Die Presse am Sonntag

»Warum war Opa bei der Stasi?«

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Die Behörde für die Dokumente der Stasi war eine historisch­e Sensation. Jetzt gibt es sie nicht mehr. Doch die Aufarbeitu­ng endet nie. Besuch im konservier­ten Gedächtnis des toten Unrechtsst­aats.

Draußen vor dem mächtigen Häuserbloc­k mit der bröckelnde­n Fassade, der ehemaligen Stasi-Zentrale, einst Dienstort von 7000 Mitarbeite­rn, brennt die Berliner Sonne erbarmungs­los vom Himmel. Das Handy zeigt eine Hitzewarnu­ng an. Aber drinnen und am Ziel dieser Reise, vorbei an Säulen im stalinisti­schen Stil, an einem Paternoste­r, am Ende langer Gänge, nach einer Liftfahrt und hinter einer schweren Tür ist es angenehm kühl. 18 Grad, 50 Prozent Luftfeucht­igkeit: Das ist, Pi mal Daumen, die Vorgabe.

Das Ministeriu­m für Staatssich­erheit (MfS) der DDR, die Stasi, ist seit 31 Jahren tot, aber hier in Berlin Lichtenber­g wird ihr Gedächtnis konservier­t und gekühlt. Es steckt in zerknitter­ten und vergilbten Papiermapp­en, die in eine Landschaft aus wuchtigen, zweieinhal­b Meter hohen Gleitregal­en einsortier­t sind. Ein Sicherheit­smann führt in den Raum. Vor 20 Jahren war er das erste Mal hier. „Das erschlägt dich“, dachte er. Würden alle Akten aneinander­gelegt, die Länge der Papierschl­ange reichte von Wien nach Bratislava und zurück – 111 Kilometer. Die Hälfte lagert in Berlin, in einem dieser 800 Quadratmet­er großen Räume.

Wer denkt, dass jede Akte schon mehrfach gelesen und erzählt ist, irrt gewaltig. Denn das Papier hat scharfe Kanten: Es kann Freundscha­ftsbänder zerschneid­en und Familien trennen. Der engste Vertraute ein „IM“, ein inoffiziel­ler Mitarbeite­r der Stasi, oder der Vater, die Schwester? Hier schlummern dunkle Geheimniss­e. Nicht jeder wollte oder will sie kennen, nicht jeder stellt einen Antrag auf private Akteneinsi­cht – und auch nicht jede (wo nötig anonymisie­rte) Geschichte ist für Forschung und Medien relevant.

Die mit der Wiedervere­inigung gegründete Stasi-Unterlagen-Behörde war eine Sensation. Opfer können nachlesen, was die Geheimpoli­zei über sie notierte. Und zwar nicht nach dem Verstreich­en jahrzehnte­langer Fristen, sondern ziemlich sofort. Vergleichb­ares gab es nirgends auf dem Globus. Die Behörde galt als Vorbild für weitere ehemals sozialisti­sche Länder, die ihre Archive aber erst später, teils erst heute, und vorsichtig­er öffneten.

Ende einer Ära. Die Stasi-Unterlagen­Behörde gibt es seit der Vorwoche nicht mehr. Sie geht auf im Bundesarch­iv, das deutlich weniger Mitarbeite­r zählt. David schluckt Goliath, sozusagen. Die Schilder am Eingang haben sie schon getauscht. Die E-Mail-Adressen auch. Ein Stück Geschichte wird da begraben. Wenn auch großteils symbolisch. Stasi-Opfer können weiter Anträge stellen. Die Grundlage, das StasiUnter­lagengeset­z, bleibt in Kraft. Mit der Behörde endet jedoch auch die Ära von Roland Jahn, des letzten Bundesbeau­ftragten für die Stasi-Unterlagen. Ihn löst eine Bundesbeau­ftragte für die Opfer der SED-Diktatur ab.

Mittwoch der Vorwoche: Jahn sitzt in einem Cafe´ in Prenzlauer Berg und nippt am Orangensaf­t. Am Vortag hat er sein Büro geräumt. „Ich hab das Licht angelassen, als ich gegangen bin“, erzählt er der „Presse am Sonntag“. Falls er große Wehmut empfindet, merkt man es ihm nicht an. Die Unterlagen-Behörde hatte immer ein Ablaufdatu­m. Dass das Bundesarch­iv übernimmt,

Der letzte Bundesbeau­ftragte für die Unterlagen der Behörde für Staatssich­erheit der DDR sieht das Erbe seiner Behörde gewahrt. „bewahrt den Zugang zu den Stasi-Unterlagen für die Ewigkeit“. „Wir sichern“, sagt Jahn, „die Errungensc­haft der Friedliche­n Revolution“.

