Schullektüre heute: Packt Jugendliche nicht in Watte!
Gern wird (jetzt wieder) geklagt, über Maturanten als Literatur-Analphabeten, über veraltete Texte im Deutschunterricht: Mit welchen neuen Büchern, mit welchen Klassikern kann man Schüler heute fesseln? »Die Presse am Sonntag« gibt 20 Empfehlungen.
Literatur ist ein Spiel, man soll sie nicht so bierernst nehmen. Es ist keine Religion, Literatur muss Spaß und Vergnügen bringen – ein erhabenes, ein herrliches Spiel“: Das hat Marcel Reich-Ranicki einmal gesagt, und das gilt auch im Deutschunterricht. Wenn da der Weg in den „Faust II“als YouTube-Video mit Playmobilfiguren beginnt, ist das kein dummer, sondern ein exquisiter Einstieg. 300 berühmte Werke hat der Deutsche Michael Sommer schon in diese „Weltliteratur to go“-Form gebracht. Und zeigt damit, was möglich ist im ernsten Spiel mit großer Literatur.
Trotzdem wird, wie in Österreich üblich, viel geklagt, besonders viel rund um die Zentralmatura. Die Literatur verschwinde aus der Schule, sei schon verschwunden, klagen die einen – seit der Zentralmatura könnten Schüler diesem Bereich konsequent ausweichen. So viel Fades, Veraltetes, stöhnen wiederum manche Eltern mit ihren Kindern mit.
Und das alles stimmt ja teilweise auch. Aber der Literatur ausweichen konnten die Schüler früher auch ganz gut. Und fade Texte müssen nicht sein: Was manche als kulturellen Niedergang sehen – schon seit den 1980er-Jahren gibt es in den Lehrplänen keinen Kanon mehr –, heißt auch: Die Lehrer haben Freiheit. Sie können diese kreativ und begeisternd nutzen oder eben auch nicht. Freiheit, aber keine Zeit für Literatur? Auch das bestreiten viele ideenreiche, engagierte Deutschlehrer und
Deutschlehrerinnen, mit denen die „Presse“sprechen durfte: „Wir können den Platz frei machen.“
Wann und wie also? In der ersten bis dritten Klasse gehe es nicht um „hohe Literatur“, sondern um fesselndes Lesefutter. „Da haben sie oft noch den Wow-Effekt“, sagt ein Lehrer, seien noch am ehesten tief in Bücher zu locken. Später heiße es immer öfter: „Früher habe ich viel gelesen, jetzt habe ich die Zeit nicht mehr.“Hauptgrund für Lehrer: der mit jedem Lebensjahr wachsende Social-Media-Stress.
Peinlicher „Werther“. Umso wichtiger die Frage: Welche neuen Texte bieten sich an, und bei welchem „Klassiker“können Deutschlehrer ihre Schüler (mit Geschick und einer Portion Glück) zum Andocken bringen? Das Stürmen und Drängen in den „Leiden des jungen Werther“etwa, einst Jugendliteratur par excellence, wirkt auf heutige Teenager eher peinlich, erscheint ihnen als wehleidige, sinnlose Schmachterei. Anders der „Faust“: „Verdient dieser Text es, noch gelesen zu werden?“, fragt ein Lehrer regelmäßig seine Schüler gegen Ende der gemeinsamen „Faust“-Stunden. „Jedes Mal antworten sie mir mit einem überzeugten Ja.“
20 Empfehlungen hat das „Presse“Feuilleton hier zusammengetragen, Neues und Altes, alles deutschsprachig und (sehr grob) aufsteigend von Unter- bis Oberstufe. Und übrigens: Jedes einzelne Buch ist auch für Erwachsene zu empfehlen. Zugang, den manche (mit hierarchischen Familienstrukturen vertraute) Schüler dazu haben. Warum Gunther tue, was er da tue? „Na er ist der Bruder!“, sagt einer. Damit ist für ihn alles gesagt.
Die Schule als literarischer Schauplatz liegt im Unterricht nahe, früher wurden dazu Torbergs „Schüler Gerber“oder Musils „Zögling Törleß“gelesen. Ein neues, schmales Büchlein, das vom SchülerLehrer-Machtkampf handelt und die heutige Lebenswirklichkeit abbildet, hat die vielfach ausgezeichnete Tamara Bach geschrieben. Feinfühlig und präzise: In Form eines Protokolls wird davon erzählt, wie sich 28 Schüler auf einer Klassenfahrt gegen „den Utz“wenden. Und dabei eine Gemeinschaft entsteht.
