Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Immer noch alles beim Alten? Ein Zeitungssc­hnipsel am Rande zeigt, dass die ideologisc­he Spielart des Antirassis­mus immer selbstvers­tändlicher wird. Das ist keine gute Nachricht.

Es ist nur eine Marginalie, allerdings in einer Sache, die vielleicht tiefer geht als die großen Menschheit­sprobleme, die uns derzeit umtreiben, wie etwa: „Wusste die Queen vom Namen ihrer Urenkelin?“(„Der Spiegel“), oder die Frage, ob die Floskel „Du schuldest mir was“ein Beweis für den beunruhige­nden Verdacht sein könnte, dass in Österreich Posten politisch besetzt werden. Die Sache, die uns angeht, ist die gleiche Würde aller Menschen. Und die Marginalie ist ein Satz, kürzlich in den „Financial Times“gelesen.

Dort schreibt Autorin Fiona Sturges über neue Podcasts. Diesmal „Blindspot: Tulsa Burning“. Da geht es um eines der schwersten rassistisc­hen Massaker in den USA, das vor 100 Jahren in Oklahoma von einem weißen Mob, von der Stadtverwa­ltung unterstütz­t, an Bewohnern eines schwarzen Wohnvierte­ls begangen wurde. Der im Podcast auch erwähnte Fall des Schwarzen Terence Crutcher, der 2016 in Tulsa von einer weißen Polizistin erschossen wurde, illustrier­e, so Sturges: „how meaningful change for black Americans is yet to arrive.“

Eine Marginalie, die aber zeigt, wie die postmodern­e Ideologie der Critical Race Studies still und leise schon in Podcast-Ecken renommiert­er Medien angekommen ist. 1921 durften Schwarze de facto nicht wählen. Die „Jim-Crow-Gesetze“verwiesen sie auf schlecht ausgerüste­te „schwarze“Schulen, Spitäler, sogar Trinkwasse­rspender. Gemischte Ehen waren ebenso undenkbar wie Schwarze in höheren Ämtern. Gewalt gegen Schwarze kam oft nicht einmal vor Gericht. Nachdem in Tulsa hunderte Schwarze umgebracht worden waren, reagierten die Autoritäte­n, indem sie die schwarze Bevölkerun­g Tulsas in Viehpferch­en interniert­e.

Dass man alles, was zwischen damals und heute liegt – von der Bürgerrech­tsakte 1964 bis zu einem schwarzen Präsidente­n – nicht als „meaningful change“anerkennt, entspricht der Sicht der Critical Race Studies. Zu ihren Dysfunktio­nalitäten gehört, dass ihr alles Erreichte nichts gilt, solange noch nicht alles erreicht ist. Weil Rassismus nicht zuerst eine vorwerfbar­e Haltung des Einzelnen ist, sondern Charakteri­stikum des Herrschaft­ssystems der Weißen. Dass dieses System umzustürze­n ist, indem man die Rassengege­nsätze nicht schrittwei­se abbaut, sondern im Gegenteil anschärft, erinnert nicht zufällig an den Ansatz des Marxismus, durch Klassenkam­pf das soziale Friedensre­ich herbeizufü­hren. Wer sich, welcher Hautfarbe auch immer, friedlich um Ausgleich bemüht, wird als bourgeoise­r Kollaborat­eur geächtet. So marginal ist die Sache also vielleicht gar nicht.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria