Der Stress der Hormone ist der Stress der Frau
Wenn wir die Balance verlieren, spiegeln die Hormone das wider. Gerade für Frauen kann der Umgang damit eine Achterbahnfahrt sein, von Ärzten fühlen sich viele alleingelassen. Was hilft?
Es gibt einen Satz aus der Kategorie „Lustige Sprüche“– so einen, der auf T-Shirts und Tassen gedruckt ist, die man in Souvenirshops kaufen kann, oder der mit bunten Farben hinterlegt als Bild auf Facebook geteilt wird –, an den Anna Zauner in der letzten Zeit öfter denken muss. „Das war nicht ich. Das waren die Hormone! ;))“
Anna ist 24 Jahre alt, hat gerade ein Studium abgeschlossen und arbeitet jetzt im Sozialwesen. Ihren echten Namen will sie deshalb nicht öffentlich machen. Anna hat das Gefühl, dass ihre Hormone ihr Leben übernommen haben. Seit ein paar Monaten dreht sich alles nur noch um Blutwerte und Ultraschallaufnahmen, um Pillen und Cremes.
Im März noch, da hatte Anna keine Ahnung davon, was ein polyzystisches Ovarialsyndrom ist, heute sagt sie PCO zu dieser Diagnose. Im März, da dachte sie, sie bekäme ihre Tage einfach unregelmäßig. Das nervt. Natürlich. Heute macht sich Anna Sorgen, ob sie jemals schwanger werden kann. Das nervt sie noch ein bisschen mehr.
Vor allem nervt sie aber dieses Gefühl, ausgeliefert zu sein. Einerseits den Ärzten, die ihr manchmal Sachen sagen, vor denen sie erschaudert, wegen der sie weinen muss. Andererseits ihren Hormonen. Denn während man Ärzte wechseln kann, geht das bei den Hormonen nicht. Hormone kann man auch nicht einfach an- und abschalten.
Viele Hormonstadien. Erzählt man Alexandra Kautzky-Willer von Annas Erfahrungen, hat sie eine Warnung parat: Man müsse abweichende Hormonwerte ernst nehmen, aber dürfe sie auch nicht „überpathologisieren“. Oft sei eine Aussage erst unter standardisierten Bedingungen und durch Funktionstests möglich. Und: Gerade PCO sei „sehr schwammig definiert“, erklärt die Ärztin, die am Wiener Allgemeinen Krankenhaus die klinische Abteilung für Endokrinologie
und Stoffwechsel und an der Medizinischen Universität Wien den Bereich für Gender-Medizin leitet und sich auch selbst wissenschaftlich mit dem Krankheitsbild befasst hat. Die Internistin ist eine Pionierin auf dem Feld der geschlechtersensiblen Medizin, die sich mit Unterschieden bei Krankheiten und ihrer Behandlung bei Frauen und Männern beschäftigt und dabei biologische und soziale Komponenten miteinbezieht.
Kautzky-Willer zählt im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“mögliche Erscheinungen von PCO auf: unregelmäßiger Zyklus, vermehrte Behaarung, Akne, Zysten auf den Eierstöcken. Meistens seien Übergewichtige betroffen, doch auch dünne Frauen könnten PCO haben: „Oft besteht ein höheres Risiko für Typ-2-Diabetes und Gefäßprobleme. Während höheres Testosteron beim Mann vor Diabetes schützt, ist es bei der Frau umgekehrt.“Viele Frauen würden das Syndrom zudem erst bemerken, wenn es nicht gelingt, schwanger zu werden.
PCO ist ein bekanntes Syndrom, auch deshalb, weil jede zehnte Frau davon betroffen ist. Insofern ist Annas Geschichte eine von vielen. PCO steht auch als guter Stellvertreter für viele Hormonstörungen, für das, was passiert, wenn jemand aus dem Gleichgewicht kommt – und die Hormone ihm oder vielmehr ihr folgen. Gerade für Frauen ist der Balanceakt schwieriger als für Männer, weil sie in ihrem Leben so viele verschiedene hormonelle Stadien durchmachen – und zusätzlich noch durch Pille, Hormonersatztherapie oder In-vitro-Fertilisationsprozesse hormonell belastet werden können. Der männliche Hormonspiegel bleibt hingegen konstanter (siehe Artikel rechts).