Spielen, spielen, spielen. Mit den Buchstaben, mit den Lauten, mit den Bedeutungen. Ernst Jandl war nicht der Erste, der dies unternahm, die Wiener Gruppe etwa hat da einiges an Vorarbeit geleistet, aber Jandls Gedichte machen am
Es ist freilich auch Arbeit, denn viel Politisches, viel Historisches will in dieser Literatur des Vormärz erläutert sein. Das Versepos „Atta Troll“zählt zu Heines virtuosesten Werken: In ungereimten vierhebigen Trochäen wird leichthin von einem liberalen Tanzbär erzählt, einem Bärenhelden, der sich von seiner Kette losreißt – und ganz anders als die trägen Menschen agiert.
Am 1. August 1998 verständigten die Nachbarn der Familie S¸ahin Notarzt und Polizei“: Ein realer Fall in Österreich brachte die gebürtige Wienerin Katharina Winkler zu ihrem bei Suhrkamp erschienenen Debütroman über das Martyrium und die schlussendliche Befreiung einer türkischen Frau aus ihrer mit 15 eingegangenen Ehe. Harte Kost ist das, bildstark, explizit (auch sexuell) – und bringt hitzige, aber notwendige Diskussionen ins Klassenzimmer. „Blauschmuck“ist übrigens unter manchen Frauen in der Türkei ein Ausdruck für die Zeichen männlicher Gewalt auf ihrem Körper.
Der 23-jährig gestorbene Sozialrebell und innovative Autor fesselt mit seinem Woyzeck bis heute mehr als ein ganzer Haufen berühmter Dramenfiguren seines Jahrhunderts zusammen. Nur ein Sprung sei es von hier in die Gegenwart, zu Frauenmorden oder dem Umgang einer Gesellschaft mit psychischen Störungen, sehen Lehrer und Lehrerinnen an der Reaktion der Schüler. Außerdem lieben sie den „Woyzeck“aus einem ganz pragmatischen Grund: Er ist, anders als die meisten Dramen, wunderbar kurz.
BFF – Best friends forever, schreiben sich die Mädchen heute, wenn sie sich unzertrennlich fühlen, und sei’s auch nur für zwei Wochen. Aber es gibt auch symbiotische Burschenfreundschaften, und von einer solchen, letztlich verhängnisvollen, erzählt der Deutsche Dirk Kurbjuweit. Wie Zwillingsbrüder fühlen sich Johann und Ludwig, die mit elf Freunde wurden, jahrelang. Schwierig wird es spätestens mit ersten Mädchenbeziehungen. Ein Zusatzvorteil für Lehrer an dieser eingängigen Jugendgeschichte: Hier lässt sich, am 19. Jahrhundert vorbei, die klassische Novellenform studieren.
M(1808 bzw. 1832) uss man den „Faust“noch kennen, zumindest den ersten Teil der Tragödie, in dem Gretchen übel mitgespielt wird? Unbedingt! Dieses Universaldrama ist ein wesentlicher deutscher Beitrag zur Weltliteratur. Der „Faust“-Stoff beschäftigte den genialen Goethe beinahe sein ganzes langes Leben, er inspirierte unter anderem Heine, Byron, Puschkin, Bulgakow, Thomas und Klaus Mann. Die magische Figur aus dem Volksbuch, die einen Pakt mit dem Teufel schließt, um alles zu wissen, ist nur der Auslöser fürs strebende Bemühen, die Neuzeit zu verstehen. Teil zwei machte der Dichter zur intensiven Kulturgeschichte, die zurück bis in die Antike reicht. Über diesen Umweg findet er ins eben erst beginnende Industriezeitalter. Und führt uns noch viel weiter.
Unter Harding durften die philharmonischen Cellisten nicht einmal sichere Atouts wie die ausladend geschwungene Kantilene in Verdis Ouvertüre zur „Sizilianischen Vesper“ungehindert ausspielen.
Was sich in der folgenden Rachmaninow-„Rhapsodie“als eklatanter Mangel an Gespür für ein sensibles Zusammenspiel mit dem Solisten zeigen
Igor Levit brillierte – der Rest überragte kaum das Niveau eines gehobenen Kurkonzerts.
sollte, verhinderte schon eingangs bei Verdi den freien melodischen Fluss. Dazu kurios verschleppte Tempi: Was mögen sich die Geiger des Orchesters gedacht haben, als sie Edward Elgars jedem einzelnen von ihnen wohlvertrauten „Liebesgruß“von Hardings Gnaden kollektiv zur larmoyanten Schnulze zerdehnen mussten?
Ein Exempel mit Beethoven. DasPublikum klatschte nach allen Wunschkonzert-Titeln von Debussy bis Sibelius höflich, aber der Applaus verebbte unter leidenden Politikermienen aller Couleurs meist rasch. Igor Levit durfte seine Zugabe dennoch absolvieren. Er blieb nach Rachmaninow in der Tonart und statuierte mit Beethovens „Für Elise“ein Exempel: In kurzer Frist öffnete sich dank subtiler Temponuancierungen und dynamischer Schattierungen eine vielschichtige Ausdruckswelt. Vielleicht wieder mehr davon, wenn der Park wieder für alle geöffnet ist.