mehrheitsgesellschaft anknüpfen, statt dieser Mehrheit ständig zu erklären, wie sie denken und wie sie reden soll. Diese oberlehrerhafte Attitüde wird heute mit linken Parteien verbunden. Deshalb wenden sich viele ab.
Im Mittelpunkt Ihrer Kritik steht der sogenannte „Lifestyle-Linke“. Was stört Sie am linksliberalen Großstädter eigentlich?
Nicht jeder akademisch gebildete Großstädter ist ein Lifestyle-Linker. Was den Lifestyle-Linken auszeichnet, ist die als Moral getarnte Verachtung von Menschen, die anders leben, auch weil sie sich vieles vielleicht gar nicht leisten könnten: Bio-Produkte etwa, oder einen smarten Tesla oder die Wohnung in der Innenstadt, von der aus man tatsächlich viele Wege mit dem Fahrrad erledigen kann. Wer sein Fleisch beim Diskonter kauft oder mit dem Benziner-Mittelklasse-Wagen herumfährt, wird moralisch verächtlich gemacht. Mich stört die Arroganz, mit der Lifestyle-Linke ihre persönlichen Privilegien für Tugenden halten. Der Lifestyle-Linke belehrt gern andere, dass Migration immer eine Bereicherung sei, ohne jemals in einer Gegend gewohnt zu haben, in der es kulturelle Konflikte an Schulen gibt oder einen Mangel an Sozialwohnungen. Er will nicht wahrhaben, dass viele Menschen unter ganz anderen, viel schwierigeren Bedingungen leben als er.
Sie kritisieren auch eine linksliberale Identitätspolitik: Immer kleinere „skurrile Minderheiten“hätten den Anspruch, „ein Opfer zu sein“. Das ist harter Tobak. Haben Sie ein Beispiel für eine „skurrile Minderheit“? Leute, die die Gendertheorie vertreten und allen Ernstes dem Rest der Gesellschaft erklären wollen, dass es keine biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt, und die daraus hochproblematische politische Forderungen ableiten. Jeder soll am Amt sein selbst gewähltes Geschlecht nennen und jederzeit verändern können. Dann gäbe es bald keinen Frauensport und auch keine Frauenhäuser mehr. Eine andere bemerkenswerte Minderheit sind Leute, die Antirassismus so verstehen, dass jeder Mensch mit weißer Hautfarbe zwangsläufig ein Rassist ist und sein Leben lang Buße tun muss. Das Schlimme ist, dass solche Debatten mit dem Label „links“versehen werden. Das ist aus meiner Sicht zwar überhaupt nicht links. Aber die Menschen verbinden es mit uns und wenden sich ab.
Ein Vorwurf lautet, dass Sie mit Extrembeispielen Minderheitenpolitik und Sozialpolitik gegeneinander ausspielen und einen Gegensatz konstruieren, wo keiner sei.
Es war immer Teil der linken Forderungen, Diskriminierung zu verhindern. Dass Frauen noch immer schlechter verdienen als Männer und in Deutschland in den riesigen Niedriglohnsektor abgedrängt werden, ist ein Skandal. Dagegen muss man sich wenden, auch dagegen, dass jemand mit arabischem Namen schwerer eine Wohnung findet. Aber der Identitätspolitik geht es nicht darum, reale Ungleichheit zu überwinden, sondern um Symbolpolitik. Der Kampf gegen das generische Maskulinum oder für Gendersternchen verbessert
Sahra Wagenknecht will die „Heuchelei“in der Klimaschutzpolitik beenden.
Sahra Wagenknecht (51) tritt bei der Bundestagswahl als Spitzenkandidatin der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen an. Von 2015 bis zu einem Burn-out 2019 führte sie die Fraktion im Bundestag. Intern ist sie umstritten. 2019 wies sie eine einzelne Umfrage aber als beliebteste Politikerin des Landes aus.
Wagenknecht wuchs in der DDR auf, ihr Vater stammt aus dem Iran. Sie ist mit Oskar Lafontaine (77) verheiratet, der ExSPD-Kanzlerkandidat führt heute die LinkeFraktion im Saarland.
Zuletzt erschien im Campus-Verlag Wagenknechts Buch „Die Selbstgerechten“. die reale Lebenssituation der Frauen nicht im Geringsten.
Sie halten den Linksliberalismus auch nicht für links. Sondern für eine Spielart des Neoliberalismus. Das müssen Sie erklären. Beide, Links- und Neoliberalismus, folgen ähnlichen Werten. „Kosmopolitismus“zum Beispiel klingt erstmals schön: „Wir brauchen keine Nationalstaaten mehr. Wir fühlen uns alle als Weltbürger.“Aber die Realität ist, dass Sozialstaaten nur im Rahmen der Nationalstaaten existieren. Wenn Entscheidungen und Umverteilungen von den Nationalstaaten auf die europäische Ebene verlagert würden, würde das einen radikalen Sozialabbau bedeuten, weil die Menschen eine europäische Transferunion niemals in derselben Dimension akzeptieren würden wie im nationalen Maßstab. Das „WirGefühl“ist auf nationaler Ebene einfach stärker, die meisten fühlen sich in erster Linie als Bürger ihres Landes. Für Unternehmen ist der Linksliberalismus übrigens auch ein schönes Alibi.
