Der Anfang vom Ende der Republik
Mit dem geplanten Wahlsieg von Ebrahim Raisi bei der Präsidentenwahl im Iran haben die Hardliner endgültig die totale Macht im gesamten Staatssystem.
Das iranische Regime wartete nicht auf die Bekanntgabe des offiziellen Ergebnisses. Schon am frühen Samstagmorgen erhielt der erzkonservative Jurist Ebrahim Raisi die ersten Glückwünsche zu seinem Sieg bei der Präsidentenwahl vom Freitag. Revolutionsführer Ali Khamenei erklärte, er danke Gott für das Ergebnis. Raisis Mitbewerber gratulierten ebenso wie der scheidende Amtsinhaber, Hassan Rohani. Der alte und der neue Präsident kamen demonstrativ zu einem Treffen zusammen. Das Regime zeigt Geschlossenheit.
Raisis Erfolg stand schon vor der Wahl fest – weil es der eigentliche Sieger so wollte: Khamenei hat nun einen Präsidenten, der politisch vollkommen von ihm abhängig ist. Raisis Wahl läutet nach Ansicht von Beobachtern das Ende der Republik und den Beginn einer regelrechten Diktatur unter dem 82-jährigen Khamenei ein. Der Westen muss weiter mit einer aggressiven iranischen Außenpolitik rechnen. Die USA wollen deshalb noch vor Raisis Amtsübernahme im August eine Neubelebung des Atomvertrags mit dem Iran unter Dach und Fach bringen.
Geringe Wahlbeteiligung. Khamenei hatte die Wahl ganz auf seinen 60-jährigen Vertrauten Raisi zugeschnitten, der bisher Chef der iranischen Justiz war. Der von Khamenei kontrollierte Wächterrat schloss prominente Rivalen von Raisi von der Wahl aus. Mit seinem Sieg ist die Machtübernahme der Hardliner komplett. Sie stellen mit Khamenei den Revolutionsführer und damit den mächtigsten Mann im Land, beherrschen das Parlament und schicken nun einen ihrer Vertreter ins zivile Präsidentenamt. Medienberichten zufolge könnte Raisi den früheren Atom-Unterhändler Said Dschalili zum Außenminister ernennen. Der 55-Jährige ist ein ehemaliger Büroleiter Khameneis und zählt ebenfalls zu den Hardlinern.
Eine eigene Machtbasis hat Raisi indes nicht. Er war ein Kandidat von Khameneis Gnaden, dessen Wahl von Millionen Iranern boykottiert wurde. Der staatliche Sender PressTV meldete unter Berufung aufs Innenministerium, Raisi habe rund 62 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten. Die Beteiligung lag selbst nach diesen offiziellen Angaben aber bei nur 48 Prozent der rund 59 Millionen registrierten Wähler – ein historischer Tiefstand für eine iranische Präsidentenwahl. Die Exil-Oppositionsgruppe NCRI bezifferte die Beteiligung sogar auf unter zehn Prozent und berief sich auf Berichte aus 400 iranischen Städten. Bei der letzten Präsidentenwahl 2017 betrug die Beteiligung über 70 Prozent.
Ende des Dualismus an der Spitze. Die Wahl ist eine Wegscheide, weil sie den Dualismus an der Spitze der Islamischen Republik beendet. Nach der Verfassung ist der – vom konservativen Expertenrat bestimmte – Revolutionsführer zwar der entscheidende Mann. Doch der vom Volk gewählte Präsident bildet ein politisches Gegengewicht. Häufig in seinen mehr als 30 Jahren als Revolutionsführer musste Khamenei mit Präsidenten konkurrieren, die eigene mächtige Seilschaften anführten oder auf große öffentliche Unterstützung zählen konnten. Ab sofort ist der Präsident dem Revolutionsführer noch klarer untergeordnet. Kritiker wie ExPräsident Mohammed Khatami (1997–2005) hatten vor der Wahl vor dem Ende der Republik gewarnt.
Khameini wolle ganz bewusst republikanische Elemente abschaffen, meint Ali Vaez, Iran-Experte der in Brüssel ansässigen Denkfabrik International Crisis Group. Er wisse, wie „dysfunktional“das politische System sei, sagte Vaez dem Magazin „New Yorker“. Deshalb wolle der 82-Jährige strukturelle Veränderungen im Staat durchsetzen, die seinem Amt alle Macht sichern – auch über seine eigene Lebenszeit hinaus. Dass sich Raisi als Präsident gegen diese Pläne wehrt, ist unwahrscheinlich: Er ist nämlich als Nachfolger Khameneis im Gespräch.
Interessenlagen machen einen ernsthaften Kampf gegen Korruption fast unmöglich.
Im Wahlkampf hatte Raisi versprochen, gegen die grassierende Korruption im Iran vorzugehen. Ob Khamenei das erlauben wird, ist unsicher, weil mächtige Gruppen wie die Revolutionsgarde wirtschaftliche Vorteile genießen, die ihnen bei geordneten Verhältnissen verschlossen wären. Innenpolitisch wird Raisi zudem daran gemessen werden, ob er die sanktionsbeladene Wirtschaft wieder flott bekommt. In der Außenpolitik dürfte er sich an die Vorgaben von Khamenei und der Revolutionsgarde halten, die Irans Einfluss im Irak, in Syrien und im Libanon unbedingt erhalten wollen.
Gewisse Chancen für Atomvertrag. Wirtschaftliche Zwänge dürften Khamenei und Raisi jedoch dazu bewegen, zumindest das Atomabkommen mit dem Westen zu reparieren, um die USSanktionen möglichst rasch zu beenden. Der scheidende Außenminister Javad Zarif sagte am Samstag im türkischen Antalya, eine Einigung noch vor Raisis Amtsantritt im August sei möglich. Irans Delegationschef bei den seit Frühjahr laufenden Wiener Gesprächen über den Atomvertrag, Abbas Arraghchi, sagte dem Sender Al-Jazeera, die Gespräche würden trotz der Wahl wie geplant weitergehen.
Auch die USA drängen auf einen raschen Abschluss der Wiener Verhandlungen. Die Nachrichten-Plattform Axios zitierte einen US-Beamten mit den Worten, eine Einigung sei nach Raisis Amtsantritt fraglich.