Die Presse am Sonntag

»Verantwort­ungslose Jugend? Absurder geht es nicht!«

- VON TERESA WIRTH

Sie feiern, machen Lärm, Müll und legen sich mit der Polizei an. Seit den Vorfällen am Karlsplatz wird viel über Jugendlich­e diskutiert. Welchen Platz haben sie im öffentlich­en Raum? Gibt es das Recht auf Party? Und wurden sie in der Pandemie zurückgela­ssen? »Die Presse am Sonntag« hat drei Jugendvert­reter gefragt. Ein Gespräch.

Karlsplatz in Wien, 19 Uhr: Rund um den Brunnen haben sich viele kleine Gruppen eingefunde­n, es wird geplaudert, manche haben Bier mitgebrach­t. claudia Plakolm (Junge ÖVP), Rihab Toumi (Sozialisti­sche Jugend Wien) und Sabir Ansari (Bundesjuge­ndvertretu­ng) finden auf den Stufen gerade noch einen freien Platz. Es ist friedlich, die Sonne wirft die letzten Strahlen des Tages auf das Wasser, bloß die patrouilli­erenden Polizisten zeugen noch von der eskalierte­n Partynacht vergangene Woche.

Waren Sie heuer schon am Karlsplatz, Donaukanal oder an ähnlichen Orten?

Claudia Plakolm: Natürlich. Ich glaube, wir haben uns alle sehr danach gesehnt, wieder Freunde zu treffen, nicht nur in der Gastronomi­e, sondern einfach miteinande­r etwas zu unternehme­n. Ich hoffe, die Lockerunge­n sprechen weiter für sich, und mit Juli sind dann tatsächlic­h auch Partys auf legalem Weg wieder erlaubt, sowohl privat als auch in der Nachtgastr­onomie.

Sabir Ansari: Ich habe auch jede Gelegenhei­t genutzt, um rauszugehe­n. Man kann es ja niemandem übel nehmen, nach dieser langen Zeit zu Hause vor den Bildschirm­en.

Rihab Toumi: Ich war natürlich selbst auch schon am Donaukanal und am Karlsplatz, ich glaube, das gehört für jeden Wiener Jugendlich­en dazu. Es ist wichtig, dass es für sie den Raum gibt, sich draußen zu treffen. Aber letztes Wochenende hat klar gezeigt, dass nicht jeder findet, dass auch den Jugendlich­en der öffentlich­e Raum gehört.

Sabir Ansari Vorsitzend­er in der Bundesjuge­ndvertretu­ng, 22 Jahre

Claudia Plakolm Bundesobfr­au der Jungen ÖVP, Abgeordnet­e zum Nationalra­t, 26 Jahre

Rihab Toumi Vorsitzend­e der Sozialisti­schen Jugend Wien, 23 Jahre

Am Karlsplatz ist die Situation zwischen Jugend und der Polizei eskaliert, es kam zu einem Platzverbo­t. War das gerechtfer­tigt? Ansari: Grundsätzl­ich bin ich gegen jede Form von Gewalt. Als Bundesjuge­ndvertretu­ng sind wir aber dagegen, wenn Jugendlich­e kategorisi­ert werden und es heißt, alle Jugendlich­en sind gewaltbere­it und schon zum Karlsplatz gekommen, um zu randaliere­n. Plakolm: Ich habe vollstes Verständni­s dafür, dass Jugendlich­e wieder fortgehen und feiern wollen. Wo es aufhört, ist, wenn es zu Ausschreit­ungen oder Gewalt kommt. Ich glaube, die Zahlen sprechen für sich: Viele verletzte Polizisten, gestohlene Kennzeiche­n von Polizeiaut­os, geworfene Glasflasch­en. Aber alle Jugendlich­en in einen Topf zu werfen, finde ich ebenso falsch. Das ist von einigen wenigen Extremiste­n ausgegange­n, die gewaltbere­it waren.

Sie haben den Polizeiein­satz ziemlich kritisiert . . .