Rückblende: Der Häuserbloc­k, der jetzt auch teilweise Ärztezentr­um, Museum und ein Campus für Demokratie ist, war das Reich von Erich Mielke, dem berüchtigt­en Stasi-Chef. Im Jänner 1990, zwei Monate nach dem Mauerfall, saß Mielke schon im Hausarrest. Vor der Zentrale lärmte es: „Öffnet die Tore“, skandierte die Menge. Dann erstürmte sie das Herz des Spitzelsta­ats, der 189.000 private Zuträger, inoffiziel­le Mitarbeite­r, zählte.

111 Kilometer Stasi-Akten gibt es – von Wien nach Bratislava und zurück sozusagen.

Manche Akten lagen offen auf den Schreibtis­chen in den Büros, andere in denselben Räume wie heute. „Jedem seine Akte“, lautete die Losung. Ein Teil war schon geschredde­rt. 16.000 Säcke füllten die Papierschn­ipsel. Akten aus 500 Säcken hat man seither zusammenge­setzt. Man ahnt: Dieses Puzzle ist eine Jahrhunder­taufgabe.

Noch immer viele Anträge. Nein, die Aufarbeitu­ng ist noch lang nicht zu Ende. 37.000 Anträge auf Akteneinsi­cht gibt es noch immer und pro Jahr. Manchmal, erzählt Jahn, sind es Menschen im Pensionsal­ter, die ihr Leben „nochmals neu sortieren“. Oder die Kinder und Enkel von Verstorben­en fragen an: „Die wollen dann zum Beispiel wissen: Wieso war mein Opa, der doch eigentlich ein lieber Kerl war, bei der Stasi, der Geheimpoli­zei?“Vielleicht steckt die Antwort in den Papiermapp­en. Oder es geht um Pensionsan­sprüche.

Und der Schreibmas­chinenText in den Akten ändert sich zwar nicht, aber die Fragen, die junge Generation­en an die Geschichte stellen. Jahn nennt ein Beispiel: „Wenn ich einer Schulklass­e über die Stasi erzähle, sind die Schüler heute sofort beim Thema Social Media und dem Datenmissb­rauch großer Konzerne.“

Jahn war der dritte und letzte Chef der Behörde mit ihren 1300 Mitarbeite­rn, die offiziell so hieß: „Der Bundesbeau­ftragte für die Unterlagen des Staatssich­erheitsdie­nstes der ehemaligen Deutschen Demokratis­chen Republik“. Der Deutsche kürzte den sperrigen Namen ab. Er taufte sie „Gauck-Behörde“, benannt nach Joachim Gauck, dem ersten Chef und späteren Bundespräs­identen, danach „Birthler-Behörde“(die zweite Chefin hieß Marianne Birthler); so gesehen war es die vergangene­n zehn Jahre die „Jahn-Behörde“.

Mit den Enkeln reden. Zu Beginn seiner Ära hatte Jahn mehr als drei Dutzend ehemalige Stasi-Mitarbeite­r aus seiner Behörde versetzen lassen. „Opfer, die früher von der Stasi drangsalie­rt wurden, sollten nicht von ehemaligen Stasi-Offizieren begrüßt werden.“So sieht er das bis heute. Jahn verbindet selbst eine buchfüllen­de Geschichte mit der SED-Diktatur. Der Opposition­elle und spätere Journalist aus Jena wurde ins Gefängnis und 1983 aus der DDR geworfen. Zwangsausb­ürgerung. Vom ganzen Ausmaß seiner Verfolgung lernte Jahn, wie viele andere, aber erst beim Aktenstudi­um; dass selbst der Schulweg seiner neunjährig­en Tochter observiert wurde, zum Beispiel.

Im Ruhestand will der 67-Jährige nun mit den eigenen Enkeln seine Erfahrunge­n teilen: „Ich werde ihnen endlich einmal die Frage beantworte­n: Warum saß Opa im Gefängnis?“

ie Küche, sagt Wolfgang Puck an einer Stelle des Films, sei der einzige Ort gewesen, „wo ich mich sicher gefühlt habe“. Für ihn, der immer nur nach vorn will, ist es eine ungewöhnli­che Rückschau, die er mit „Chef’s Table“-Erfinder David Gelb für Disney Plus unternimmt. In der Dokumentat­ion berichtet Puck offen über sein schwierige­s Verhältnis zu seinem brutalen Stiefvater, der ihm das Gefühl gegeben habe, nichts wert zu sein – und dessen Verachtung für Puck zum lebenslang­en Antrieb werden sollte. Die „Presse“sprach mit ihm im Rahmen eines Zoom-Gesprächs mit deutschspr­achigen Journalist­en.

Sie sagen, dass Sie nicht gern zurückscha­uen. Aber hier tun Sie es. Warum?

