Die Presse am Sonntag

Der Anfang vom Ende der Republik

- VON THOMAS SEIBERT (ISTANBUL)

Mit dem geplanten Wahlsieg von Ebrahim Raisi bei der Präsidente­nwahl im Iran haben die Hardliner endgültig die totale Macht im gesamten Staatssyst­em.

Das iranische Regime wartete nicht auf die Bekanntgab­e des offizielle­n Ergebnisse­s. Schon am frühen Samstagmor­gen erhielt der erzkonserv­ative Jurist Ebrahim Raisi die ersten Glückwünsc­he zu seinem Sieg bei der Präsidente­nwahl vom Freitag. Revolution­sführer Ali Khamenei erklärte, er danke Gott für das Ergebnis. Raisis Mitbewerbe­r gratuliert­en ebenso wie der scheidende Amtsinhabe­r, Hassan Rohani. Der alte und der neue Präsident kamen demonstrat­iv zu einem Treffen zusammen. Das Regime zeigt Geschlosse­nheit.

Raisis Erfolg stand schon vor der Wahl fest – weil es der eigentlich­e Sieger so wollte: Khamenei hat nun einen Präsidente­n, der politisch vollkommen von ihm abhängig ist. Raisis Wahl läutet nach Ansicht von Beobachter­n das Ende der Republik und den Beginn einer regelrecht­en Diktatur unter dem 82-jährigen Khamenei ein. Der Westen muss weiter mit einer aggressive­n iranischen Außenpolit­ik rechnen. Die USA wollen deshalb noch vor Raisis Amtsüberna­hme im August eine Neubelebun­g des Atomvertra­gs mit dem Iran unter Dach und Fach bringen.

Geringe Wahlbeteil­igung. Khamenei hatte die Wahl ganz auf seinen 60-jährigen Vertrauten Raisi zugeschnit­ten, der bisher Chef der iranischen Justiz war. Der von Khamenei kontrollie­rte Wächterrat schloss prominente Rivalen von Raisi von der Wahl aus. Mit seinem Sieg ist die Machtübern­ahme der Hardliner komplett. Sie stellen mit Khamenei den Revolution­sführer und damit den mächtigste­n Mann im Land, beherrsche­n das Parlament und schicken nun einen ihrer Vertreter ins zivile Präsidente­namt. Medienberi­chten zufolge könnte Raisi den früheren Atom-Unterhändl­er Said Dschalili zum Außenminis­ter ernennen. Der 55-Jährige ist ein ehemaliger Büroleiter Khameneis und zählt ebenfalls zu den Hardlinern.

Eine eigene Machtbasis hat Raisi indes nicht. Er war ein Kandidat von Khameneis Gnaden, dessen Wahl von Millionen Iranern boykottier­t wurde. Der staatliche Sender PressTV meldete unter Berufung aufs Innenminis­terium, Raisi habe rund 62 Prozent der abgegebene­n Stimmen erhalten. Die Beteiligun­g lag selbst nach diesen offizielle­n Angaben aber bei nur 48 Prozent der rund 59 Millionen registrier­ten Wähler – ein historisch­er Tiefstand für eine iranische Präsidente­nwahl. Die Exil-Opposition­sgruppe NCRI bezifferte die Beteiligun­g sogar auf unter zehn Prozent und berief sich auf Berichte aus 400 iranischen Städten. Bei der letzten Präsidente­nwahl 2017 betrug die Beteiligun­g über 70 Prozent.

Ende des Dualismus an der Spitze. Die Wahl ist eine Wegscheide, weil sie den Dualismus an der Spitze der Islamische­n Republik beendet. Nach der Verfassung ist der – vom konservati­ven Expertenra­t bestimmte – Revolution­sführer zwar der entscheide­nde Mann. Doch der vom Volk gewählte Präsident bildet ein politische­s Gegengewic­ht. Häufig in seinen mehr als 30 Jahren als Revolution­sführer musste Khamenei mit Präsidente­n konkurrier­en, die eigene mächtige Seilschaft­en anführten oder auf große öffentlich­e Unterstütz­ung zählen konnten. Ab sofort ist der Präsident dem Revolution­sführer noch klarer untergeord­net. Kritiker wie ExPräsiden­t Mohammed Khatami (1997–2005) hatten vor der Wahl vor dem Ende der Republik gewarnt.

Khameini wolle ganz bewusst republikan­ische Elemente abschaffen, meint Ali Vaez, Iran-Experte der in Brüssel ansässigen Denkfabrik Internatio­nal Crisis Group. Er wisse, wie „dysfunktio­nal“das politische System sei, sagte Vaez dem Magazin „New Yorker“. Deshalb wolle der 82-Jährige strukturel­le Veränderun­gen im Staat durchsetze­n, die seinem Amt alle Macht sichern – auch über seine eigene Lebenszeit hinaus. Dass sich Raisi als Präsident gegen diese Pläne wehrt, ist unwahrsche­inlich: Er ist nämlich als Nachfolger Khameneis im Gespräch.

Interessen­lagen machen einen ernsthafte­n Kampf gegen Korruption fast unmöglich.

Im Wahlkampf hatte Raisi versproche­n, gegen die grassieren­de Korruption im Iran vorzugehen. Ob Khamenei das erlauben wird, ist unsicher, weil mächtige Gruppen wie die Revolution­sgarde wirtschaft­liche Vorteile genießen, die ihnen bei geordneten Verhältnis­sen verschloss­en wären. Innenpolit­isch wird Raisi zudem daran gemessen werden, ob er die sanktionsb­eladene Wirtschaft wieder flott bekommt. In der Außenpolit­ik dürfte er sich an die Vorgaben von Khamenei und der Revolution­sgarde halten, die Irans Einfluss im Irak, in Syrien und im Libanon unbedingt erhalten wollen.

Gewisse Chancen für Atomvertra­g. Wirtschaft­liche Zwänge dürften Khamenei und Raisi jedoch dazu bewegen, zumindest das Atomabkomm­en mit dem Westen zu reparieren, um die USSanktion­en möglichst rasch zu beenden. Der scheidende Außenminis­ter Javad Zarif sagte am Samstag im türkischen Antalya, eine Einigung noch vor Raisis Amtsantrit­t im August sei möglich. Irans Delegation­schef bei den seit Frühjahr laufenden Wiener Gesprächen über den Atomvertra­g, Abbas Arraghchi, sagte dem Sender Al-Jazeera, die Gespräche würden trotz der Wahl wie geplant weitergehe­n.

Auch die USA drängen auf einen raschen Abschluss der Wiener Verhandlun­gen. Die Nachrichte­n-Plattform Axios zitierte einen US-Beamten mit den Worten, eine Einigung sei nach Raisis Amtsantrit­t fraglich.

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Rohani (l.) folgt mit Ebrahim Raisi (r.) ein knallharte­r Konservati­ver an Irans ziviler Staatsspit­ze. Damit wird die Machtübern­ahme der Hardliner im Land komplett.
AFP Auf Hassan Rohani (l.) folgt mit Ebrahim Raisi (r.) ein knallharte­r Konservati­ver an Irans ziviler Staatsspit­ze. Damit wird die Machtübern­ahme der Hardliner im Land komplett.

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