Kleine Firma, große Probleme
Die Coronakrise hat vielen Ein-Personen-Unternehmen ihre Existenzgrundlage entzogen. Einige erfangen sich, einige darben noch. Und hoffen auf weitere Staatshilfen.
Die freiwillige Arbeitslosenversicherung wird kaum genützt.
Langweilig war das Leben von Michael Grundmann nicht. Seit 20 Jahren praktiziert er chinesische Heilmassage, er gründete ein Gesundheitszentrum, veranstaltete Ausstellungen, zog nach Nicaragua und wieder zurück nach Wien, um alles noch einmal aufzubauen. Dann kam die Coronakrise, der Lockdown und Grundmann konnte seine Massagen nicht mehr anbieten.
Einige Räume in seiner Praxis hatte er an andere Dienstleister vermietet – aber auch Ernährungsberater, Coaches und Yogatrainer mussten ihre Tätigkeiten vorübergehend einstellen. Also fiel auch diese Einnahmequelle weg. Grundmann meldete sich für die Mindestsicherung an. „Weil ich meine gesamten Reserven aufgebraucht und noch nicht genug verdient hatte, um mir wieder etwas auf die Seite zu legen.“Wer Mindestsicherung bezieht, muss arbeitswillig sein, und das Arbeitsmarktservice (AMS) schickte ihn in einen Bewerbungskurs, wo er sich fehl am Platz fühlte. Er wollte ja in seinem Beruf bleiben, aber durfte temporär nicht arbeiten. Kurzum: Es war kein leichtes Jahr für Michael Grundmann.
330.270 und damit mehr als die Hälfte der Firmen in Österreich sind Ein-Personen-Unternehmen (EPU). Sie beschäftigen keine Mitarbeiter. Die Coronakrise entzog vielen die berufliche Grundlage. Und während sich einige Branchen erholen, müssen andere, etwa Eventplaner, weiter darben. Der Masseur Michael Grundmann wurde vom zweiten Lockdown erwischt, als er gerade sein Gewerbe wieder aufgenommen hatte. „Die Hauptsaison habe ich leider versäumt“, sagt er der „Presse am Sonntag“. Die finde für ihn im Herbst und Winter statt, wenn die Psyche der Menschen brüchig sei und der Nacken schmerze.
Selbstständige, die ihre Jobs verlieren, stehen oft vor einem Dilemma: Viele haben zwar Anspruch auf Arbeitslosengeld aus einer früheren unselbstständigen Beschäftigung. Um ihn einzulösen, müssen sie aber ihr Gewerbe ruhend stellen beziehungsweise zurücklegen. Sie müssen das Unternehmen aufgeben, auch wenn sie Unternehmer sein wollen. „Lustig“sei das in der Krise gewesen, sagt Grundmann, und meint natürlich „gar nicht lustig“: „Weil ich hatte ja einen Job, den ich aber nicht ausüben konnte.“
Leidensgenossen hat er viele. Zwischen März 2020 und Februar 2021 wechselten 10.122 Personen aus der Selbstständigkeit als Kunden zum Arbeitsmarktservice (AMS). Das geht aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos durch Arbeitsminister Martin Kocher hervor. Zwei Drittel von ihnen bezogen im Anschluss an die Selbstständigkeit Arbeitslosengeld. Der Anspruch stammt meistens aus einem früheren Angestelltenverhältnis. Ein Drittel hatte keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Selbstständige haben zwar die Möglichkeit, eine freiwillige Arbeitslosenversicherung abzuschließen. Doch sie ist ein Ladenhüter. Nur gut 1000 Selbstständige sind aktuell freiwillig arbeitslosenversichert. Das Modell ist teuer und kompliziert und für die meisten daher nicht attraktiv.
Keine Entwarnung. Dass mit Juli die Corona-Einschränkungen fallen und sich die Wirtschaft langsam erholt, bedeute noch keine Entwarnung, sagt Sonja Lauterbach. Die Unternehmensberaterin gründete in der Pandemie das Onlineforum „EPU Österreich“, dessen knapp 10.000 Mitglieder sich über die Folgen der Krise und die staatlichen Hilfsprogramme austauschen. Die meisten seien für EPU ungeeignet, sagt Lauterbach. Viele EPU hätten unregelmäßige Zahlungseingänge, sie arbeiten oft monatelang an einem Projekt, bevor sie eine Rechnung stellen. Daher fehle ihnen die Basis für die staatlichen Coronahilfen.
Aus dem Härtefallfonds erhalten Selbstständige zumindest 1100 Euro im Monat. Das sei „ein verlässlicher kleiner Tropfen auf einem sehr, sehr heißen Stein“, sagt Lauterbach. Planmäßig läuft die Unterstützung Ende Juni aus. Laut Finanzministerium gibt es Gespräche über eine mögliche Verlängerung. Aber: „Wenn diese Verlässlichkeit jetzt auch noch wegfällt, dann ist die Panik enorm“, sagt Lauterbach. Einige
Der Härtefallfonds für Selbstständige läuft planmäßig Ende Juni aus.
EPU würden sich bereits „derrappeln“. Andere würden jetzt in ein „Sommerurlaubsloch“starten. In der Öffentlichkeit gehe es immer nur um die Gastronomie, den Handel, den Tourismus. Aber viele EPU würden irgendwo in Büros sitzen und seien abhängig von der Budgetvergabe ihrer Unternehmerkunden. Die Zuschüsse müssten dringend „in intelligenter und geeigneter Form“bis in den Herbst weitergeführt werden, sagt sie.
Wenig Schulungen. Das fordert auch Henrike Brandstötter, Nationalratsabgeordnete und EPU–Sprecherin der Neos. Sie kritisiert, dass ehemaligen Selbstständigen die Kurse des AMSUnternehmensgründungsprogrammes in den ersten drei Jahren nicht offenstehen. Nur 609 der 10.122 Selbstständigen, die zwischen März 2020 und Februar 2021 in die Arbeitslosigkeit rutschten, besuchten eine Schulung. Quer durch alle Arbeitslosen waren es zuletzt 75.400 von 392.360. „Da gibt es Luft nach oben“, sagt Brandstötter. Jetzt in der Krise sollte man arbeitslosen Selbstständigen einen außertourlichen „Vorschuss“auf das Arbeitslosengeld bezahlen. Die Beiträge sollen später zurückgezahlt werden dürfen, etwa wenn wieder Geld aus dem Unternehmertum fließt oder die Person eine unselbstständige Beschäftigung annimmt. Nach der Krise eben.