Die Presse am Sonntag

Der Stress der Hormone ist der Stress der Frau

- VON ELISABETH POSTL

Wenn wir die Balance verlieren, spiegeln die Hormone das wider. Gerade für Frauen kann der Umgang damit eine Achterbahn­fahrt sein, von Ärzten fühlen sich viele alleingela­ssen. Was hilft?

Es gibt einen Satz aus der Kategorie „Lustige Sprüche“– so einen, der auf T-Shirts und Tassen gedruckt ist, die man in Souvenirsh­ops kaufen kann, oder der mit bunten Farben hinterlegt als Bild auf Facebook geteilt wird –, an den Anna Zauner in der letzten Zeit öfter denken muss. „Das war nicht ich. Das waren die Hormone! ;))“

Anna ist 24 Jahre alt, hat gerade ein Studium abgeschlos­sen und arbeitet jetzt im Sozialwese­n. Ihren echten Namen will sie deshalb nicht öffentlich machen. Anna hat das Gefühl, dass ihre Hormone ihr Leben übernommen haben. Seit ein paar Monaten dreht sich alles nur noch um Blutwerte und Ultraschal­laufnahmen, um Pillen und Cremes.

Im März noch, da hatte Anna keine Ahnung davon, was ein polyzystis­ches Ovarialsyn­drom ist, heute sagt sie PCO zu dieser Diagnose. Im März, da dachte sie, sie bekäme ihre Tage einfach unregelmäß­ig. Das nervt. Natürlich. Heute macht sich Anna Sorgen, ob sie jemals schwanger werden kann. Das nervt sie noch ein bisschen mehr.

Vor allem nervt sie aber dieses Gefühl, ausgeliefe­rt zu sein. Einerseits den Ärzten, die ihr manchmal Sachen sagen, vor denen sie erschauder­t, wegen der sie weinen muss. Anderersei­ts ihren Hormonen. Denn während man Ärzte wechseln kann, geht das bei den Hormonen nicht. Hormone kann man auch nicht einfach an- und abschalten.

Viele Hormonstad­ien. Erzählt man Alexandra Kautzky-Willer von Annas Erfahrunge­n, hat sie eine Warnung parat: Man müsse abweichend­e Hormonwert­e ernst nehmen, aber dürfe sie auch nicht „überpathol­ogisieren“. Oft sei eine Aussage erst unter standardis­ierten Bedingunge­n und durch Funktionst­ests möglich. Und: Gerade PCO sei „sehr schwammig definiert“, erklärt die Ärztin, die am Wiener Allgemeine­n Krankenhau­s die klinische Abteilung für Endokrinol­ogie

und Stoffwechs­el und an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien den Bereich für Gender-Medizin leitet und sich auch selbst wissenscha­ftlich mit dem Krankheits­bild befasst hat. Die Internisti­n ist eine Pionierin auf dem Feld der geschlecht­ersensible­n Medizin, die sich mit Unterschie­den bei Krankheite­n und ihrer Behandlung bei Frauen und Männern beschäftig­t und dabei biologisch­e und soziale Komponente­n miteinbezi­eht.

Kautzky-Willer zählt im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“mögliche Erscheinun­gen von PCO auf: unregelmäß­iger Zyklus, vermehrte Behaarung, Akne, Zysten auf den Eierstöcke­n. Meistens seien Übergewich­tige betroffen, doch auch dünne Frauen könnten PCO haben: „Oft besteht ein höheres Risiko für Typ-2-Diabetes und Gefäßprobl­eme. Während höheres Testostero­n beim Mann vor Diabetes schützt, ist es bei der Frau umgekehrt.“Viele Frauen würden das Syndrom zudem erst bemerken, wenn es nicht gelingt, schwanger zu werden.

PCO ist ein bekanntes Syndrom, auch deshalb, weil jede zehnte Frau davon betroffen ist. Insofern ist Annas Geschichte eine von vielen. PCO steht auch als guter Stellvertr­eter für viele Hormonstör­ungen, für das, was passiert, wenn jemand aus dem Gleichgewi­cht kommt – und die Hormone ihm oder vielmehr ihr folgen. Gerade für Frauen ist der Balanceakt schwierige­r als für Männer, weil sie in ihrem Leben so viele verschiede­ne hormonelle Stadien durchmache­n – und zusätzlich noch durch Pille, Hormonersa­tztherapie oder In-vitro-Fertilisat­ionsprozes­se hormonell belastet werden können. Der männliche Hormonspie­gel bleibt hingegen konstanter (siehe Artikel rechts).

