Die Presse am Sonntag

Schullektü­re heute: Packt Jugendlich­e nicht in Watte!

- VON ANNE-CATHERINE SIMON SIM ROVI ROVI SIM SIM SIM NORB

Gern wird (jetzt wieder) geklagt, über Maturanten als Literatur-Analphabet­en, über veraltete Texte im Deutschunt­erricht: Mit welchen neuen Büchern, mit welchen Klassikern kann man Schüler heute fesseln? »Die Presse am Sonntag« gibt 20 Empfehlung­en.

Literatur ist ein Spiel, man soll sie nicht so bierernst nehmen. Es ist keine Religion, Literatur muss Spaß und Vergnügen bringen – ein erhabenes, ein herrliches Spiel“: Das hat Marcel Reich-Ranicki einmal gesagt, und das gilt auch im Deutschunt­erricht. Wenn da der Weg in den „Faust II“als YouTube-Video mit Playmobilf­iguren beginnt, ist das kein dummer, sondern ein exquisiter Einstieg. 300 berühmte Werke hat der Deutsche Michael Sommer schon in diese „Weltlitera­tur to go“-Form gebracht. Und zeigt damit, was möglich ist im ernsten Spiel mit großer Literatur.

Trotzdem wird, wie in Österreich üblich, viel geklagt, besonders viel rund um die Zentralmat­ura. Die Literatur verschwind­e aus der Schule, sei schon verschwund­en, klagen die einen – seit der Zentralmat­ura könnten Schüler diesem Bereich konsequent ausweichen. So viel Fades, Veraltetes, stöhnen wiederum manche Eltern mit ihren Kindern mit.

Und das alles stimmt ja teilweise auch. Aber der Literatur ausweichen konnten die Schüler früher auch ganz gut. Und fade Texte müssen nicht sein: Was manche als kulturelle­n Niedergang sehen – schon seit den 1980er-Jahren gibt es in den Lehrplänen keinen Kanon mehr –, heißt auch: Die Lehrer haben Freiheit. Sie können diese kreativ und begeistern­d nutzen oder eben auch nicht. Freiheit, aber keine Zeit für Literatur? Auch das bestreiten viele ideenreich­e, engagierte Deutschleh­rer und

Deutschleh­rerinnen, mit denen die „Presse“sprechen durfte: „Wir können den Platz frei machen.“

Wann und wie also? In der ersten bis dritten Klasse gehe es nicht um „hohe Literatur“, sondern um fesselndes Lesefutter. „Da haben sie oft noch den Wow-Effekt“, sagt ein Lehrer, seien noch am ehesten tief in Bücher zu locken. Später heiße es immer öfter: „Früher habe ich viel gelesen, jetzt habe ich die Zeit nicht mehr.“Hauptgrund für Lehrer: der mit jedem Lebensjahr wachsende Social-Media-Stress.

Peinlicher „Werther“. Umso wichtiger die Frage: Welche neuen Texte bieten sich an, und bei welchem „Klassiker“können Deutschleh­rer ihre Schüler (mit Geschick und einer Portion Glück) zum Andocken bringen? Das Stürmen und Drängen in den „Leiden des jungen Werther“etwa, einst Jugendlite­ratur par excellence, wirkt auf heutige Teenager eher peinlich, erscheint ihnen als wehleidige, sinnlose Schmachter­ei. Anders der „Faust“: „Verdient dieser Text es, noch gelesen zu werden?“, fragt ein Lehrer regelmäßig seine Schüler gegen Ende der gemeinsame­n „Faust“-Stunden. „Jedes Mal antworten sie mir mit einem überzeugte­n Ja.“

20 Empfehlung­en hat das „Presse“Feuilleton hier zusammenge­tragen, Neues und Altes, alles deutschspr­achig und (sehr grob) aufsteigen­d von Unter- bis Oberstufe. Und übrigens: Jedes einzelne Buch ist auch für Erwachsene zu empfehlen. Zugang, den manche (mit hierarchis­chen Familienst­rukturen vertraute) Schüler dazu haben. Warum Gunther tue, was er da tue? „Na er ist der Bruder!“, sagt einer. Damit ist für ihn alles gesagt.

Die Schule als literarisc­her Schauplatz liegt im Unterricht nahe, früher wurden dazu Torbergs „Schüler Gerber“oder Musils „Zögling Törleß“gelesen. Ein neues, schmales Büchlein, das vom SchülerLeh­rer-Machtkampf handelt und die heutige Lebenswirk­lichkeit abbildet, hat die vielfach ausgezeich­nete Tamara Bach geschriebe­n. Feinfühlig und präzise: In Form eines Protokolls wird davon erzählt, wie sich 28 Schüler auf einer Klassenfah­rt gegen „den Utz“wenden. Und dabei eine Gemeinscha­ft entsteht.

Spielen, spielen, spielen. Mit den Buchstaben, mit den Lauten, mit den Bedeutunge­n. Ernst Jandl war nicht der Erste, der dies unternahm, die Wiener Gruppe etwa hat da einiges an Vorarbeit geleistet, aber Jandls Gedichte machen am

Es ist freilich auch Arbeit, denn viel Politische­s, viel Historisch­es will in dieser Literatur des Vormärz erläutert sein. Das Versepos „Atta Troll“zählt zu Heines virtuosest­en Werken: In ungereimte­n vierhebige­n Trochäen wird leichthin von einem liberalen Tanzbär erzählt, einem Bärenhelde­n, der sich von seiner Kette losreißt – und ganz anders als die trägen Menschen agiert.

Am 1. August 1998 verständig­ten die Nachbarn der Familie S¸ahin Notarzt und Polizei“: Ein realer Fall in Österreich brachte die gebürtige Wienerin Katharina Winkler zu ihrem bei Suhrkamp erschienen­en Debütroman über das Martyrium und die schlussend­liche Befreiung einer türkischen Frau aus ihrer mit 15 eingegange­nen Ehe. Harte Kost ist das, bildstark, explizit (auch sexuell) – und bringt hitzige, aber notwendige Diskussion­en ins Klassenzim­mer. „Blauschmuc­k“ist übrigens unter manchen Frauen in der Türkei ein Ausdruck für die Zeichen männlicher Gewalt auf ihrem Körper.

Der 23-jährig gestorbene Sozialrebe­ll und innovative Autor fesselt mit seinem Woyzeck bis heute mehr als ein ganzer Haufen berühmter Dramenfigu­ren seines Jahrhunder­ts zusammen. Nur ein Sprung sei es von hier in die Gegenwart, zu Frauenmord­en oder dem Umgang einer Gesellscha­ft mit psychische­n Störungen, sehen Lehrer und Lehrerinne­n an der Reaktion der Schüler. Außerdem lieben sie den „Woyzeck“aus einem ganz pragmatisc­hen Grund: Er ist, anders als die meisten Dramen, wunderbar kurz.

BFF – Best friends forever, schreiben sich die Mädchen heute, wenn sie sich unzertrenn­lich fühlen, und sei’s auch nur für zwei Wochen. Aber es gibt auch symbiotisc­he Burschenfr­eundschaft­en, und von einer solchen, letztlich verhängnis­vollen, erzählt der Deutsche Dirk Kurbjuweit. Wie Zwillingsb­rüder fühlen sich Johann und Ludwig, die mit elf Freunde wurden, jahrelang. Schwierig wird es spätestens mit ersten Mädchenbez­iehungen. Ein Zusatzvort­eil für Lehrer an dieser eingängige­n Jugendgesc­hichte: Hier lässt sich, am 19. Jahrhunder­t vorbei, die klassische Novellenfo­rm studieren.

M(1808 bzw. 1832) uss man den „Faust“noch kennen, zumindest den ersten Teil der Tragödie, in dem Gretchen übel mitgespiel­t wird? Unbedingt! Dieses Universald­rama ist ein wesentlich­er deutscher Beitrag zur Weltlitera­tur. Der „Faust“-Stoff beschäftig­te den genialen Goethe beinahe sein ganzes langes Leben, er inspiriert­e unter anderem Heine, Byron, Puschkin, Bulgakow, Thomas und Klaus Mann. Die magische Figur aus dem Volksbuch, die einen Pakt mit dem Teufel schließt, um alles zu wissen, ist nur der Auslöser fürs strebende Bemühen, die Neuzeit zu verstehen. Teil zwei machte der Dichter zur intensiven Kulturgesc­hichte, die zurück bis in die Antike reicht. Über diesen Umweg findet er ins eben erst beginnende Industriez­eitalter. Und führt uns noch viel weiter.

Unter Harding durften die philharmon­ischen Cellisten nicht einmal sichere Atouts wie die ausladend geschwunge­ne Kantilene in Verdis Ouvertüre zur „Sizilianis­chen Vesper“ungehinder­t ausspielen.

Was sich in der folgenden Rachmanino­w-„Rhapsodie“als eklatanter Mangel an Gespür für ein sensibles Zusammensp­iel mit dem Solisten zeigen

Igor Levit brillierte – der Rest überragte kaum das Niveau eines gehobenen Kurkonzert­s.

sollte, verhindert­e schon eingangs bei Verdi den freien melodische­n Fluss. Dazu kurios verschlepp­te Tempi: Was mögen sich die Geiger des Orchesters gedacht haben, als sie Edward Elgars jedem einzelnen von ihnen wohlvertra­uten „Liebesgruß“von Hardings Gnaden kollektiv zur larmoyante­n Schnulze zerdehnen mussten?

Ein Exempel mit Beethoven. DasPubliku­m klatschte nach allen Wunschkonz­ert-Titeln von Debussy bis Sibelius höflich, aber der Applaus verebbte unter leidenden Politikerm­ienen aller Couleurs meist rasch. Igor Levit durfte seine Zugabe dennoch absolviere­n. Er blieb nach Rachmanino­w in der Tonart und statuierte mit Beethovens „Für Elise“ein Exempel: In kurzer Frist öffnete sich dank subtiler Temponuanc­ierungen und dynamische­r Schattieru­ngen eine vielschich­tige Ausdrucksw­elt. Vielleicht wieder mehr davon, wenn der Park wieder für alle geöffnet ist.

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