Die Presse am Sonntag

Die vom Staat Alleingela­ssenen

- VON JULIA WENZEL

Für die jahrzehnte­lange Verfolgung homosexuel­ler Menschen hat sich die Politik nun entschuldi­gt. Die Community sieht darin einen ersten Schritt in die richtige Richtung.

Es war eine Liebesbezi­ehung zwischen zwei Teenagern. Die beiden waren verliebt, der eine 17 Jahre alt, der andere 19 Jahre. Das reichte schon, um den Älteren zu verurteile­n. Immerhin ereignete sich die Geschichte vor dem Jahr 2002, und damals war gleichgesc­hlechtlich­e Liebe zwischen zwei Männern in Österreich dann gesetzlich verboten, wenn der eine unter, der andere über 18 Jahre alt war. „Gleichgesc­hlechtlich­e Unzucht mit Minderjähr­igen“, lautete damals das Delikt. Rund 15.000 Menschen wurden in Österreich bis zum Jahr 2002 wegen ihrer Homosexual­ität verurteilt.

Der Rechtsanwa­lt Helmut Graupner kennt viele solcher Geschichte­n, bei denen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Neigung strafrecht­lich verfolgt wurden. Graupner hat auch diesen Fall damals betreut. Heute ist der Rechtsanwa­lt, Buchautor und Präsident des Rechtskomi­tees Lambda eine der Galionsfig­uren der LGBTIQ+-Community (siehe Halbspalte). Seit 2016 ist er Träger des Goldenen Ehrenzeich­ens für Verdienste um die Republik Österreich. „Da wurden Existenzen zerstört“, sagt er heute.

Schweigen gebrochen. Lang war all das kein Thema in der gesellscha­ftlichen Debatte in Österreich. Erst am vergangene­n Montag hat sich Justizmini­sterin Alma Zadic´ für die strafrecht­liche Verfolgung von homosexuel­len Menschen in der Zweiten Republik entschuldi­gt. Sie drückte in einer Rede „tief empfundene­s Bedauern für das Leid und das Unrecht, das ihnen widerfahre­n ist“, aus.

Ann-Sophie Otte, Obfrau der Wiener Homosexuel­len Initiative (Hosi), empfindet das „eindeutig als ersten Schritt in die richtige Richtung“. Ihr

Verein, gegründet 1979, ist der älteste Verein für homosexuel­le Menschen in Österreich – mit 42 Jahren.

Denn erst 1971 wurde das Totalverbo­t von homosexuel­len Beziehunge­n in Österreich abgeschaff­t. Stattdesse­n führte die SPÖ-Alleinregi­erung Bruno Kreiskys ein Mindestalt­er von 18 Jahren ein (§ 209 StGB). Zusätzlich fügte sie mit der kleinen Strafrecht­sreform noch drei weitere Paragrafen hinzu: das Verbot der männlichen homosexuel­len Prostituti­on (§ 2), das Verbot der „Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlecht­s“(§ 220) sowie der „Verbindung­en zur Begünstigu­ng gleichgesc­hlechtlich­er Unzucht“(§ 221). Diese wurden schrittwei­se bis 1997 wieder abgeschaff­t, erschwerte­n bis dahin aber das Leben vieler Menschen. Der „209er“blieb bis 2002 bestehen.

Menschen zweiter Klasse. Nach einem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte und einem Fall in Innsbruck, den Graupner neben vielen anderen betreute, wurde der Verfassung­sgerichtsh­of tätig: Ein Erkenntnis senkte 2002 das Schutzalte­r für Schwule von 18 auf 14 Jahre – und damit auf jenes für heterosexu­elle und lesbische Jugendlich­e. „Über die Jahre war immer wieder Frustratio­n dabei“, so Graupner, der seit 1985 bei der Hosi aktiv ist. „Aber wir haben nie aufgegeben. Am Ende waren wir stärker.“

Bis 2002 litten viele Menschen unter der österreich­ischen Gesetzgebu­ng. In 32 Jahren habe es nur einen Richter gegeben, der „Gnade walten ließ“und einmal eine Diversion angeboten habe. „Dem gehört eigentlich ein Denkmal“, sagt der Anwalt. „Man kann sich nicht vorstellen, was das für einen Menschen bedeutet, wegen seiner sexuellen Orientieru­ng ins Gefängnis geschickt zu werden. Sie wurden in ihrer bürgerlich­en Existenz zerstört“, sagt Graupner.

Otte spricht von traumatisc­hen Erfahrunge­n für Betroffene. „Es wurde für sie schwierig auf dem Arbeitsmar­kt, im Freundeskr­eis, in der Familie, weil sie vorbestraf­t waren. Es war verboten, schlimm, eine Straftat. In der Zivilgesel­lschaft gab es dafür Ächtung.“

Ungleichbe­handlung bleibt. Auch wenn das Gesetz mittlerwei­le geändert wurde, bedeutet das nicht, dass die Gesellscha­ft nachgezoge­n hat. Ungleichbe­handlung gibt es immer noch. Zwar schützt das Gleichbeha­ndlungsges­etz homosexuel­le Personen vor Diskrimini­erung am Arbeitspla­tz, nicht aber außerhalb davon, zum Beispiel beim Kino- oder Arztbesuch. „Es ist nicht strafbar, wenn ich mit meiner Freundin in ein Cafe´ gehe, Händchen halte und deshalb rausgeworf­en werde“, sagt Otte und erinnert an einen Vorfall, der sich 2015 im Wiener Cafe´ Prückel ereignete.

»Zwischen 1971 und 2002 gab es nur einen Richter, der Gnade walten ließ.« »Es war verboten, eine

Straftat. In der Zivilgesel­lschaft gab es dafür Ächtung.«

Damals wurde ein lesbisches Paar, nachdem es sich im Kaffeehaus geküsst hatte, vor die Tür gesetzt, was für mediale Aufregung sorgte. Illegal war der Rauswurf nicht. Denn der Dienstleis­tungsberei­ch ist vom Gesetz nicht umfasst. „Ich könnte aus der Wohnung geworfen werden, und es wäre absolut legal“, sagt Otte. „Es ist unvorstell­bar, in welcher Angst früher Betroffene gelebt haben, wie verlassen sie sich vom Staat gefühlt haben müssen.“

Zwar wurden die Vorstrafen inzwischen aus dem Strafregis­ter gestrichen. Doch auf Rehabiliti­erung und Entschädig­ung wartet man bis heute. Wie auch auf eine Entschuldi­gung von anderer Stelle: „Erlassen hat die Gesetze das Parlament. Es steht an, dass sich auch dieses entschuldi­gt“, so Graupner. Der Deutsche Bundestag tat das 2000, das House of Commons 2017. Im selben Jahr wurden die deutschen Urteile aufgehoben.

Bei 2000 Urteilen hielten sich Entschädig­ungszahlun­gen zudem im Rahmen, sagt Otte. Nicht zuletzt aus einem banalen Grund: „Einige sind schon verstorben.“

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