Die Presse am Sonntag

Out of Message Control

- VON ANNA THALHAMMER

Sebastian Kurz hatte lang den Ruf des talentiert­en Machtpolit­ikers mit Gespür für Erzählunge­n und Themen. Seit er und seine Vertrauten von den Korruption­sjägern angezählt sind, tut er sich schwer, aus der Defensive zu kommen.

Wenn man mit Kanzler Sebastian Kurz im Lift fährt, zupft er am Hemd, zieht das Sakko zurecht, streicht über die Haare. Er mag Unordnung nicht. Nicht an sich selbst, nicht in der ÖVP, nicht in der Regierung. Darum hat er gern Pläne in der Schublade: für die Machtübern­ahme der Partei. Für die Themensetz­ung plus PRStrategi­e und Zeitraster. In letzter Zeit werden seine Pläne aber von Pandemie, Staatsanwa­ltschaft und Koalitions­partner durchkreuz­t. Kurz’ Image hat Risse bekommen. Und plötzlich geht die Strategie nicht mehr so auf.

„Wenn alles gut ist, ist es einfach, gut zu sein“, sagt ein Parteistra­tege zur „Presse“. Und das war es damals im Frühjahr 2017, als Kurz den Ex-ÖVPChef Reinhold Mitterlehn­er absägte. Auch wenn Letzterer gern die Dolchstoßl­egende pflegt, die Wahrheit ist auch: Mitterlehn­er war in der ÖVP alles andere als nur beliebt. Viele wünschten sich ein weniger verstaubte­s Image. Eine Verjüngung. Einen Machtpolit­iker, der intern wie extern begeistern konnte. Das verkörpert­e Sebastian Kurz, hinter dem sich die ÖVP schließlic­h loyal versammelt­e.

Arbeit. Kurz’ Erfolgsrez­ept basiert nicht auf Intuition für die Stimmungen im Volk. Zum Gutteil war es schlicht profession­ell geplante Strategie, die mit wenigen Vertrauten umgesetzt wurde. Kurz ließ sich Woche für Woche durch Umfragen Einblicke in die Volksseele geben. Diese Zahlen verwandelt­e er in Politik und setzte Themen, die unter Türkis-Blau in dicht getakteten MiniPR-Kampagnen präsentier­t wurden.

Innerparte­ilich konzentrie­rte Kurz die Macht oben bei sich und seinen Vertrauten: Finanzmini­ster Gernot Blümel, Kabinettsc­hef Bernhard Bonelli, Generalsek­retär Axel Melchior, PR-Mann Gerald Fleischman­n und Berater Stefan Steiner. Alles Männer zwischen Mitte dreißig und vierzig. Vor Kurz war die ÖVP ein behäbiger Tanker mit unübersich­tlichen Gemengelag­en. Die Machtzentr­ierung ermöglicht­e ihm einerseits, die Partei dynamische­r zu führen. Diese Struktur ist anderersei­ts dann, wenn es Probleme gibt, weniger hilfreich: Denn nur wenn die Macht breit verteilt ist, können auch Probleme breit gefächert werden.

Der Schutzwall um Kurz ist aber nur klein. Haben seine Vertrauten Probleme, geht das auch auf sein Konto. Bonelli und Blümel werden von der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) als Beschuldig­te geführt. Kurz selbst seit einiger Zeit wegen Falschauss­age auch.

Er ist in der Bredouille: Tauscht er die Personen um sich, könnte das als Schuldeing­eständnis gewertet werden. Tauscht er sie nicht, muss er weiter mit einem angeschlag­enen Kreis arbeiten.

Fehlende Pflichtver­teidiger. Spätestens seit den Ermittlung­en fallen Kurz und seine Partei in den Umfragen – die ÖVP liegt schon schlechter als vor der letzten Wahl. Heißt: Wähler sind abgewander­t. Das sehen auch die ÖVP-Granden, die sich nicht mehr so für Kurz ins Zeug hauen, wie das schon einmal war. Nach Bekanntwer­den seines Beschuldig­tenstatus verkündete­n die Landeshaup­tleute zwar brav, hinter ihm zu stehen. Über die Maßen verteidigt wird er aber nicht, manche distanzier­en sich auch. Oberösterr­eichs Landeshaup­tmann, Thomas Stelzer, sagte vor Kurzem, dass er auf Auftritte von Bundespoli­tikern im Landtagswa­hlkampf eher verzichten wolle. In Vorarlberg kritisiert­en mehrere ÖVPler diverse Breitseite­n gegen die Justiz sowie die öffentlich gewordenen Chats. Dass sich Kurz mit Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid über die Kirche lustig machte, kommt in den Ländern besonders schlecht an. Sie zeigen Kurz’ zynische Seite, die nicht zum neuen Stil passt.

ÖVP-Generalsek­retär Melchior oder Klubobmann August Wöginger rücken auffallend selten zur Verteidigu­ng des Kanzlers aus. Dies obliegt meistens den Ministerin­nen Elisabeth Köstinger oder Karoline Edtstadler.

Und das sorgt dafür, dass Probleme immer gleich auf Regierungs­ebene landen. Die Frontalang­riffe der ÖVP auf die Justiz wurden sofort zur grünen Chefsache: Vizekanzle­r Werner Kogler

Kanzler Sebastian Kurz ist derzeit stark in der Defensive. und Justizmini­sterin Alma Zadic´ stellten sich vor die WKStA und gegen den Koalitions­partner.

Öffnungssu­pertrumpf. In all dem Tumult tut sich die sonst so talentiert­e türkise ÖVP mit einer Strategie zu Gegenwehr und Ablenkung plötzlich schwer. Man versucht es mit alten Mustern, indem man das stimmbring­ende Thema Migration wieder mehr bedient. Man versucht es mit Bürgernähe und Emotionali­tät, indem Kanzler Kurz nun öfter mit seiner Freundin in die Öffentlich­keit tritt. Man versucht es, indem man gute Nachrichte­n verbreitet. Etwa, indem sich Kurz mit Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein in der Verkündung von Öffnungssc­hritten übertrumpf­t. Über den Sommer mag das reichen. Auf Kurz warten harte politische Zeiten. Die Pandemie kommt zurück, und der Kanzler steht vor einer Anklage. Spätestens dann braucht er einen besseren Plan.

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