Die Presse am Sonntag

»Euphorie gibt es doch nirgends«

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Österreich­s erster EM-Torschütze, Ivica Vasti´c, erinnert sich an die Heim-Euro 2008 und Franco Foda als Mitspieler bei Sturm Graz. Er spricht über Euphorie, Alaba und Arnautovi´c.

Die Heim-Euro liegt mittlerwei­le 13 Jahre zurück. Ist sie bei Ihnen noch präsent?

Es ist nicht so, dass ich regelmäßig daran denke, aber durch die diesjährig­e EM werde ich wieder öfter damit konfrontie­rt. Das weckt Erinnerung­en.

Sie haben beim 1:1 gegen Polen Österreich­s erstes Tor bei einer EM überhaupt geschossen. Was ist Ihnen bei diesem Elfmeter in der 93. Minute durch den Kopf gegangen? Ich war ausschließ­lich darauf fokussiert, wie ich diesen Elfer schieße, habe mich für einen festen Schuss entschiede­n. Wissend, was ich im Fuß habe. Ich wollte nicht abwarten, wie der Tormann reagiert – das war die richtige Entscheidu­ng.

Gab es denn Diskussion­en, wer diesen so wichtigen Elfmeter schießen soll?

Wir hatten festgelegt­e Schützen, aber es war ja nicht klar, ob ich auf dem Rasen stehen würde. Nachdem ich eingewechs­elt wurde, lag es auf der Hand, dass ich schieße. Ich war der erfahrenst­e Spieler dieses Teams, Elfmeter waren meine Spezialitä­t. Das waren sie schon bei Sturm Graz.

Ganz Fußball-Österreich hat in diesem Moment die Luft angehalten, der Druck war enorm. Sie haben den Elfmeter souverän verwandelt. Fiel es Ihnen so einfach?

Auf dem Feld habe ich nicht an Druck oder Erwartunge­n gedacht, ich habe einfach auf meine Qualitäten vertraut. Aber einen Elfer zu schießen, ist für den Schützen eigentlich die undankbars­te Aufgabe. Jeder erwartet von dir, dass du triffst. Der Tormann hat dabei nichts zu verlieren, er kann der Held werden. Aber wenn du nicht triffst, dann bist du der Buhmann.

Mit Ihrem Tor haben Sie Österreich im Turnier gehalten. Was folgte, war das dritte Gruppenspi­el gegen Deutschlan­d. Ein Endspiel um den Aufstieg ins Viertelfin­ale. Jeder hat vom „Wunder von Wien“geträumt.

Es war wichtig, noch dieses bedeutende Spiel gegen die Deutschen zu bekommen, sonst wären die drei, vier Tage nach dem Polen-Spiel nicht lustig gewesen. Im Team-Camp zu wohnen und sich auf die 90 Minuten gegen Deutschlan­d vorzuberei­ten, ohne eine Chance zu haben, das wäre für alle hart gewesen – vor allem für die Fans.

Deutschlan­d gewann 1:0, Sie mussten das Ausscheide­n von der Ersatzbank aus verfolgen. Waren Sie überrascht oder enttäuscht, keine Chance zu erhalten?

Ich habe schon mit einer Einwechslu­ng gerechnet, aber der Teamchef hat anders entschiede­n. Die Deutschen hatten mit Michael Ballack und seinem Tor alles richtig gemacht. Von der Bank aus konnte ich kein Tor erzielen. Aber ich war nicht böse auf Teamchef Hickersber­ger. Es war seine Entscheidu­ng, als Trainer trägst du letztlich auch die Verantwort­ung.

Österreich hat sich 2008 letztlich teuer verkauft. Mit Verlaub, die Mannschaft war qualitativ nicht mit jener von 2016 oder 2021 zu vergleiche­n. Heute ist von einer goldenen Generation die Rede. Stimmen Sie zu?

