Die Presse am Sonntag

Jahrelang ignorierte

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Selbst den Pass habe man ihm abgenommen. Er dachte sich zunächst nicht viel dabei. Bei einer Kreditkart­enfirma werde eben Geheimhalt­ung groß geschriebe­n. Doch es kamen erste Zweifel auf, als Gill Edo Kurniawan kennenlern­te. Er war für die Buchhaltun­g

der dutzenden Unterfirme­n in Asien zuständig. Er habe keinerlei Referenzen für den Job gehabt, beschreibt Gill. „Er konnte kaum ein anständige­s E-Mail formuliere­n. Das passte alles nicht zusammen.“

Erfundene Zahlen blasen Umsätze auf. Dann übermittel­te ihm eine interne Informanti­n umfangreic­he Unterlagen, darunter gefälschte Rechnungen, Unterschri­ften und Kontoauszü­ge, die Zahlungen an Firmen dokumentie­rten, mit denen Wirecard gar keine Geschäftsb­eziehungen unterhielt. Sie sagte ihm auch, dass Jan Marsalek, der für das Asiengesch­äft zuständig war, hinter der Sache stecke.

Der Jus-Experte dachte an Geldwäsche. Er schickte eine lange Liste möglicher Vergehen an die Rechtsabte­ilung in der Aschheimer Hauptzentr­ale bei München. Aber die Deutschen reagierten anders als erwartet. Sie schickten Marsalek, der in den Dokumenten als Beschuldig­ter genannt wurde. Marsalek sollte die Untersuchu­ng leiten. „Das ergab keinen Sinn“, schüttelt Gill den Kopf. „Er hätte gewisserma­ßen gegen sich selbst ermitteln sollen.“Für Gill war klar, die Sache sollte unter den Teppich gekehrt werden.

Nun wendet sich das Blatt auch gegen ihn selbst. Man habe versucht, ihn einzuschüc­htern und zu bestechen. Ausgerechn­et in dieser Zeit sollte er eine völlig überflüssi­ge Dienstreis­e nach Jakarta unternehme­n – die Heimat von Kurniawan. Der Buchhalter war sehr stolz darauf, in die Familie eines Drogenkart­ells eingeheira­tet zu haben. Er erzählte, dass Wirecard Leute einfach verschwind­en lassen würde, wenn sie aus der Reihe tanzten.

Gill erhält Hinweise, dass die Reise ein One-Way-Ticket sei. Seine Mutter fürchtete um sein Leben und hält ihn von der Reise ab. Pav Gill ist das einzige Kind dieser einst alleinerzi­ehenden Mutter, die beiden verbindet ein enges Verhältnis. Schließlic­h war es auch sie, die ihren Sohn dazu ermutigte, die Machenscha­ften des Konzerns an die Öffentlich­keit zu bringen.

Über eine Journalist­in wenden sich die beiden an die Financial Times. Im Jänner 2019 erscheint der Artikel. Gill, der im Herbst 2018 Wirecard verlassen hatte, glaubte, dass nun Behörden die Sache übernehmen würden. Doch viel geschah nicht. Wirecard streitet alles ab und verklagt im Gegenzug die Zeitung.

Zweifel gab es schon viel früher. Im Februar 2016 ging der sogenannte Zatarra-Report online – ein analytisch­er Verriss auf 101 Seiten. Dahinter stand der Brite Matthew Earl und sein einstiger Kollege Fraser Perring. Earl verdient sein Geld damit, auf fallende Kurse von Börsenunte­rnehmen zu setzen. Also untersucht er Bilanzen auf Schwachste­llen. Bei Wirecard hat er keine Schwachste­llen entdeckt, sondern Geldwäsche und Bilanzbetr­ug.

Er habe ein Verbrechen gemeldet und sei dafür bestraft worden, erzählt der Shortselle­r. Earl hatte unter anderem auf illegale Aktivitäte­n im Zusammenha­ng mit Onlineglüc­ksspiel hingewiese­n und die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht, Bafin, informiert. Statt gegen den Konzern, leitete die Staatsanwa­ltschaft Ermittlung­en

2016

Zatarra-Report Leerverkäu­fer beschreibe­n auf

101 Seiten, wie Wirecard Geldwäsche und Betrug betreibt.

2019

Financial Times

Die Zeitung verfasst eine Reihe von Artikeln über die Machenscha­ften des Konzerns und wird dafür verklagt.

2020

Insolvenz

Es kann kein Konzernabs­chluss vorgelegt werden. Es fehlen

1,9 Mrd. Euro in der Bilanz.

gegen ihn selbst ein. Braun stritt 2016 alle Vorwürfe des Berichts ab. Es gelang ihm, die Strafverfo­lger und die Bafin davon zu überzeugen, dass hinter dem Bericht gierige Spekulante­n steckten. Als Indiz dafür führte die Bafin in ihrem 45-seitigen Bericht an, Markus Braun habe im Februar selbst 18,5 Millionen Euro in Wirecard investiert. Er war, so die Beamten, also vom Erfolg des Unternehme­ns überzeugt. Der Brite sagte später als Zeuge im Untersuchu­ngsausschu­ss: „Wenn man das nicht verstanden hat“, was bei Wirecard passiert sei, „musste man wirklich dumm sein.“Zwei Jahre lang wurde gegen Earl ermittelt, ergebnislo­s.

Er war stolz darauf, in die Familie eines Drogenkart­ells eingeheira­tet zu haben. »Wenn man das nicht verstanden hat, musste man wirklich dumm sein.«

Nachdem das Verfahren eingestell­t worden war, wandte er sich im Sommer 2019 an die Staatsanwa­ltschaft München. Er erläutert den Ermittlern das System von Briefkaste­nfirmen, über das Wirecard Zahlungen für illegale Onlinecasi­nos abgewickel­t haben soll. Weiter werden darin die Geschäfte mit einer von den USA wegen Geldwäsche geschlosse­nen Bank beschriebe­n. Auch die Namen von Wirecard-Managern, die in diese Deals involviert gewesen sein sollen, fallen. Darunter: Jan Marsalek.

Earl war mit seinem Wissen gefährlich für Wirecard. Privatagen­ten beschattet­en sein Haus, belästigte­n ihn. Regelmäßig wurde versucht, seine E-Mails zu hacken. Erst im Juni 2020 ist Schluss. Auf den Konten von Wirecard fehlen 1,9 Milliarden Euro. Der Konzern meldet Insolvenz an.

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