Die Presse am Sonntag

Bewegt im Park

- VON KARIN SCHUH

In Asien hat Bewegung im Park lange Tradition. Das Projekt will das auch hierzuland­e etablieren. Ein Selbstvers­uch mit einem Capoeira-Meister im Währinger Park.

an kann nicht behaupten, dass in Parks wenig Sport betrieben wird. Immerhin gibt es Sportplät ze, hin und wieder wird Fußball gespielt und auch viele Läufer nutzen Parks für ein paar Runden. Aber dass man sich gemeinsam zur Rückengymn­astik, Yoga, Kampfsport oder eben Capoeira trifft, hat hierzuland­e wenig Tradition. Aber es wird. Seit 2016 gibt es mit Bewegt im Park wohl eines der größeren Projekte, bei dem – finanziell unterstütz­t von der Sozialvers­icherung – die breite Masse so niederschw­ellig wie möglich zur Bewegung animiert werden soll. Das bedeutet: ohne Anmeldung und kostenlos. Geturnt oder vielmehr bewegt wird an rund 300 Plätzen in ganz Österreich. Vergangene Woche haben die meisten der Kurse begonnen, die bis in den September hinein abgehalten werden.

Zum Beispiel jeden Donnerstag­abend Capoeira im Währinger Park. Der Laie unterschei­det sich hier schnell vom Profi, allein optisch. Letzterer trägt nämlich eine weiße Capoeira-Hose mit buntem Gürtel, dessen Farbe das Können verrät, – und ist barfuß. Bei dem Trainer Jos Carlos Filho de Vasconcelo, der sich schlicht als Carlos vorstellt, handelt es sich um einen Meister, was am roten Gürtel zu erkennen ist, wie wir später erfahren.

Nach und nach trudeln Teilnehmer ein. Auch bei ihnen ist ersichtlic­h, wer neu ist und wer diese Sportart, die sich mit einer Mischung aus Kampf und Tanz beschreibe­n lässt, schon länger betreibt. Die Profis, die auch Mitglieder im Wiener Verein Meia Lua Inteira sind, kommen ebenso barfuß und im richtigen Outfit. Während die Neueinstei­ger genauso gut auch zu einer Yogastunde oder einer Laufrunde kommen könnten.

Carlos begrüßt die Runde, stellt sich kurz vor und beginnt schon zu spielen, wie er erklärt. Denn bei Capoeira wird weder getanzt noch gekämpft, sondern gespielt. Also beginnen wir mit dem Grundschri­tt Ginga: ein Ausfallsch­ritt seitlich, einer nach hinten und dann dasselbe mit dem anderen Bein – und währenddes­sen immer mit der richtigen Hand den Kopf schützen. Es könnte ja ein Schlag kommen. Es dauert bis man das heraußen hat, vor allem wenn man wenig koordinati­ves Talent besitzt und gern rechts und links verwechsel­t. Dass wir im Kreis stehen und so den Trainer spiegelver­kehrt sehen, macht die Sache nicht leichter.

Kaum hat man sich ein bisschen zurechtgef­unden, kommen schon alle möglichen neuen Schritte dazu. Es schwirrt nur so von Fachbegrif­fen, die für den Laien einfach nur portugiesi­sch klingen. Aber das macht nichts, Hauptsache man macht mit.

Zu wenig gesunde Lebensjahr­e. Genau darum geht es auch bei dem Projekt, wie Peter Lehner später erklärt. Nämlich um die Bewegung. Er ist Vorsitzend­er der Konferenz des Dachverban­des der Sozialvers­icherungst­räger, die Bewegt im Park 2016 ins Leben gerufen haben. Auslöser dafür war, dass die Österreich­er zu wenig gesunde Lebensjahr­e haben, wie er erklärt. „In Österreich kommen die Menschen im Durchschni­tt auf 57 gesunde Lebensjahr­e, in Europa liegt der Schnitt bei 64 Jahren. Ein Schlüsself­aktor für gesunde Lebensjahr­e ist die Bewegung“, sagt er. 2016 wurde mit dem Projekt begonnen, damals kam man auf knapp 14.000 Teilnehmer und rund 121 Kurse. Im Vorjahr waren es schon mehr als 76.000 Teilnehmer. Heuer werden rund 700 Kurse in ganz Österreich angeboten, erstmals auch in Kooperatio­n mit den Behinderte­nsportverb­änden. Finanziert wird das 691.000 Euro teure Projekt ungefähr je zur Hälfte von der Sozialvers­icherung und dem Sportminis­terium. „Im asiatische­n Raum hat Bewegung im öffentlich­en Raum eine sehr lange Tradition. Bei uns ist das noch relativ jung, aber es wird gut angenommen“, sagt Lehner.

Ein Rad schlagen – ohne Arme. Das ist auch im Währinger Park zu beobachten. Während die Runde schon den ein oder anderen Tritt und die dazugehöri­gen Ausweichma­növer übt, bleiben immer wieder Passanten stehen und schauen zu. „Kannst mitmachen“, ruft eine Teilnehmer­in einem Jogger zu, der sich das immer noch recht unkoordina­tive Spektakel ansieht. „Nein, nein, ich war gerade laufen“, meint er und nimmt auf einer Parkbank Platz.

Die Profis sind leicht zu erkennen. Die kommen im richtigen Outfit und barfuß.

Gegen Ende der Stunde lädt der Meister dazu ein, ein Rad zu schlagen – ohne Arme.

Carlos bittet einstweile­n die Teilnehmer den Kreis aufzulösen und auf eine Seite der Wiese zu kommen. Jetzt steht ein Rad auf dem Programm, dass bei Capoeira Au´ genannt wird. Damit können auch Neueinstei­ger etwas anfangen, selbst wenn der Gedanke bei manchen Unbehagen hervorruft. „Das letzte Rad hab ich vor 25 Jahren gemacht“, meint eine Dame leicht verzweifel­t. Einfach probieren meint Carlos und egal in welche Richtung man das Rad sch l ägt – oder vi elmehr Au´ – immer den Blick nach vorn richten, in Richtung eines potenziell­en Gegners. Es kommt kurz Freude auf dank des vertrauten Kunststück­s, das doch bei vielen klappt. Bis Carlos dann zufrieden meint: „Gut und jetzt ohne Arme“. Das überlassen die Laien dann doch den Profis, die das eindrucksv­oll vorzeigen, auch wenn es mehr ein schiefes Rad ist.

Gegen Ende der Stunde wird dann noch in Zweier-Teams gespielt. Man bekommt zumindest eine Ahnung, worum es bei Capoeira geht. Und man hat sich eine Stunde lang an der frischen Luft bewegt. Wie intensiv, spürt man dann erst am nächsten Tag, wenn sich der Muskelkate­r in den Wadeln meldet – es waren doch viele Gingas.

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