Kurz will weiter nach Afghanistan abschieben
Flüchtlingspolitik. In Afghanistan verschärft sich die Lage drastisch. Justizministerin Zadi´c will Abschiebungen prüfen, Kurz lehnt ab.
Wien. Nach 20 Jahren zieht die Nato aus Afghanistan ab. Die Taliban sind auf dem Vormarsch. Eine Studie zeigte: Wer nach Afghanistan abgeschoben wird, ist dort in Gefahr und flieht wieder. Und: Es flüchten tatsächlich wieder mehr Menschen Richtung Europa.
Die Grüne Justizministerin Alma Zadic´ will darum eine Evaluierung der Abschiebungen. Für Kanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer kommt ein Abschiebestopp nicht in Frage, wie sie am Samstag betonten.
Nach dem Westbalkangipfel in Wien und vor dem Europäischen Rat kommende Woche wollen Kurz und Nehammer ihre harte Linie in der Causa sogar noch verstärken. Sie wollen ein „konsequenteres Vorgehen bei Rückführungen bereits vor den Toren der EU“. Kurz betont dazu, dass es eine EUAsylreform, die mehr Migration erzeugt, „mit ihm nicht geben wird“. Einem aktuellen Vorschlag, Abschiebungen nach Afghanistan zu evaluieren, erteilten Kurz und Nehammer eine klare Absage. Österreich werde nach wie vor sowohl freiwillige als auch zwangsweise Rückführungen nach Afghanistan
durchführen. Die sollen nun auch vorangetrieben werden. Nehammer vereinbarte bei seiner Westbalkanreise vor einigen Wochen mit dem bosnischen Innenminister, ein konkretes Projekt zu starten, um Rückführungen bereits aus Bosnien zu organisieren. Es gebe dazu schon eine Arbeitsgruppe. Flüchtlinge würden somit gar kein Asylverfahren mehr auf EU-Boden durchlaufen können. Menschenrechtsorganisationen hatten in der Vergangenheit mehrfach miserable Zustände für Flüchtlinge und Menschenrechtsverletzungen in Bosnien dokumentiert.
Konsequente Linie. Kurz und Nehammer argumentieren ihre Haltung mit dem hohen Migrationsdruck auf Österreich. Man wolle keine Anreize erzeugen. Kurz: „Österreich hat in den letzten Jahren mehr geleistet als die meisten EU-Länder. Wir müssen die Außengrenzen schützen, um Druck auf Österreich und unser Sozialsystem zu verringern. Auch eine EU-Asylreform, die mehr illegale Migration auslöst und Flüchtlinge verteilen will, wird von uns keine Unterstützung finden.“
mre Yavuz lebt seit Jahren in Wien. Erst studierte er, geboren 1990 im türkischen Izmir, an der Musik und Kunst Privatuniversität Wien, seither lebt er als Pianist in Wien. Und hat sich als solcher schon zuvor einen Namen gemacht: Mit acht Jahren wurde er im Rahmen des „Gesetzes für Wunderkinde r“zum Studium am Konservatorium Ankara zugelassen, als Kind und Jugendlicher wurde er vielfach ausgezeichne t,spielte Solo- und Orchesterkonzerte.
Er wird von Bösendorfer unterstützt und zuletzt sorgte Yavuz mit einer Rachmaninow-CD für Aufsehen. Man könnte also durchaus annehmen, einer wie er wäre in der selbst ernannten Kultur- und Klassikstadt Wien willkommen. Er selbst hatte zuletzt aber einen eher gegenteiligen Eindruck.
Schließlich sollte es nun wieder mit Konzerten losgehen, mehrere auch internationale Engagements stehen an. Ob er aber tatsächlich endlich wieder vor Publikum spielen kann, darum musste Yavuz monatelang bangen. In der Coronazeit kam es offenbar zu massiven Verzögerungen bei der Verlängerung von Visa – und Problemen mit der zuständigen MA 35 (Einwanderung).
Den Vorwurf, Künstler würden Monate in der Luft hängen, weist die MA 35 zurück.
Yavuz lebt seit fünf Jahren in Wien, zuerst mit einem Studentenvisum, dann mit einem Künstlervisum. Und dieses Visum, eigentlich eine „Niederlassungsbewilligung Künstler“muss jährlich verlängert werden. „Ich habe die Verlängerung Ende 2020 beantragt, im Jänner Unterlagen nachgereicht. Seither warte ich. Eigentlich sollte sich die Behörde binnen drei Monaten melden, den Bescheid innerhalb von sechs Monaten ausstellen. Mein Visum ist Ende 2020 abgelaufen, ich bin legal in Österreich, kann ausreisen, aber ob ich einreisen könnte, ist unsicher. Künstler wie ich waren praktisch seit 15 Monaten arbeitslos, jetzt geht es weiter, ich habe fixe Engagements und weiß nicht, ob ich auftreten kann“, erzählt Yavuz.
