Die Presse am Sonntag

»Richter Gnadenlos«

Manche Kritiker nennen den designiert­en Präsidente­n Raisi nichts weniger als einen »Massenmörd­er«.

- VON THOMAS SEIBERT

Beliebt ist Irans designiert­er Präsident, Ebrahim Raisi, bei vielen Landsleute­n nicht. Aber gefürchtet. Ende der 1980er sei er als junger Jurist von einer iranischen Stadt in die andere geflogen und habe Hinrichtun­gen angeordnet, erzählen ältere Iraner nach Angaben des Iran-Experten Eskandar Sadeghi von der Londoner Goldsmiths-Universitä­t. Die Exil-Opposition­sgruppe NCRI nennt Raisi einen „Massenmörd­er“, auch Amnesty Internatio­nal fordert Ermittlung­en gegen ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit.

Die USA haben Raisi mit Sanktionen belegt, was Auftritte des künftigen Präsidente­n im Ausland diplomatis­ch knifflig machen könnte. Doch der 60-Jährige dürfte sich davon nicht beeindruck­en lassen. Das Präsidente­namt soll für ihn nur eine Zwischenst­ation zu noch höheren Weihen sein.

Mitglied von „Todeskommi­ssion“. Raisi entstammt einer frommen Familie in Maschhad im Nordosten des Irans und trägt den schwarzen Turban eines „Seyyed“, eines Nachfahren­s des Propheten Mohammed. In der heiligen Stadt Qom studierte er Theologie und islamische­s Recht bei seinem heutigen Förderer, Revolution­sführer Ali Khamenei. Schon bald nach der islamische­n Revolution 1978/79 machte er sich als Vollstreck­er einen Namen. 1988 soll er als Staatsanwa­lt an der Massenhinr­ichtung von rund 5000 angebliche­n Staatsfein­den beteiligt gewesen sein: Er gehörte nach Recherchen von Amnesty Internatio­nal zu einer „Todeskommi­ssion“, die Angeklagte reihenweis­e zum Galgen schickte. Wegen der vielen Verurteilt­en henkte man die Opfer laut Medienberi­chten im 30-Minuten-Takt.

Später stieg Raisi zum Oberstaats­anwalt in der Hauptstadt Teheran, zum Generalsta­atsanwalt und schließlic­h zum Chef der Justiz auf.

Nach Einschätzu­ng der US-Behörden machte sich Raisi auch bei der Niederschl­agung von Protesten nach der manipulier­ten Präsidente­nwahl 2009 schuldig. In seiner Zeit als Justizchef gingen die Behörden ebenfalls drakonisch gegen Andersdenk­ende vor. Allein

von 2017 bis 2020 wurden nach Zählung von Menschenre­chtlern mehr als 1300 Menschen hingericht­et, Hunderte weitere von Sicherheit­skräften bei Demonstrat­ionen getötet.

In seiner politische­n Laufbahn war sein Ruf als gnadenlose­r Hardliner zunächst ein Hindernis: 2017 unterlag er bei der Präsidente­nwahl dem Reformer Hassan Rohani. Diesmal genoss er jedoch die Unterstütz­ung von Khamenei, der die wichtigste­n Rivalen seines Schützling­s von der Wahl ausschließ­en ließ. Im Wahlkampf präsentier­te sich Raisi als Mann des Volkes, der Korruption und Armut ausmerzen will. Schon früher hatte er hohe Beamte vor Gericht stellen lassen, sogar Richter. Die mächtigste­n Gruppen im Staat, etwa die Revolution­sgarde, blieben jedoch verschont. Raisi braucht die Unterstütz­ung der Garde für seine Amtsführun­g.

Außenpolit­isch ist Raisi bisher kaum in Erscheinun­g getreten. In seinen wenigen Kommentare­n über das Ausland blieb er seinem Ruf als Hardliner treu. Im Jänner drohte er dem früheren US-Präsidente­n Donald Trump mit einem Attentat als Vergeltung für den US-Mordanschl­ag auf den iranischen General Qassem Soleimani ein Jahr zuvor im Irak. Vor drei Jahren besuchte Raisi laut Medienberi­chten die vom Iran gegründete und finanziert­e Hisbollah-Miliz im Libanon.

Spekulatio­nen über höhere Weihen. Dass Revolution­sführer Khamenei in Präsident Raisi einen treuen Anhänger sieht, steht fest. Indem er ihm den Sieg sicherte, fachte Khamenei (82) auch Spekulatio­nen an, wonach Raisi nicht nur als Staatschef auserkoren wurde, sondern auch als Revolution­sführer nach Khameneis Tod. Auch dieser war Präsident gewesen, als er 1989 zum Nachfolger von Ajatollah Ruhollah Khomeini aufstieg. Freilich könnten die Manipulati­onen bei der Präsidente­nwahl und die niedrige Wahlbeteil­igung jetzt Raisis Position geschwächt haben. Zudem gibt es noch andere Mitglieder der Elite, die sich Hoffnungen auf die höchste Position im Staat machen, darunter Khameneis Sohn Mojtaba.

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