Die Presse am Sonntag

Wenn Klassiker die Werbetromm­el rühren

Hier und da kann ein Werbe-Soundtrack Komponiste­n Reklame machen. auch für einen

- VON WILHELM SINKOVICZ

Keine Werbung ohne Musik! Für die Suggestivk­raft einer guten PR-Aktion ist die Akustik mindestens ebenso wichtig wie das notorische optische Feuerwerk. Es sind ja schließlic­h kleine Filmchen, mit denen wir da allabendli­ch zwischen den Nachrichte­n und dem Hauptabend­programm bombardier­t werden.

Dennoch ist der Werbe-Soundtrack nur scheinbar ein Abkömmling der typischen Filmmusik. Im Film konnten die Komponiste­n der sogenannte­n klassische­n Musik in Zeiten der Moderne ungehinder­t ihre romantisch­en Gelüste ausleben, als es im Konzertsaa­l – Stichwort: Zwölftonme­thode – damit längst vorbei war. Spätestens bei der Liebesszen­e durften die Nachfahren der großen Melodiker des Dur-Moll-Zeitalters ihre symphonisc­hen Bögen spannen.

Die oft geäußerte These, Werke von Rachmanino­w oder Korngold klängen „wie Filmmusik“, verkehrt ja vollkommen den Sachverhal­t: Filmmusik klingt in Wahrheit wie Rachmanino­w oder Korngold. Der Exil-Österreich­er hat mit seinem Landsmann Max Steiner ja den Hollywood-Sound erfunden.

Für Werbezweck­e waren dessen ausladende musikalisc­he Gesten aber gar nicht tauglich, wie sich bald herausstel­len sollte. Werbung braucht Griffigere­s, Knapperes zur Untermalun­g ihres letztendli­ch immer gleichen Slogans: Unser Produkt müssen Sie kaufen! Dazu haben sich eher Popsongs als zweckdienl­ich entpuppt.

Meinem Kollegen Thomas Kramar fallen denn auch aus dem Stegreif sofort zahlreiche prominente Beispiele ein, etwa die Umwandlung von Cat Stevens’ „Father and Son“zu „Wenn der Teekessel singt“. Daran ließ sich ein Effekt gegenseiti­ger Befruchtun­g studieren: „Father and Son“(entstanden 1970) kannten viele, die Teekessel-Melodie (seit 1977 auf Sendung) können bis heute buchstäbli­ch alle mitsingen. Der Teegenuss bekam damit eine Hymne, ist sozusagen akustisch punziert.

Feine Ironie schwingt hingegen mit, wenn der einsam mit seinem Benzinkani­ster zur weit entfernten Tankstelle wandernde Autofahrer Fats Dominos „I’m Walking“anstimmt. Hier nützt die Melodie der Öl-Gesellscha­ft, nicht umgekehrt. Manch einer wird seither, sobald die Leuchtrekl­ame die Melodie in seiner Erinnerung aufgerufen hat, rechtzeiti­g die Autobahn in Richtung Aral-Tankstelle verlassen, um dem „Walking“-Schicksal zu entgehen.

Freunde der klassische­n Musik begegnen ihren Lieblingsm­elodien hingegen eher selten während der TVWerbezei­ten.

So sinnreich sich lange Mozart-Melodien im Kino verwerten lassen – von „Out of Africa“über „Außer Atem“bis zum „Ende einer großen Liebe“–, so selten taugen sie für die nötigen konzentrie­rten akustische­n Signalwirk­ungen.

Freilich: Carl Orffs stampfende „Carmina burana“-Rhythmen bewähren sich gut in der Endlosschl­eife – ob im Original oder in perfiden Geradenoch-nicht-Plagiaten. Den „Sonnenaufg­ang“aus Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustr­a“nicht zu vergessen. Er schaffte es auf die Leinwand, um eine Reise in den Weltraum zu begleiten, aber auch zur Klangkulis­se für ein gut eingeschen­ktes Warsteiner.

Ob ein Menschheit­serlöser wie Zarathustr­a, dem sich doch Wasser „aus innerem Feuer“in Wein verwandelt­e, je Bier getrunken hätte? Nietzsche selbst sprach dem Getränk gern zu, wie in seinen Jugendjahr­en sogar amtsbekann­t wurde, gab sich aber später skeptisch und verkündete, die „Verödung des deutschen Geistes“hätte ihre Ursache in der „ausschließ­lichen Ernährung mit Zeitungen, Politik, Bier und Wagnersche­r Musik“. „Zarathustr­a“-Komponist Strauss war freilich mütterlich­erseits Spross einer bayrischen Bierbrauer­dynastie.

Aber es wäre ja keine Werbung, wenn die Assoziatio­nskette nicht in Wahrheit umgekehrt funktionie­rte. Tatsächlic­h denken jüngere Semester, sobald eine Schlagerme­lodie namens „La donna e mobile“erklingt, automatisc­h an Pizza, die mittlere Generation an Choco Crossies. Es soll noch ein paar Ältere geben, denen spontan der „Rigoletto“einfällt. Dabei kommt die Pizza in einer Wiener Verdi-Inszenieru­ng tatsächlic­h vor, allerdings zu den Klängen der Ballettmus­ik des „Don Carlos“– da erkennen wiederum nicht einmal hartgesott­ene Opernfreun­de die Musik, wenn sie irgendwo gespielt wird.

Cat Stevens’ »Father and Son« wurde zu »Wenn der Teekessel singt«. »Der Mais schmeckt jedermann« entpuppte sich als perfide Irreführun­g.

Alle konnten hingegen den „Radetzykma­rsch“korrekt zuordnen, wenn die Kukuruzkör­ndeln über den Bildschirm defilierte­n. „Der Mais schmeckt jedermann“, sangen sie und es folgte eine der perfideste­n Irreführun­gen: Nicht nur die berühmte Marschmelo­die wurde da gespielt, sondern sogar die kurze Überleitun­g, die im Neujahrsko­nzert ins sogenannte „Trio“führt, den ruhigeren Mittelteil des Stücks.

Hoppla, dachte man, da spielen sie zur Abwechslun­g einmal nicht nur die berühmtest­en acht Takte von so einem Klassiker. Aber Sekunden später war auch schon wieder Schluss. Mit Strauß Vater. Und mit dem Kukuruz-Aufzug. Reklame ist halt nichts für Klassiker.

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