Seit Monaten habe er versucht, die MA 35 zu kontaktieren, die Sachbearbeiterin direkt, andere Stellen, teils haben Yavuz und ein ihm vertrauter Jurist, der ihn bei diesen Dingen unterstützt, wochenlang täglich Mails an die Magistratsabteilung geschickt. „Ich habe angerufen, andere Sachbearbeiter kontaktiert, die Resonanz war immer dieselbe: null“, so Yavuz, den dieses Warten in einige Verzweiflung trieb. Er besprach das mit anderen in Wien lebenden Künstlern. Und erfuhr: Es gibt offenbar viele, die in derselben Situation sind, teils noch länger warten, seit Monaten nicht wissen wie es weitergeht.
Plötzlich längst erledig. Schließlich ist die Gruppe der hier lebenden internationalen Künstler groß: Laut Innenministerium gibt es aktuell 431 aufrechte Niederlassungsbewilligungen für Künstler in Österreich, mit Stand 30. April wurden heuer 40 Niederlassungsbewilligungen an Künstler erteilt.
In der Wiener MA 35 bestätigt man, dass es durch die Pandemie zu Verzögerungen bei der Bearbeitung von Anträgen gekommen sei. Und, dass es mitunter Kontaktschwierigkeiten gab: Da aufgrund der Covid-Schutzbestimmungen der persönliche Kontakt nur eingeschränkt möglich war (bzw. ist) und der Großteil telefonisch oder per E-Mail abgewickelt wird, sei die telefonische Erreichbarkeit teilweise eingeschränkt. Man könne sich immer an das „Anliegenmanagement“der MA 35 wenden. Eine Stelle, bei der im konkreten Fall aber nichts erreicht wurde.
Den Vorwurf, es komme zu massiven Verzögerungen, Antragsteller würden monatelang in der Luft hängen, weist man bei der MA 35 aber zurück. Und zeigt eine eigene Statistik über Bearbeitungsdauern zum Beleg: Demnach habe es zwar 2020 Verzögerungen um Wochen bei der Bearbeitung von Anträgen gegeben, Erstanträge seien im Mittelwert aber in 94 Tagen, Anträge auf Verlängerung in 58 Tagen erledigt worden. Für das heurige Jahr liegen noch keine Zahlen vor. Zum konkreten Fall heißt es nach Anfrage der „Presse“im Juni: Auch dieser Antrag sei fristgerecht mit Ende Mai bewilligt worden, der Aufenthaltstitel werde so schnell wiemög lich übermittelt.
Für Yavuz ist damit der Konzertsommer gesichert, zumindest für heuer, denn sein Aufenthaltstitel muss jährlich verlängert werden. Und das bedeutet einigen Aufwand – und Unsicherheiten. Schließlich sind die Auflagen hoch, die Liste an erforderlichen Unterlagen (Strafregisterauszug, Nachweis über Engagements, Miete, Ausbildungen,
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Versicherungen, usw.) lang. Außerdem muss ein gesicherter Lebensunterhalt nachgewiesen werden, dabei sind 2020 viele Engagements weggebrochen. Und, so Yavuz, es sei stets unsicher, ob im Ausland erwirtschaftete Gagen anerkannt werden. Nach Informationen des Innenministeriums sei das grundsätzlich möglich – aber eine Unterhaltsberechnung nach dem Niederlassungsund Aufenthaltsgesetz (NAG) „erfordert eine Einzelfallbetrachtung“durch die zuständige Behörde. Bei dieser, der MA 35 heißt es ebenso, ob das Einkommen aus der künstlerischen Tätigkeit ausreichend ist, werde im Einzelfall beurteilt.
Hohe Anforderungen. Sicherheit, dass der Aufenthaltstitel kommt, gibt es aber nicht. Auch nicht, wann und ob man während des Wartens reisen kann. Zwar kann, während eines Verlängerungsverfahrens, eine „Notvignette“beantragt werden, mit der Reisen im Schengen-Raum und die Wiedereinreise nach Österreich möglich sind. Aber nur einmalig für maximal drei Monate.
Ein Solokünstle r, der monatelang nicht reisen kann? Sein Geld in Österreich verdienen sol l? „Tut mir leid, dafür ist dieses Land zu klein. Nach dieser Logik kann ein Solokünstler nur in seiner Heimat leben, in der Musikstadt Wien ist das unmöglich“, so Yavuz.
»Tut mir leid, nach dieser Logik kann ich nicht in der Musikstadt Wien leben.«