„Hormone regulieren alles: den Glukose-, den Knochen-, den Fettstoffwechsel, den Energie-, Wasser- und Mineralhaushalt, den Blutdruck, die Sexualität, die Reproduktion“, sagt Endokrinologin Kautzky-Willer. Sie beschreibt das komplexe Zusammenspiel der für die Hormone zuständigen Drüsen
ernst nimmt. Wenn man sich bei einem ärztlichen Rat nicht sicher sei, solle man sich unbedingt eine zweite Meinung einholen. Hormonproblemen zugeordnete Beschwerden seien oft „schwer fassbar“, meint KautzkyWiller, was Patientinnen wie Ärzte vor Herausforderungen stelle. Frauen landen dadurch in der Situation, sich auf eigene Faust auf die Suche nach der richtigen Behandlung – und nach Wertschätzung – machen zu müssen. Nicht jede hat die Ressourcen dafür, sei es emotional oder finanziell. Aber es gibt auch Erkrankungen, die einfach feststellbar und behandelbar sind, etwa die bei Frauen sehr häufigen Schilddrüsenhormonstörungen.
»Wo Psyche und Körper zusammenspielen, wird es noch einmal schwieriger.«
Doch nicht nur vor der Menstruation, den ganzen Zyklus über können die Hormone die Stimmung beeinflussen, und fast jede Frau spürt das. Kautzky-Willer erzählt etwa von Studien, die zeigten, dass Frauen in der Zyklusphase mit mehr Östrogen sozialeres Verhalten an den Tag legten, in der zweiten Zyklusphase würden sie risikofreudiger sein. „Diese Schwankungen bewirken im Körper durchaus etwas, aber ihre Auswirkungen auf das Leben von Frauen darf man dennoch nicht überbewerten“, sagt Kautzky-Willer: „Das ist einfach normal. Normale weibliche Physiologie.“Dass Frauen durch die vermehrten Hormonschwankungen allerdings potenziell auch einem stärkeren psychischen Auf und Ab ausgesetzt sind, führt auch bei der Diagnostik zu Problemen, meint die Expertin. „Überall, wo Psyche und Körper zusammenspielen, wird es noch einmal schwieriger. Frauen landen dadurch leicht in der ,Das ist eine Depression‘-Ecke und bekommen Antidepressiva verschrieben.“
Viele Betroffene müssen lang darum kämpfen, mit ihren Beschwerden ernst genommen zu werden. „Von der biologischen Seite sind diese hormonellen Veränderungen im Zyklus, in einer Schwangerschaft oder der Menopause bei Frauen grundlegende Dinge, die der Mann nie haben wird“, so Kautzky-Willer. „Zusätzlich gibt es von der Gender-Seite her all diese Belastungen: die Mehrfachbelastung Kinder und Beruf, Probleme wie Gewalt in der Familie, Schlechterstellung im Job – es gibt so viele Dinge, die Frauen hauptsächlich betreffen. Die Kombination aus biologischen und gesellschaftlichen Belastungen ist dann sowieso der Overkill.“Macht also salopp gesagt die Gesellschaft die Frauen krank? „In diesem Bereich gibt es vieles, was gesellschaftlich und nicht pathologisch ist.“
Alexandra KautzkyWiller ist Internistin und Leiterin der klinischen Ambulanz für Endokrinologie und Stoffwechsel am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien. Sie ist Professorin für Gender-Medizin an der Medizinischen Universität Wien.
Schwerpunkte von Kautzky-Willers Arbeit sind unter anderem Schwangerschaftsdiabetes und Genderkomponenten bei Diabetes mellitus.