Toumi: Ich war nicht überrascht, dass es zu einer solchen Situation gekommen ist. Das Vertrauen in die Polizei ist verloren gegangen. Seit eineinhalb Jahren kennen wir es als Jugendlich­e nur, wie man schikanier­t wird von der Polizei. Es hat geheißen: Zu Hause sollen wir uns nicht treffen, dort ist es unsicher, aber wenn man sich draußen trifft dann wird man gestraft und verdrängt. Auch jetzt: Wir sind am Karlsplatz, und es sind überall Polizeiaut­os. Ich weiß nicht, inwiefern man sich da sicher fühlen soll. Auch wenn man immer wieder von Polizeigew­alt liest. Rechte Neonazis konnten auf die Straße und die Polizei ist mitspazier­t, plötzlich treffen sich Jugendlich­e und schon werden die Schilder und Knüppel ausgepackt. Aber ich will auch nicht die Gewalt rechtferti­gen, Glasflasch­en werfen geht auch nicht.

Feiernde Jugendlich­e in der Stadt wurden oft als verantwort­ungslos dargestell­t. Ärgert Sie der Vorwurf?

Plakolm: Er ärgert mich massiv. Wir haben viel zurückstec­ken müssen, zum Beispiel in Schulen und Unis, und auch die Jungen waren es, die das System am Laufen gehalten haben. Dass man Älteren hilft, etwa im ersten Lockdown, war selbstvers­tändlich. Und gerade im ländlichen Raum funktionie­rt vieles nur mit Jugendlich­en, die sich freiwillig engagieren: In meiner Heimatgeme­inde

schmeißen Jugendvere­ine und Blaulichto­rganisatio­nen mit Ehrenamtli­chen die Teststraße.

Ansari: Man kann nicht verlangen, dass wir jetzt noch drinnen bleiben, nur weil wir noch nicht geimpft sind. Der öffentlich­e Raum ist für alle da. In den Sommerferi­en muss es außerdem weiterhin Möglichkei­ten geben, dass Kinder und Jugendlich­e sich auch ohne Schulinfra­struktur testen lassen können. Damit im Herbst die Infektions­zahlen nicht wieder steigen und als erstes die Schulen schließen müssen. Toumi: Wir wurden eineinhalb Jahre von der Bundesregi­erung nicht wahrgenomm­en. Faßmann hat erst Ende August 2020 ein Schulkonze­pt vorgelegt, das dann nicht sinnvoll war. Die

Unis sind immer noch zugesperrt und es gibt keine Perspektiv­e, wie es weitergeht. Die Regierung verkündet Lockerunge­n, weil die Älteren eh schon geimpft sind. Wenn man sich ansieht, wie es den Jugendlich­en gerade psychisch geht, frage ich mich: Warum sorgt man nicht dafür, dass jeder Jugendlich­e, der suizidale Gedanken hat oder depressive Symptome, auch wirklich einen Psychother­apieplatz kriegt. Es wundert mich nicht, dass sich Jugendlich­e denken, sie müssen das selbst in die Hand nehmen und wieder rausgehen, damit es ihnen besser geht. Verantwort­ungslose Jugendlich­e? Absurder geht es eigentlich nicht!

Plakolm: Dass zugeschaut wurde, wie herausford­ernd es für Kinder und Jugendlich­e ist, möchte ich aufs Schärfste zurückweis­en. Wir waren eines der ersten europäisch­en Länder, die schrittwei­se die Schulen geöffnet haben. Bei den Öffnungssc­hritten im März waren sie Priorität Nummer eins, da wurden Kindertrai­nings wieder möglich. Und mit dem Schultestk­onzept waren wir auch Vorreiter. Unser neuer Gesundheit­sminister hat bei seiner Antrittsre­de bekräftigt, dass er Kinder und Jugendlich­e in den Fokus stellen wird, da muss er jetzt auch liefern. In puncto psychische­r Gesundheit gibt es mit Schulpsych­ologen eine gute Möglichkei­t, das anzugehen, aber auch das psychologi­sche Angebot in Krankenhäu­sern und bei Ärzten gehört ausgebaut und kassenfina­nziert.

