Wenn Klassiker die Werbetrommel rühren
Hier und da kann ein Werbe-Soundtrack Komponisten Reklame machen. auch für einen
Keine Werbung ohne Musik! Für die Suggestivkraft einer guten PR-Aktion ist die Akustik mindestens ebenso wichtig wie das notorische optische Feuerwerk. Es sind ja schließlich kleine Filmchen, mit denen wir da allabendlich zwischen den Nachrichten und dem Hauptabendprogramm bombardiert werden.
Dennoch ist der Werbe-Soundtrack nur scheinbar ein Abkömmling der typischen Filmmusik. Im Film konnten die Komponisten der sogenannten klassischen Musik in Zeiten der Moderne ungehindert ihre romantischen Gelüste ausleben, als es im Konzertsaal – Stichwort: Zwölftonmethode – damit längst vorbei war. Spätestens bei der Liebesszene durften die Nachfahren der großen Melodiker des Dur-Moll-Zeitalters ihre symphonischen Bögen spannen.
Die oft geäußerte These, Werke von Rachmaninow oder Korngold klängen „wie Filmmusik“, verkehrt ja vollkommen den Sachverhalt: Filmmusik klingt in Wahrheit wie Rachmaninow oder Korngold. Der Exil-Österreicher hat mit seinem Landsmann Max Steiner ja den Hollywood-Sound erfunden.
Für Werbezwecke waren dessen ausladende musikalische Gesten aber gar nicht tauglich, wie sich bald herausstellen sollte. Werbung braucht Griffigeres, Knapperes zur Untermalung ihres letztendlich immer gleichen Slogans: Unser Produkt müssen Sie kaufen! Dazu haben sich eher Popsongs als zweckdienlich entpuppt.
Meinem Kollegen Thomas Kramar fallen denn auch aus dem Stegreif sofort zahlreiche prominente Beispiele ein, etwa die Umwandlung von Cat Stevens’ „Father and Son“zu „Wenn der Teekessel singt“. Daran ließ sich ein Effekt gegenseitiger Befruchtung studieren: „Father and Son“(entstanden 1970) kannten viele, die Teekessel-Melodie (seit 1977 auf Sendung) können bis heute buchstäblich alle mitsingen. Der Teegenuss bekam damit eine Hymne, ist sozusagen akustisch punziert.
Feine Ironie schwingt hingegen mit, wenn der einsam mit seinem Benzinkanister zur weit entfernten Tankstelle wandernde Autofahrer Fats Dominos „I’m Walking“anstimmt. Hier nützt die Melodie der Öl-Gesellschaft, nicht umgekehrt. Manch einer wird seither, sobald die Leuchtreklame die Melodie in seiner Erinnerung aufgerufen hat, rechtzeitig die Autobahn in Richtung Aral-Tankstelle verlassen, um dem „Walking“-Schicksal zu entgehen.
Freunde der klassischen Musik begegnen ihren Lieblingsmelodien hingegen eher selten während der TVWerbezeiten.
So sinnreich sich lange Mozart-Melodien im Kino verwerten lassen – von „Out of Africa“über „Außer Atem“bis zum „Ende einer großen Liebe“–, so selten taugen sie für die nötigen konzentrierten akustischen Signalwirkungen.
Freilich: Carl Orffs stampfende „Carmina burana“-Rhythmen bewähren sich gut in der Endlosschleife – ob im Original oder in perfiden Geradenoch-nicht-Plagiaten. Den „Sonnenaufgang“aus Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“nicht zu vergessen. Er schaffte es auf die Leinwand, um eine Reise in den Weltraum zu begleiten, aber auch zur Klangkulisse für ein gut eingeschenktes Warsteiner.
Ob ein Menschheitserlöser wie Zarathustra, dem sich doch Wasser „aus innerem Feuer“in Wein verwandelte, je Bier getrunken hätte? Nietzsche selbst sprach dem Getränk gern zu, wie in seinen Jugendjahren sogar amtsbekannt wurde, gab sich aber später skeptisch und verkündete, die „Verödung des deutschen Geistes“hätte ihre Ursache in der „ausschließlichen Ernährung mit Zeitungen, Politik, Bier und Wagnerscher Musik“. „Zarathustra“-Komponist Strauss war freilich mütterlicherseits Spross einer bayrischen Bierbrauerdynastie.
Aber es wäre ja keine Werbung, wenn die Assoziationskette nicht in Wahrheit umgekehrt funktionierte. Tatsächlich denken jüngere Semester, sobald eine Schlagermelodie namens „La donna e mobile“erklingt, automatisch an Pizza, die mittlere Generation an Choco Crossies. Es soll noch ein paar Ältere geben, denen spontan der „Rigoletto“einfällt. Dabei kommt die Pizza in einer Wiener Verdi-Inszenierung tatsächlich vor, allerdings zu den Klängen der Ballettmusik des „Don Carlos“– da erkennen wiederum nicht einmal hartgesottene Opernfreunde die Musik, wenn sie irgendwo gespielt wird.
Cat Stevens’ »Father and Son« wurde zu »Wenn der Teekessel singt«. »Der Mais schmeckt jedermann« entpuppte sich als perfide Irreführung.
Alle konnten hingegen den „Radetzykmarsch“korrekt zuordnen, wenn die Kukuruzkörndeln über den Bildschirm defilierten. „Der Mais schmeckt jedermann“, sangen sie und es folgte eine der perfidesten Irreführungen: Nicht nur die berühmte Marschmelodie wurde da gespielt, sondern sogar die kurze Überleitung, die im Neujahrskonzert ins sogenannte „Trio“führt, den ruhigeren Mittelteil des Stücks.
Hoppla, dachte man, da spielen sie zur Abwechslung einmal nicht nur die berühmtesten acht Takte von so einem Klassiker. Aber Sekunden später war auch schon wieder Schluss. Mit Strauß Vater. Und mit dem Kukuruz-Aufzug. Reklame ist halt nichts für Klassiker.