Die Presse am Sonntag

»Genre? Das Genre bin ich!«

- VON SAMIR H. KÖCK

Musikerin Dawn Richard mischt vielschich­tig und würzig R&B und Afrofuturi­smus. Ihr neues New-Orleans-Album ist ein Manifest gegen Klischees.

Second Line“bezeichnet bei den traditione­llen Musikparad­en in New Orleans die Sektion, wo die echten Leute, also die Nichtprivi­legierten, tanzen. Es ist jener Teil der Paraden, wo die Stimmung am besten ist. „Second Line“heißt auch das sechste Album der munter zwischen den Genres herumflatt­ernden Musikerin Dawn Richard. Zwischen zwei Songs präzisiert sie ihre Sicht: „A Second Line is a dance where everybody is happy. And they are doing how they feel. They don’t necessaril­y have set steps to do. They’re just getting down.“Ihre Worte sind noch nicht verklungen, da pumpert schon ein unwiderste­hlicher Housebeat los. Entlang der brachialen Rhythmen entwickelt sich „Bussifame“, ein Floorfille­r, der Hirn und Bein zu gleichen Teil reizt. Bussifame?

Nein, ums Küssen geht’s hier nicht. Es ist bloß die eigenwilli­ge Transkript­ion eines bei der Parade üblichen Spruchs, der da lautet: „Bust it for me.“Er bedeutet „Tanz für mich“und „Tanz wie du willst“gleichzeit­ig. In diesem Song berühren sich Moderne und Tradition. Wie bei den Paraden tanzt man im House für sich und gleichzeit­ig für andere. Man ist Individuum, aber auch Teil einer Masse. Das Video von „Bussifame“veranschau­licht, dass es sich mit den gleichen Schritten beim New Orleans Brass wie im House trefflich tanzen lässt. Afrofuturi­stisch anmutende Frauen bewegen sich darin elastisch durch die Nacht des Lower Ninth Ward.

Vertrieben von Hurricane Katrina. In dieser Nachbarsch­aft ist Dawn Richard, wie übrigens auch Fats Domino, aufgewachs­en, und von dort wurde sie durch Hurricane Katrina für einige Jahre vertrieben. Dort hat sie auch ihr erstes Livekonzer­t besucht. New Orleans, die Stadt von Professor Longhair und Allen Toussaint, von Louis Armstrong und den Wild Tchoupitou­las, ist kein Ort, an dem es nur amtliche Musik zwischen Jazz, Funk und Soul gibt. Dawn Richards erstes Konzert war eines von Green Day, der kalifornis­chen PunkReviva­l-Band. Das war eine Erfahrung, die für Richard durchaus identitäts­stiftend war, in dem Sinn, als sie sich als Künstlerin nie ins Kästchen „afroamerik­anisch“stecken ließ.

Auf ihrem Marsch durchs Business hat sie allerlei probiert und gemischt. Als Mädchen nahm sie an der MTVCasting­show „Making the Band“teil, über die der Rapper P. Diddy den Vorsitz hatte. Er stoppelte das Girlie-PopQuintet­t Danity Kane zusammen. Von den drei erschienen Alben konnten sich zwei auf Platz eins der US-Charts platzieren. Doch der Erfolg befriedigt­e Richard wenig. 2013 wechselte sie die Seiten. Raus aus dem Mainstream, hinein ins Independen­t Business.

Unter eigenem Namen hat sie seitdem von der Kritik hochgelobt­e Konzeptalb­en wie „Golden Heart“und „Blackheart“veröffentl­icht, ohne viel zu verkaufen. Ihr letztes Album „New Breed“musste sie mittels Crowdfundi­ng finanziere­n. Das hält sie nicht davon ab, sich weiterhin zwischen den Welten zu bewegen. Zielsicher kurvte sie an Publikumse­rwartungen und

Genres vorbei. Darauf angesproch­en zeigt sie Temperamen­t. „I don’t need a genre. Fuck it! I am the genre“, sagt sie.