Inwiefern?
Damit lässt sich das Image kostenfrei auf progressiv trimmen. Der Konzern Blackstone zum Beispiel kauft Firmen auf, wirft Teile der Belegschaft raus, erhöht die Rendite und verkauft sie wieder. Eine Heuschrecke. Blackstone hat vor einiger Zeit unter Applaus erklärt, sie setzen jetzt auf Diversity. In den Vorständen der Firmen, die sie übernehmen, darf nur noch jeder Dritte ein weißer Mann sein. An dem Geschäftsmodell ändert sich aber gar nichts. Es sind dann halt in Zukunft mehrheitlich Frauen oder Männer dunkler Hautfarbe, die die Arbeitsplätze vernichten.
Könnte der Niedergang linker Parteien nicht auch damit zu tun haben, dass Ihr zentrales Thema kaum zündet: Laut Forschungsgruppe Wahlen halten nur sechs Prozent das soziale Gefälle für ein „wichtiges Problem“.
Da kenne ich andere Umfragen. Natürlich ist die Frage sozialer Gerechtigkeit für ganz viele Menschen ein zentrales Thema. Aber viele, denen es weniger gut geht, haben keine Hoffnung mehr, dass Politiker sich wirklich für ihre Interessen einsetzen könnten. Sie fühlen sich von niemandem mehr vertreten und wählen gar nicht mehr.
Ihre Linkspartei trommelt doch Umverteilung auf allen Kanälen. Das Wahlprogramm dreht sich um höhere Löhne und höhere Renten. Trotzdem steht die Linke nur bei sechs, sieben Prozent in den Umfragen.
Die wenigsten Menschen lesen Wahlprogramme, es geht um die Themen, die öffentlich gesetzt werden, und um Ausstrahlung und Image. Umverteilung ist außerdem ein Begriff, mit dem viele Menschen nicht allzu viel anfangen können. Sie denken, dass sie selbst dann höhere Steuern zahlen müssten und nicht die Reichen.
Wenn Sie das Patentrezept für eine erfolgreiche Linke gefunden hätten, dann wäre doch Ihre linke Sammlungsbewegung „Aufstehen“kein Rohrkrepierer geworden. „Aufstehen“hatte binnen kurzer Zeit 170.000 Mitglieder, mehr als die meisten Parteien in Deutschland. Das Problem war: Viele, die bei „Aufstehen“mitgemacht hatten, wünschten sich, dass wir eine neue Partei daraus machen. Genau das hatte ich aber im Vorfeld ausgeschlossen. Aufstehen sollte SPD und Linke verändern, nicht ihnen als weitere Partei Konkurrenz machen. Das ist uns nicht gelungen, den Vorständen dieser Parteien war die Bewegung egal. Das Ergebnis: Der Niedergang der zwei linken Parteien in Deutschland hat sich fortgesetzt, während die dänische Sozialdemokratie mit einem ähnlichen Kurs, wie er uns vorschwebte, die Rechte pulverisierte: Die machen dort eine sehr couragierte Sozialpolitik und eine gute Klimapolitik. Aber sie nehmen zur Kenntnis, dass Menschen Stabilität und Sicherheit wollen und nur eine begrenzte Migration akzeptieren.
Die Dänen schlagen Asylzentren in Drittländern vor. Halten Sie das für eine gute Idee? Also wenn es nicht dazu führt, dass das Recht auf Asyl ausgehebelt wird, wenn Anträge ernsthaft geprüft werden und Berechtigte dann auch Zugang zu EULändern haben, wüsste ich nicht, was dagegen spricht.
Zurück zum Wahlkampf, der sich viel um Klimaschutz dreht. Kann eine linke Partei bei dem Thema überhaupt etwas gewinnen? Entweder sie verprellt das Großstadtmilieu oder Pendler auf dem Land.
Klimaschutz ist wichtig. Aber linke Parteien müssen die Heuchelei der heutigen Klimadebatte beenden. Die Verteuerung von Heizkosten und Spritpreisen wird als Klimaschutz verkauft. Das ist eine große Lüge. Im ländlichen Raum werden die Menschen auch nach Verdoppelung der Spritpreise mit dem Auto zum Einkaufen oder zum Job fahren, weil sie gar keine Alternative haben. Nur müssen die dafür dann noch mehr bezahlen. Und eine normale Familie wird auch nicht in ein Niedrigenergiehaus mit Wärmepumpe umziehen, weil der Heizölpreis steigt. Das kann sie sich nicht leisten. Auch ein E-Auto ist für viele unerschwinglich.
Blick nach vorne: Wer führt Deutschland im Herbst in die Post-Merkel-Ära?
Es spricht viel dafür, dass es mit Armin Laschet wieder einen CDU-Kanzler geben wird, und die wahrscheinlichste Koalition ist Schwarz-Grün.
Ist die Linke im Herbst noch im Parlament? Davon bin ich überzeugt. Aber wahrscheinlich nicht mit der Stärke, die ich mir wünschen würde.