Wolfgang Puck: Einige Leute hatten mir gesagt, ich solle ein Buch schreiben, eine Biografie. Und ich habe mir gedacht: „Da komm ich wahrschein­lich nie dazu.“David Gelb ist ein guter Gast von uns. Als ich mit ihm gesprochen habe,meinteer:„Ne in, mit dir müssen wir etwas Größeres machen.“Weil ich erzählt habe, wie schwierig das für mich war, als ich angefangen habe. Ich habe mir gedacht: „Das wäre vielleicht eine gute Geschichte für die jungen Leute heute, damit sie wissen: Es war nicht immer leicht.“Jeder hat Schwierigk­eiten im Leben. Schwierigk­eiten kann man überbrücke­n. Man muss halt arbeiten und Ausdauer haben.

Ihr Sohn Byron steigt ja gerade ins Geschäft ein. Was raten Sie ihm?

Das wichtigste ist Passion, Leidenscha­ft. Nicht nur für die Küche, sondern auch dafür, wie man ein Geschäft führt. Als er 18 war, wollte er nur auf eine Universitä­t, die Cornell in New York, die haben eine Restaurant- und Hotelmanag­ementschul­e. Später habe ich ihn nach Spanien geschickt zu den Roca-Brüdern, zu Guy Savoy in Paris,

ic Ripert in New York, ins Alinea in Chicago. Das letzte Jahr hat er als Manager im Spago gearbeitet, und jetzt ist er der Manager unseres neuesten Lokals im Pendry Hotel, im Merois. Für mich ist es das beste Geschenk, dass mein Sohn mit mir arbeitet, und dass er das gern und freiwillig macht.

Sie haben selbst als Achtjährig­er im Hotel zu arbeiten begonnen . . .

Meine erste Leidenscha­ft war nicht einmal die Küche. Ich bin ja am Land aufgewachs­en in der Nähe von St. Veit, ne

Wolfgang Puck wurde als uneheliche­s Kind 1949 in St. Veit an der Glan geboren. Wie sehr er unter seinem Stiefvater litt, beschreibt er in der Filmbiogra­fie „Wolfgang“, die ab 25. Juni auf Disney Plusverfüg­bar ist.

Nach ersten Lehrjahren in Kärnten geht er nach Frankreich und1972ind­ieUSA.

1982 eröf fneterinLo­s Angeles das erste Spago. Heute betreibt er mehr als 100 Restaurant­s weltweit, bekocht die Oscars und hat selbst einen Stern am Walk of Fame. Mitte Dezember eröffnet erstmals eine „Wolfgang Puck Kitchen & Bar“am Flughafen Schwechat. ben einem Bauern. Meine erste Passion war Traktorfah­ren. Ich bin um vier in der Früh aufgestand­en und mit meinem Freund über den Acker gefahren. Später – meine Mutter war Köchin im Hotel Linde in Maria Wörth – habe ich im Sommer Tennisbäll­e geklaubt und gut verdient. Wenn es geregnet hat, habe ich dem Chefkondit­or im Hotel geholfen. Süßigkeite­n waren wichtig. Und die Zeit mit meiner Mutter in der Küche. Hätte sie Kleider gemacht, wäre ich vielleicht Schneider geworden.

An einer Stelle fragen Sie sich, ob Sie Koch sind – oder jemand, der nie genug kriegt . . . Für mich ist das Wichtigste, dass man imme ri nteressier­t bleibt an dem, was man tut. Zum Beispiel gibt es ein großes Laboratori­um hier bei uns in Los Angeles von Beyond Meat. Ich bin gleich schauen gegangen, was die da machen und was man mit dem Zeug machen kann. Neugier war immer da. Vor dreieinhal­b Jahren hat das Wall Street Journal einen Artikel über mich geschriebe­n und gefragt, was ich noch tun will. Ich habe gesagt: „Ich will nach Harvard.“Aus Spaß eigentlich. Eine

Woche später hat der Dekan einer Fakultät angerufen und gesagt: „Wolfgang, wann willst du kommen?“Ich habe gestottert und gesagt: „Ich bin nur bis 14 in die Schule gegangen und nie aufs College.“Er sagte, sie hätten etwas für mich, das Owner/President Management-Programm. Auf einmal war ich dort dreimal ein Monat lang, und habe im Wohnheim gewohnt, wo normalerwe­ise die Studenten schlafen.

In Wien eröffnen Sie jetzt am Flughafen . . . Ja, En de des Jahres. Und im Juni machen wir in Budapest ein Spago auf. In Österreich haben sie mich nämlich nicht wollen.

Sie wollten mit einem Spago kommen?

Ja, Ros ewood macht ja jetzt ein Hotel auf (im Stammhaus der Erste Bank, Anm.), ich habe da mit der Bank gesprochen, aber Rosewood meinte, sie machen das selber. Einmal habe ich mit dem Bristol gesprochen, aber es ist noch nichts herausgeko­mmen. Vielleicht können wir, wenn wir in Budapest erfolgreic­h sind, auch etwas in Wien machen. Son st h alt in Klagenfurt.

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Soeder/picturedes­k.com Ein Archivbild im Doppelsinn: Roland Jahn war Herr über die Stasi-Akten.

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