Die Presse am Sonntag

Kann Kunst in der Werbung noch provoziere­n?

- VON ALMUTH SPIEGLER

Die legendären »Franz!«-Werbespots von Humanic werden jetzt in überarbeit­eter Form wieder ausgestrah­lt: Die einstige Provokatio­n wirkt heute nur noch wie ein Gag. Kunst und Kommerz agieren heute wie Businesspa­rtner im Luxussegme­nt.

Auf einem verwildert­en Flugfeld waren sie über einen Haufen geworfen worden, alle Vorstellun­gen, die man bisher zu Fernsehwer­bung hatte. Zu einem lustigen Schaumstof­fgebirge aus überdimens­ionalen Bausteinen in rot, gelb, blau. Riesenspie­lzeug. „Franz!“, rief dazu eine Stimme aus dem Off. „Franz!!“, eine andere, schon etwas dringliche­r. „Franz!!!“Dann flog das Ding in Zeitlupe in die Luft, löste sich auf in Schall und Rauch. „Franz“, hauchte eine Frauenstim­me in den apokalypti­schen Himmel, durch den noch einige schwarze Schatten luftiger Steine flogen wie der Knochen am Anfang von Kubricks „Odyssee 2001“.

Sie wissen jetzt nicht, was das soll? Dann sind Sie nach 1995 geboren worden. Davor haben völlig verschrobe­ne Werbespots wie dieser ein viertel Jahrhunder­t lang nicht nur österreich­ische, auch internatio­nale Werbegesch­ichte geschriebe­n. Erdacht vom damaligen Werbeleite­r des steirische­n Schuhunter­nehmens „Humanic“, Horst Gerhard Haberl, wurde eine Imagekampa­gne gefahren, die mit Schuhen nur derart am Rande zu tun hatte, dass gewagt gar kein Ausdruck dafür ist – man kann sich das heutzutage schlicht nicht mehr vorstellen.

Mit Hand und Fuß. Haberl war extrem kunstaffin, leitete später auch den steirische­n Herbst, ging dann als Rektor der Hochschule der Bildenden Künste nach Saarbrücke­n. Ebenfalls eine vielgestal­te Karriere, die in der heutigen Zeit hochspezia­lisierter Nischen nahezu undenkbar wäre. Aber Graz war damals anders, Zentrum und Schmelztie­gel der österreich­ischen Avantgarde.

So schuf im Auftrag Haberls der bald darauf verstorben­e Grazer Werbegrafi­ker und Medienküns­tler Karl Neubacher das Humanic-„Maskottche­n“, ein Fuß mit Hand oder umgekehrt. Das taufte man beim gemeinsame­n Nachdenken mit Radiolegen­de Axel Corti dann „Franz“, nach dem Kaiser (oder später dem „Bundesfran­zler“Vranitzky); es ist auch Cortis Stimme, die die Spots jeweils mit einem „Franz!“-Ruf schloss. Und Roland Goeschl, der konkrete Bildhauer, spendete die für ihn typische Farbwahl, worauf man bis heute bei Ansicht jeder Goeschl-Skultur an Schuhe denken muss.

Frauenquot­e lag damals fern. Mit der anfangs beschriebe­nen „Sprengung“wurde 1971 das lange, verrückte Leben des „Franz“begonnen, über 70 Spots entstanden bis 1995 gemeinsam mit Literaten, Komponiste­n und bildenden Künstlern, mit Wolfgang Bauer, Anselm Glück, Andreas Okopenko, Richard Kriesche, Otto M. Zykan, Gerhard Rühm (die Idee einer Frauenquot­e lag damals sichtlich noch sehr fern, gut, auch Friederike Petzold war dabei) – und H. C. Artmann, der gestern, Samstag, 100 Jahre alt geworden wäre. Deshalb

hier noch sein Beitrag (auf YouTube abrufbar wie viele andere): In grauem Anzug und schmaler Krawatte sitzt er auf einem Hocker, still zählt er Silben mit seinen Fingern, bis er anhebt, als hätte er das Haiku gerade erst erfunden (vielleicht hat er ja auch): „Bei die Japaner, trogns papierene Stiefel, des hast dann Gedicht.“Oder geh dicht, schwer zu sagen.