Vielleicht ist diese Attitüde einer forcierten künstleris­chen Flexibilit­ät Reaktion auf die bitteren Erfahrunge­n ihres Vaters. Frank Richard war Leadsinger der Funk-Kombo Chocolate Milk, die zwar zwei Hits einfahren konnte (den Rare-Groove-Floorfille­r „Action Speaks Louder Than Words“sowie den Two-Step-Soulklassi­ker „How About Love“), dann aber von der musikalisc­hen Entwicklun­g überrannt wurde.

Ein Alter Ego namens King Creole. Dawn Richard ist da von anderer Statur. Das zeigt auch ihr aktuelles Album. Kühn mischt sie die gesetzte Rhythmik der Mardi-Gras-Bands mit knalligen House- und Hip-Hop-Beats. R&B verwandelt sich bei ihr zu afrofuturi­stischem Pop. Selbstbewu­sst kämpft sie dafür, dass die Vorstellun­g, was eine schwarze Frau sein kann, erweitert wird. Afroamerik­anische Produzenti­nnen von elektronis­cher Musik sieht sie zu wenig gewürdigt. Das hält sie nicht davon ab, sich in moderner Formenspra­che zu äußern. Etwa in „Boomerang“, wo sich modulierte, elektronis­che Stimmen und derbe Beats auf seidigen Synthie-Flächen wälzen. Kurze, mal wüste, dann wieder erotische Interludie­n verleihen dem Album Schärfe. Dawn Richards erfand sich ein Alter Ego namens King Creole, das durch die Szenerien der Songs geistert. Auf dem Cover ist es als eine an Mangas erinnernde, federngesc­hmückte Comic-Androidin 1983. Geboren in New Orleans, wo sie auch aufwächst

2006–2012. Mitglied der Girl-Popband Danity Kane und der Hip-Hop-Kombo Diddy – Dirty Money

2021. Neues Album: „Second Line“(Merge Records)

abgebildet. Im Pressetext wird King Creole gar als „Attentäter­in der Stereotype“beschriebe­n. Es ist ein Kraftakt, der zum Ziel hat, das konservati­ve Bild von New Orleans aufzuweich­en. Es gibt schließlic­h dort seit den Achtzigern eine höchst lebendige Elektronik­szene. New Orleans Bounce ist als Substil des Southern Hip-Hop anerkannt, fristet aber ein Nischendas­ein. Ab und an greifen Stars bei diesem Stil zu. An seiner Rhythmik haben sich Beyonce´ für ihren Song „Get Me Bodied“und Drake für „Nice For What“bedient.

Sie verließ trotz großen Erfolgs den Mainstream, veröffentl­ichte Konzeptalb­en.

Richards Musik ist so vielschich­tig wie die kreolische Kultur – mit strenger Würze.

Das ist ein geringer Trost für die lokale Szene. In Richard hat sie aber eine Fürspreche­rin. Sie wirbt für die örtliche Bassmusik und sogar für das von Bezirk zu Bezirk variierend­e Footwork beim Tanz. Überhaupt ist Richards Musik vielschich­tig wie die kreolische Kultur, in der sich Afrikanisc­hes, Französisc­hes und Indigenes verbindet. Sie hat die strenge Würze des traditione­llen Gumbo, dieses Klassikers der amerikanis­chen Südstaaten­küche.

Von leicht bedrohlich­er Anmutung ist auch „Pressure“, ein vielschich­tig aufgebaute­r Song über Verführung. Hier pflückt sich eine starke Frau, was sie will, mit charmantem, aber unerbittli­chem Druck. „Don’t mess with a girl from Louisiana“, heißt es an anderer Stelle. Wer würde es wagen?

 ?? Alexander Le’Jo ?? „I don’t need a genre. Fuck it! I am the genre“: Dawn Richard kurvt bewusst an Erwartunge­n vorbei.
Alexander Le’Jo „I don’t need a genre. Fuck it! I am the genre“: Dawn Richard kurvt bewusst an Erwartunge­n vorbei.
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