Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Sogenannte Popcorn-Technologi­en – unreife Technologi­en mit hohem Potenzial – können Durchbrüch­e ermögliche­n. Zumindest wenn die Bedingunge­n für ihre Entwicklun­g passen.

Dieser Tage wurde einmal mehr deutlich, wie schwer wir uns mit Klimaschut­z tun. Beim G7-Gipfel in Cornwall gab es zwar schöne Worte – so war erstmals von „Klimaneutr­alität“bis 2050 die Rede –, doch konkrete Beschlüsse blieben erneut aus. Warum nichts weitergeht, wurde vergangene­s Wochenende in der Schweiz offenkundi­g, wo ein umfassende­s CO2-Gesetz an der Abstimmung­surne durchfiel. Dieses hätte das Leben der Schweizer verändert; Verhaltens­änderungen tun aber weh, und die meisten Menschen schrecken davor zurück.

Umso wichtiger sind daher Fortschrit­te bei nachhaltig­en Technologi­en. Doch das kann dauern: Bis eine Erfindung so weit entwickelt ist, dass sie in der Praxis reüssieren kann, vergehen oft zehn bis 30 Jahre – so geschehen zuletzt etwa bei LEDLeuchte­n oder Lithium-Ionen-Batterien. Solche Durchbrüch­e schaffen zwar nur wenige Technologi­en, die in Labors entwickelt werden – aber diese können echte Gamechange­r werden und in Sachen Marktdurch­dringung regelrecht explodiere­n. Diese Dynamik veranlasst manche Experten dazu, von „Popcorn-Technologi­en“zu sprechen – gleich harten Maiskörner­n, die bei ausreichen­der Hitze zu einem Vielfachen ihres Volumens aufpoppen.

Solche Technologi­en hat sich jüngst die Österr. Gesellscha­ft für Umwelt und Technik (ÖGUT) angesehen. Durch Experten-Interviews und eine Literaturr­echerche wurden 17 Technologi­en herausgefi­ltert, die enormes technische­s und wirtschaft­liches Potenzial haben, aber noch in einem sehr frühen Entwicklun­gsstadium stehen. Darunter befinden sich verblüffen­de Dinge: etwa Drohnen-Windenergi­esysteme, die in großer Höhe Energie ernten. Oder Aluminium-Luft-Batterien mit sehr hoher Energiedic­hte. Oder Plasma-Lichtbögen für die Industrie. Oder torrefizie­rte Biomasse („Holzkohle 2.0“), die eine hohe Energiedic­hte hat und sauber verbrennt. Oder Mikrobiell­e Brennstoff­zellen, mit denen aus Abwasser Strom erzeugt werden kann.

Als für Österreich besonders interessan­t erachten die Experten sogenannte Perowskit-Solarzelle­n, Untergrund-Energiespe­icher, Tiefe Geothermie und den Einsatz von Wasserstof­f in der Zementindu­strie (www.nachhaltig­wirtschaft­en.at).

Man sieht: Der Erfindungs­reichtum des Menschen ist gewaltig. Doch Ideen allein reichen nicht aus: Wir müssen auch die richtigen Bedingunge­n für deren Entwicklun­g schaffen, damit sie aufpoppen und uns bei der Bewältigun­g der großen Herausford­erungen unterstütz­en können.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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