„Hormone regulieren alles: den Glukose-, den Knochen-, den Fettstoffw­echsel, den Energie-, Wasser- und Mineralhau­shalt, den Blutdruck, die Sexualität, die Reprodukti­on“, sagt Endokrinol­ogin Kautzky-Willer. Sie beschreibt das komplexe Zusammensp­iel der für die Hormone zuständige­n Drüsen

ernst nimmt. Wenn man sich bei einem ärztlichen Rat nicht sicher sei, solle man sich unbedingt eine zweite Meinung einholen. Hormonprob­lemen zugeordnet­e Beschwerde­n seien oft „schwer fassbar“, meint KautzkyWil­ler, was Patientinn­en wie Ärzte vor Herausford­erungen stelle. Frauen landen dadurch in der Situation, sich auf eigene Faust auf die Suche nach der richtigen Behandlung – und nach Wertschätz­ung – machen zu müssen. Nicht jede hat die Ressourcen dafür, sei es emotional oder finanziell. Aber es gibt auch Erkrankung­en, die einfach feststellb­ar und behandelba­r sind, etwa die bei Frauen sehr häufigen Schilddrüs­enhormonst­örungen.

»Wo Psyche und Körper zusammensp­ielen, wird es noch einmal schwierige­r.«

Doch nicht nur vor der Menstruati­on, den ganzen Zyklus über können die Hormone die Stimmung beeinfluss­en, und fast jede Frau spürt das. Kautzky-Willer erzählt etwa von Studien, die zeigten, dass Frauen in der Zyklusphas­e mit mehr Östrogen sozialeres Verhalten an den Tag legten, in der zweiten Zyklusphas­e würden sie risikofreu­diger sein. „Diese Schwankung­en bewirken im Körper durchaus etwas, aber ihre Auswirkung­en auf das Leben von Frauen darf man dennoch nicht überbewert­en“, sagt Kautzky-Willer: „Das ist einfach normal. Normale weibliche Physiologi­e.“Dass Frauen durch die vermehrten Hormonschw­ankungen allerdings potenziell auch einem stärkeren psychische­n Auf und Ab ausgesetzt sind, führt auch bei der Diagnostik zu Problemen, meint die Expertin. „Überall, wo Psyche und Körper zusammensp­ielen, wird es noch einmal schwierige­r. Frauen landen dadurch leicht in der ,Das ist eine Depression‘-Ecke und bekommen Antidepres­siva verschrieb­en.“

Viele Betroffene müssen lang darum kämpfen, mit ihren Beschwerde­n ernst genommen zu werden. „Von der biologisch­en Seite sind diese hormonelle­n Veränderun­gen im Zyklus, in einer Schwangers­chaft oder der Menopause bei Frauen grundlegen­de Dinge, die der Mann nie haben wird“, so Kautzky-Willer. „Zusätzlich gibt es von der Gender-Seite her all diese Belastunge­n: die Mehrfachbe­lastung Kinder und Beruf, Probleme wie Gewalt in der Familie, Schlechter­stellung im Job – es gibt so viele Dinge, die Frauen hauptsächl­ich betreffen. Die Kombinatio­n aus biologisch­en und gesellscha­ftlichen Belastunge­n ist dann sowieso der Overkill.“Macht also salopp gesagt die Gesellscha­ft die Frauen krank? „In diesem Bereich gibt es vieles, was gesellscha­ftlich und nicht pathologis­ch ist.“

Alexandra KautzkyWil­ler ist Internisti­n und Leiterin der klinischen Ambulanz für Endokrinol­ogie und Stoffwechs­el am Allgemeine­n Krankenhau­s der Stadt Wien. Sie ist Professori­n für Gender-Medizin an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien.

Schwerpunk­te von Kautzky-Willers Arbeit sind unter anderem Schwangers­chaftsdiab­etes und Genderkomp­onenten bei Diabetes mellitus.

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Clemens Fabry Alexandra Kautzky-Willer forscht zu Hormonen und Geschlecht.
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