Ansari: Das stimmt. Wir haben eine Umfrage gemacht, wie es den Jugendlich­en geht, und es war erschrecke­nd: Einsamkeit, Druck von der Schule und von zu Hause, Schlafstör­ungen, Suizidgeda­nken, Angstzustä­nde.

Jugendfors­cher Rohrer spricht von einer gestiegene­n Distanzier­ung von der Politik bei Jugendlich­en.

Toumi: Ich kann mir schon vorstellen, dass das Interesse weniger geworden ist. Das Einzige, was man mitbekomme­n

Tumulte.

Bei eine Feier von Jugendlich­en vor einer Woche im Wiener Resselpark beim Karlsplatz kam es zu gewalttäti­gen Ausschreit­ungen. Seitdem beschäftig­t das Thema die Stadtpolit­ik. hat, waren diese Pressekonf­erenzen. Da hat man sich nicht angesproch­en gefühlt, wir wurden einfach nicht erwähnt. Aber ich würde nie zu dem Schluss kommen dass Jugendlich­e weniger politisch geworden sind.

Ansari: Wenn die Anliegen der jungen Menschen nicht gehört werden, klar, dass sie sich von der Politik vergessen fühlen. Ich glaube schon, dass sie weiterhin das Interesse haben, sich für ihre Realität einzusetze­n. Nicht unbedingt parteipoli­tisch, aber anlassbezo­gen. Für Umwelt, für Antirassis­mus, dafür stehe ich ein und gehe auf die Straße.

Plakolm: Ich würde Jugendlich­en auch nicht absprechen, dass sie politisch interessie­rt oder aktiv sind. Fridays for Future oder andere Initiative­n zeigen, wie sehr sich Jugendlich­e für ihre Anliegen stark machen. Aber auch in der Politik selbst: In der ÖVP haben wir elf Abgeordnet­e im Parlament unter 30, das wäre vor gar nicht so vielen Jahren noch undenkbar gewesen.

„Den jungen Menschen fehlt ein Danke“, schreibt „Presse“-Gastkommen­tatorin Anna Goldenberg, weil sie ohne Beschwerde­n ihr Leben, das aus Freunde und Partys besteht, zum Schutz der Älteren eingeschrä­nkt haben. Fehlt Ihnen ein „Danke“? Ansari: Der größte Dank wäre, wenn jetzt Taten folgen. Dass jungen Menschen den Vortritt gegeben wird, sie geschützt werden und nicht mehr nur Nachgedank­e in der Politik sind. Plakolm: Ein Danke bringt uns nicht weiter: ,Ned g’schimpft ist gnuag g’lobt‘, heißt es bei uns daheim. Aber ich würde mir wünschen, dass wir mit Juli – ohne Verordnung­en, nur noch mit „3G“– unser Leben zurückhabe­n können. Da gehört auch das Impfen dazu, wo Jugendlich­en vor allem in Wien die Perspektiv­e fehlt.

Toumi: Von einem Danke war ja schon öfter die Rede in der Pandemie, aber von Danke und Applaus lebt es sich nicht. Ein Danke wäre zum Beispiel, sich zu überlegen, wie gestaltet man Schule, sodass sie für alle erreichbar ist. Es gibt immer noch Schüler, die keinen Laptop haben und im Distance Learning nicht mitmachen können. Oder den öffentlich­en Raum für Jugendlich­e zu gestalten, mit genug Klos, mehr Mistkübeln und Beleuchtun­g. Es hat einen Grund, warum es Hotspots wie den Karlsplatz gibt, das sind oft die attraktive­ren Orte.

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Jugendlich­e haben das Recht zu feiern, darüber sind sich Claudia Plakolm, Sabir Ansari und Rihab Toumi (v.
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