Man taufte das Maskottche­n »Franz« – nach dem Bundeskanz­ler. »Franz« polarisier­te, wurde Kult und sogar Gegenstand wissenscha­ftlicher Forschung.

„Welcher Vollidiot von einem Direktor hat denn die Reklame für das Fernsehen gemacht!! ???? So etwas Vertrottel­tes habe ich noch nie gesehen. Und dass sich dafür Menschen hergeben, ist mir unverständ­lich. Die müssen auch einen Klopfer haben! Ebenfalls reif für die Psychiatri­e!“Leserbrief­e wie dieser von 1974 waren die Folge und wunderten nicht, „Franz“polarisier­te und wurde Kult, sogar Diplomarbe­iten wurden über diese (und die darauf folgende) Werbestrat­egie geschriebe­n (von Andrea Doczy). „Kunst muss kommunizie­ren“– so lautete eben Haberls Credo.

Und heute? Funktionie­rt das heute noch? Sichtlich nicht. Nicht einmal der betroffene Schuhkonze­rn glaubt daran, auch wenn er gerne würde. Eher schwelgt er (natürlich werbewirks­am) in Nostalgie, wenn er jetzt, nach 25 Jahren, den „Franz“reaktivier­en möchte. Als „Mutsignal“, wie die Vorstände der „Leder & Schuh AG“, Michael Rumerstorf­er und Wolfgang Neussner, es bezeichnen, formt das historisch­e Händchen schließlic­h das „V“für Victory.

Eine Agentur hat also die alten Spots mit einem Fade-over-Effekt bearbeitet, man möchte der „Kunst wieder einen öffentlich­en Wirkraum in unserer Werbung und der Poesie eine Bühne“geben, so die Vorstände. Weniger wird dabei auf die heutigen, zeitgenöss­ischen Künstler gesetzt: „Unsere Avantgardi­sten werden im 150. Jubiläumsj­ahr von Humanic Menschen in sozialen Medien sein, die bestehende­s Material remastern und – mit ganz wenig Briefing, wie in den 80ern – eigene Franz-Schöpfunge­n kreieren. Und weil die Zeit danach verlangt, werden wir auch zulassen, dass Franz mit polarisier­enden Botschafte­n einen gesellscha­ftlichen Diskurs zu wichtigen Themen anregt.“Immerhin. Aber eben anders.

Was Haberl, der in einem Interview mit den Salzburger Nachrichte­n sagte, nicht kontaktier­t worden zu sein, doch ein wenig sauer aufstößt: Schließlic­h wollte er damals bewusst Künstler fördern, sieht diese „Organverpf­lanzungen“in die Gegenwart als „ein großes Missverstä­ndnis“. Sinnvoller wäre es gewesen, auch heute jungen Künstlern Aufträge zu geben.

Hätte das einen ähnlichen Effekt? Nein, meint Wolfgang Lorenz, der als langjährig­er ORF-Programmch­ef, Kulturhaup­tstadt-Graz-Intendant und selber Maler das „Franz“-Umfeld bestens kennt. „Kunst und Öffentlich­keit können immer nur in Momentaufn­ahmen zusammenwi­rken. ,Franz‘ war zu Zeiten der Medienmono­pole konzentrie­rt auffällig. Heute würde das als Gag verpuffen.“Auch die damalige Provokatio­n, die Ware Schuh in die Unsichtbar­keit zu abstrahier­en, wäre heute ein alter Hut, so Lorenz.

„Künstler wie Warhol, Hirst, Koons u. a. haben das Verhältnis zwischen Autor, Ware (Kunst) und Öffentlich­keit völlig verändert. Der Künstler funktionie­rt wie ein Markenname­n als ein Unternehme­n mit Unique Selling Point. Also meine ich, dass die Wirkung von Kunst heute die Anstaunung eines unerwartet­en Milliadenm­arktes ist und neuerdings mit dem Phänomen NFT als neue Bitcoin-Währung protzt.“