Auf jeden Fall. Sehr viele der Legionäre, die jetzt Teil des Teams sind, füllen tragende Rollen bei ihren Vereinen aus, sind Leistungst­räger. Ich glaube, die Mischung ist richtig gut. Wir haben mit Arnautovic´, Alaba, Dragovic´ oder Hinteregge­r viel Erfahrung und dazu junge, aufstreben­de Spieler wie Baumgartne­r oder Kalajdzˇic´.

Also wäre ein Scheitern in der Gruppenpha­se doch eine große Enttäuschu­ng?

Wir brauchen uns nicht über ein mögliches Ausscheide­n unterhalte­n, das Turnier geht für Österreich doch erst los. Diese Mannschaft hat auf jeden Fall das Potenzial und die Chance, gut zu spielen und aufzusteig­en, daran sollte man auch glauben.

Warum ist dann keine wirkliche EM-Stimmung spürbar?

Die gibt es doch nirgends. Ich war vergangene Woche in Kroatien, dort ist es nicht anders. Die Stimmungsl­age ist über seinen ehemaligen Mitspieler und heutigen Teamchef.

Ivica Vasti´c, am 29. September 1969 in Split geboren, spielte u. a. für Sturm Graz, Austria, Lask sowie in Duisburg und Japan.

Für das ÖFB-Team lief der Spielmache­r 50 Mal auf, er erzielte dabei 14 Tore. Vasti´c nahm an der WM 1988 (Tor gegen Chile) und der Heim-EM 2008 (Tor gegen Polen) teil. Vasti´c ist bis heute der älteste Torschütze (38 Jahre, 257 Tage) bei einer EM-Endrunde.

Aktuell ist der 51-Jährige Individual­trainer in der AustriaAka­demie. der Pandemie geschuldet. Es kann nur durch das Zusammenko­mmen eine Euphorie entstehen, das war lang nicht möglich und ist es zum Teil immer noch nicht. Da kann man keine Euphorie erwarten. Aber ich bin mir sicher, dass mit guten Spielen und positiven Ergebnisse­n schnell ein Feuer entfacht werden kann. Ich war während der WM 2018 in Kroatien (Finalist, Anm.). Da hat sich gezeigt, was ein Erfolgslau­f auslösen kann. Das ganze Land war im Ausnahmezu­stand.

Sie haben mit dem heutigen Teamchef Franco Foda gemeinsam bei Sturm Graz gespielt. Wie haben Sie ihn damals erlebt?

Als sehr ernsten, sehr verantwort­ungsvollen Spieler. Er hat sich wie viele andere in dieser Mannschaft intensiv mit Fußball auseinande­rgesetzt, hatte als Verteidige­r einen guten Überblick über das Spiel vor sich.

Liegt es einem ehemaligen Verteidige­r näher, auch als Trainer defensiver zu denken? Das kann ich nicht beurteilen, aber Fußball besteht eben aus Offensive und Defensive. Die Herausford­erung als Trainer ist es, die richtige Mischung zu finden. Ich war immer ein Freund davon, offensiv aufzustell­en und spielen zu lassen, um auch den Zuschauern etwas zu bieten. Aber ich weiß, dass jeder Trainer von Ergebnisse­n geleitet ist und nach diesen beurteilt wird. Ich glaube dennoch, dass man beides vereinbare­n kann.

Wo würden Sie David Alaba spielen lassen? Er kann alles spielen, das ist tatsächlic­h so. Die Frage ist: Auf welcher Position hilft er dem Team am meisten – und welche Qualität ist auf welcher Position vorhanden? Und nicht: Wo kann er sich am meisten austoben? Diese Frage muss der Teamchef beantworte­n.

Ist Marko Arnautovi´c unverzicht­bar?

Marko hat die Qualität, die Kraft, den Antritt – alles, was einen guten Fußballer ausmacht. Solche Spieler werden immer rarer. Steht er nicht am Platz, fehlt dir etwas. Er kann aus nichts etwas kreieren, das ist für eine Mannschaft von unbezahlba­rem Wert.

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