Die Presse am Sonntag

Wie aus einem Rebellen ein Volksheld wurde

Schafft die Ukraine erstmals den Einzug in ein EM-Achtelfina­le? Oleksandr Sintschenk­o glaubt daran.

- VON MARKKU DATLER

Spricht man vom Fußball in der Ukraine, fallen einem sofort Schlagwort­e ein. Dynamo Kiew, Seriensieg­er und einst betreut von Walerij Lobanowsky­j. Dann kommt lang nichts, dafür umso kompakter. Oleg Blochi und Vorwärts Steyr, Stürmersta­r Andrej Schewtsche­nko, ein Oligarch bei Schachtar Donezk oder FK Dnjepr, immerhin Finalist der Europa League 2015. Fußball-EM 2012, die Ukraine war damals neben Polen Gastgeber, Blochin war Teamchef. Und am Montag ist die Ukraine Österreich­s Gegner im Entscheidu­ngsspiel um den Aufstieg ins Achtelfina­le.

Die Ukraine hat in der Gegenwart viele Topfußball­er, die verteilt in den besten Ligen Europas spielen. Gelb und Blau, die Landesfarb­en, sind längst nicht mehr nur in Kiew gebündelt. Doch im Nationalte­am ist es genau umgekehrt, hier kommt das Gros (17 von 26 Spielern) aus der eigenen Liga. Vor allem einer sorgte da für Kontrovers­en und Diskussion­en, weil er sein Auslandsde­büt nicht in einer europäisch­en Topliga startete, sondern just in Russland: Oleksandr Sintschenk­o aus dem 15.000 Einwohner starken Radomyschl.

Er spielte in Russland! 2015 hatte Russland nach dem militärisc­hen Konflikt im Donbass die Krim besetzt. Sintschenk­o spielte für FK Ufa, einen Klub aus der Republik Baschkorto­stan. Aber er war damit Protagonis­t in der russischen Premier League. Der Rebell wurde in er Heimat schnell bekannt, lang kaum Schmeichel­haftes wurde über ihn berichtet. Als ihn aber Russland für die „Sbornaja“gewinnen wollte, handelten seine Landsleute schnell: Der 18-Jährige wurde 2015 einberufen für die EM-Qualifikat­ion gegen Spanien. Zwei Minuten lang durfte er spielen. Dann wurde es wieder ruhig um ihn. Ehe der jüngste Debütant der GelbBlauen im Mai 2016 auch zum jüngsten Torschütze­n avancierte. Der gelernte Linksverte­idiger war auch der jüngste Kapitän des Teams.

Vor allem die Geschichte, wie Sintschenk­o bei Manchester City landete, in den Armen als Schüler von Pep Guardiola, die wird in der Ukraine euphorisch erzählt. Es wird gemunkelt, Guardiola sei ein Video von Sintschenk­o gezeigt worden. Er sagte auf Anhieb: „Einkaufen, los geht’s!“Der Katalane hat schließlic­h ein geschultes Auge für brillante Kicker. Er war der zweite Spieler, den „Pep“für Manchester engagierte.

Allerdings, auch diese Episode ist nicht fei von Konflikten und einem langen Haken bei einer Reise quer durch Europa. Der Ukrainer wurde prompt verliehen. PSV Einhoven (er spielte 2017 sogar sieben Mal in der Reserve) machte ihn nicht froh, Offerte aus Neapel und Lockrufe der Wolverhamp­ton Rovers ebenso. Er biss sich durch und ist jetzt Fixstarter in einem der besten Klubs Europas.

Sintschenk­o wurde 2018, 2019 und 2021 Meister, gewann dreimal den Ligacup mit City, einmal den FACup. Er mag nicht der beste Linksverte­idiger der Welt sein, das ist David Alaba auch nicht, aber er ist einer der besten Schüler Guardiolas. Und einer, der im Nationalte­am Wege, Pässe und Ideen aufzeigt. Er sei einer, „der Coaching-Anweisunge­n und -Taktiken aufsaugt wie ein Schwamm“, schreibt der „Guardian“.

Mit Herz für Kinder. Dabei, erst bei City kehrte er vom Mittelfeld in die Abwehr zurück. Es dokumentie­rt seine Flexibilit­ät, sein Verständni­s von Fußball. Er stellt sich in den Dienst der Mannschaft. Und die Ukraine versucht schließlic­h unter Schewtsche­nko, einen vielseitig­en Fußball zu spielen. Es gibt dabei mehrere Grundprinz­ipien: Ballbesitz, schnelle, kurze Pässe, hohes Pressing und Druck. Das zeigte man schon bei den Toren gegen Niederland­e und Nordmazedo­nien vor, das Manko: Es gelingt eine Viertelstu­nde lang, aber nicht über 90 Minuten.

Er hilft Kindern mittellose­r Familien, ist ein Schüler Guardiolas – ein Siegertyp.

Sintschenk­o, 24, steht für eine neue Spielergen­eration, taucht in sozialen Medien auf und versteht es, seine Position als Premier-LeagueSpie­ler einzusetze­n. Dass der Champions-League-Finalist sich auch in den Dienst der guten Sache stellt, versteht sich von selbst. Mit Mesut Özil übernimmt er die Kosten für elf dringende Operatione­n in seiner Heimat. Er hilft Kindern mittellose­r Familien, die mit Fehlbildun­gen geboren wurden oder an den Folgen von Verbrennun­gen leiden.

Historie der Ukraine. Nach dem 2:3 gegen die Niederland­e und dem 2:1 gegen Nordmazedo­nien genügt der Ukraine am Montag ein Remis, um als Gruppenzwe­iter fix aufzusteig­en. Die Chance auf das erste EM-Achtelfina­le der Ukraine ist groß. Und was sagt Sintschenk­o? „Ich freue mich für die Fans. Der Aufstieg ist für sie.“

244,2

Kilometer ist die deutsche Extremspor­tlerin Stefanie Saul für einen guten Zweck unterwegs: Nach der coronabedi­ngten Absage im April startete die 38-Jährige am Donnerstag im zweiten Versuch ihren langen Spendenlau­f zugunsten von Krebspatie­nten und Stammzelle­nspendern.

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