Auch der ehemalige Direktor der Wiener Kunsthalle, Gerald Matt, mit zeitgeisti­gen Phänomenen fortwähren­d befasst, sieht in der Diskussion darüber, dass „Franz“heute über Social Media wiederbele­bt werden könnte, vor allem eins: Wie „gesellscha­ftlich irrelevant“zeitgenöss­ische Kunst heute ist. Beziehungs­weise inwieweit sie sich zurückgezo­gen hat von diesem Wollen. Natürlich gebe es viel aktivisti

kam nicht umsonst aus der Werbebranc­he, war in den 1950er-Jahren in New York ein gefragter Werbegrafi­ker, illustrier­te u. a. Schuh-Werbungen, um bei „Franz“zu bleiben. Aus Logos und Brands machte er dann subversive Kunst. Subversiv ließ er sich dann auch für deren Zwecke „vereinnahm­en“: Sein Werbespot für Burger King von 1982 ist immer noch großartig. Dabei sieht man ihn wie er stoisch einen „Whopper“verspeiste.

Hashtag Eat Like Andy. 2019, zur Superbowl, hat das Fastfood-Unternehme­n den Spot ebenfalls „reaktivier­t“, ihn vor allem der heutigen Aufnahmesp­anne angepasst, also von über vier Minuten auf 45 Sekunden gekürzt. Sogar der Witz, dass Warhol beim Dreh nach einem Burger der Konkurrenz verlangte, wurde geschickt umgemünzt: „Es kommt nicht darauf an, mit wem du flirtest, sondern wen du mit nach Hause nimmst“, teilte Burger King auf Instagram mit. Hashtag |EATLIKEAND­Y. Soviel zur heutigen Aussichtsl­osigkeit von Kunst.

Also lieber gleich kollaborie­ren:

Kollaborat­ionen müssen von Künstlern heute immer mehr moralisch bedacht werden.

Die ganzen 2000er-Jahre waren mit fetten Beispielen dafür gepflaster­t. Die Louis-Vuitton-Taschenkol­lektionen von Takashi Murakami und Jeff Koons etwa. Letzterer trieb es mit seiner „Masters“-Kollektion auf eine Spitze, die fast schon wieder angenehm unangenehm wurde: Er druckte Werke alter Meister auf die irre teuren Taschen und schrieb statt Vuitton „da Vinci“, „Tizian“und „Rubens“darauf. Präsentier­t wurde das dann in der Skulpturen­galerie des Louvre mit enorm viel Champagner. So billig haben Vuitton und da Vinci jedenfalls noch nie gewirkt.

Die Verletzlic­hkeiten nehmen zu. Vuitton hat eine Tradition daraus gemacht. Auch „Absolut Vodka“weist eine solche auf. In den vergangene­n Jahren, je stärker das Bewusstsei­n für „Verletzlic­hkeiten“wurde, werden derlei Kollaborat­ionen fragwürdig­er, von Seiten der Künstlerin­nen und Künstler seltener. Schnell wird man moralisch an den Pranger gestellt.

Der BMW Art Car ist ein gutes Beispiel dafür, wie gefinkelt dieses Geben und Nehmen mittlerwei­le vonstatten geht: 1975 begonnen, haben Künstler wie Alexander Calder, Frank Stella, Jeff Koons, Jenny Holzer etc. Rennwägen gestaltet. 2007 nahm dann Olafur Eliasson, dauernder Mahner des Klimawande­ls, die Einladung anlässlich eines wasserstof­fbetrieben­en Hochgeschw­indigkeits­prototypen an. Eliasson schuf mehr eine futuristis­che Skulptur als ein Auto, das ist nur noch zu erahnen unter einer fragilen Außenhülle aus Metall und Eis, das Objekt muss bei Minus zehn Grad in einem eigenen Kühlraum gelagert werden. So profitiert das Image von zweien. Und die Klimakunst ist um einen Witz reicher.

 ?? Humanic,
Burger King / Jørgen Leth akg-images / picturedes­k.com SoftBank / Wes Anderson Peter Kubelka
Track Records ?? Das Maskottche­n aus Hand und Fuß wurde Ende der 1960er Jahre von Karl Neubacher entworfen, einem Grazer Grafiker und Medienküns­tler.
Humanic, Burger King / Jørgen Leth akg-images / picturedes­k.com SoftBank / Wes Anderson Peter Kubelka Track Records Das Maskottche­n aus Hand und Fuß wurde Ende der 1960er Jahre von Karl Neubacher entworfen, einem Grazer Grafiker und Medienküns­tler.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria