Muss man einen Elektromotor warmfahren?
Vieles, was für Verbrennungsmotoren gilt, wird mit Elektroantrieb obsolet. Der für Kolben bekannte Zulieferer Mahle hat sich längst umgestellt – mit dessen obersten Entwickler führten wir ein Benzingespräch ohne Benzin.
Mahle gehört zu den weltweit größten Zulieferern der Kfz-Industrie, im Vorjahr setzte der Konzern mit Sitz in Stuttgart und 72.000 Mitarbeitern auf der ganzen Welt 9,8 Mrd. Euro um (ein coronabedingtes Minus von rund 17 Prozent im Vergleich zu 2019). Mahle kennt man in erster Linie als Hersteller klassischer Komponenten für den Verbrennungsmotor, Kolben etwa, wie sie von BMW bis Ferrari verwendet werden.
Doch längst schon hat sich das Unternehmen neu ausgerichtet und macht heute schon 60 Prozent seines Geschäfts unabhängig vom Pkw-Verbrennungsmotor.
Die Transformation der Branche sei dabei auch für Mahle eine Herausforderung, erklärt ein Unternehmenssprecher, doch habe man das Thema früh erkannt und angegangen: „Schon 2009 war ein Hybrid-Pkw eines deutschen Premiumherstellers mit einer Batteriekühlung von Mahle auf der Straße.“
Thermomanagement von der Klimaanlage bis zum Temperieren des Antriebsstrangs samt Akku ist heute das größte Geschäftsfeld der Stuttgarter. Unlängst wurde ein neuer Traktionsmotor des Hauses vorgestellt, ein „hocheffizienter, magnetfreier“E-Motor mit kontaktloser Leistungsübertragung. Der Motor habe in den „meist genutzten Fahrzuständen einen Wirkungsgrad von über 95 Prozent“. Acht Patente ließ Mahle für diesen Motor anmelden.
Wir sprachen mit Martin Berger, Leiter der Forschung und Vorausentwicklung bei Mahle. Alleine seine Besetzung für den Posten zeigt den Wandel in der Ausrichtung des Hauses: Als Elektrotechniker und Informatiker ist er nach 100 Jahren Unternehmensgeschichte der erste Ingenieur auf dem Posten, der nicht vom klassischen Maschinenbau kommt. Wiewohl hat der 46-jährige Berger, der in Graz studierte, auch schon Entwicklungen im Verbrennerbereich geleitet, mithin ist er unser Mann für ein Benzingespräch – in diesem Fall eben ohne Benzin.
Herr Berger, als Freund schöner Verbrennungsmotoren, dem Elektroantrieb gegenüber aufgeschlossen, sorgt man sich um einen gewissen Kulturverlust: Bestimmten Zylinder und Hubraum den Charakter des Motors und letztlich des Autos, bleibt mit E-Antrieb ein unscheinbares Kasterl übrig. Kann es eine Art Motorkultur auch beim E-Motor geben, können Sie erkennen, welche Art von E-Motor das Auto, in dem Sie sitzen, antreibt?
Martin Berger: Ich würde mich nicht trauen, das bestimmen zu wollen. Das berühmte Popometer funktioniert da nicht mehr so. Warum der Elektromotor als Antrieb der Zukunft so interessant ist, ist sein Wirkungsgrad. Der liegt etwa bei unserem neuen, magnetfreien E-Motor bei 95 Prozent in seinem „sweet spot“, und das sind die meistgenutzten Fahrzustände, in einigen Betriebspunkten sogar darüber. Beim Verbrenner wurde in den vergangenen Jahrzehnten viel Aufwand getrieben, um seinen recht schmalen „sweet spot“zu erweitern, denn er hat nicht in allen Bereichen einen guten Verbrauch. Denken Sie an Technologiebausteine wie Mehrfacheinspritzung, aufwendigen Ventiltrieb, Aufladung, oder die Getriebeentwicklung mit bis zu zehn Gängen oder Doppelkupplung, um die Zugkraftunterbrechung möglichst gering zu halten. Das ist beim E-Motor alles überflüssig, und der Wirkungsgrad ist doppelt so hoch.
Nun hat man keinen V8 mehr oder vier Liter Hubraum, sondern sagt: Mein E-Motor ist magnetfrei?
Ich würde sage: Akku ist der neue Hubraum, mit der Reichweite als herausragendem Merkmal.
Motto beim Aufschneiden an der Ladesäule also: Mein Akku ist größer als deiner?
Nicht unbedingt. Ich glaube nicht, dass wir mehr als 100 kWh Kapazität oft sehen werden, wegen des Gewichts und der Kosten. Das Schnellladen wird den Kick geben. Da sehen wir große Fortschritte, aber auch den nächsten Flaschenhals nach der Zellchemie: Wie kriegt man die entstehende Wärme raus? Für dieses Thermomanagement haben wir schon ein paar Ideen. Dazu zählt Immersionskühlung: Eine Tauchkühlung, bei der die Zellen direkt in einem nicht leitfähigen Liquid gelagert sind, was eine bilderbuchartige Kühlung zur Folge hat. Denn so werden alle Zellen gleichermaßen umströmt,
Neue E-Motoren auf dem Prüfstand, aber Verbrenner werden noch länger erhalten bleiben: Technikchef Martin Berger, 46. anders als bei der Gehäusekühlung, die auch nicht zum Zellkern vordringt. Diese Art der Kühlung haben wir bereits vorgestellt. Sie kann und wird die Schnellladefähigkeit der Akkus gewaltig erhöhen.
Muss man einen Elektromotor eigentlich warmfahren wie den klassischen Verbrenner?
Nein, das ist an sich nicht notwendig. Dennoch ist behutsames Warmfahren sinnvoll, und zwar wegen der Batterie. Eine kalte Batterie hat einen höheren Innenwiderstand, und dadurch kommt es bei forcierter Leistungsentnahme zu einer hohen Eigenerwärmung, was einen Verlust an Effizienz bedeutet, und zu einem thermischen Stress für die Zellen, was wiederum die Lebensdauer der Batterie einschränkt. Zudem ist dem Elektromotor ja ein mechanisches Getriebe nachgelagert. Das in den meisten Anwendungen zwar nur einen Gang haben mag, in dem aber dennoch rotierende Teile von Öl geschmiert werden, und dieses Öl muss erst auf Betriebstemperatur kommen. Wer seinen Verbrennungsmotor immer behutsam warmgefahren hat, sollte das im E-Auto ähnlich handhaben.
Heißt das, dass Temperatur für den E-Motor kein Thema ist?
Das nicht, denn selbst wenn Sie von einem Wirkungsgrad von 95 Prozent ausgehen, bleiben fünf Prozent an Abwärme. Bei 100 kW Leistung sind das fünf Kilowatt an Kühlleistung, die Sie erbringen müssen. Bei manchen E-Motoren ist das auch heikel, bei der
permanenterregten Synchronmaschine etwa darf eine gewisse Temperatur nicht überschritten werden, nicht ein einziges Mal. Sonst ist der Magnet kaputt. Futsch, aus.
Man kann also nicht nur Verbrennungsmotoren abstechen . . . Welche Gemeinsamkeiten gibt es sonst noch?
Beiden liegen in der Entwicklung Fahrdiagramme zugrunde, wie sie die
Größe von gestern: Ein stattlicher Mercedes-V12 als Wahrzeichen der Verbrennerära.