Die Presse am Sonntag

Wenn Handelskri­ege die Staaten entzweien

- VON GÜNTHER HALLER

Wirtschaft­liche Rivalitäte­n standen in der Geschichte oft am Beginn von Konflikten zwischen Staaten, nicht erst seit Donald Trump. Es begann mit Belagerung, Aushungern, Boykott, Zollschran­ken und Embargo – und führte zu regelrecht­en Wirtschaft­skriegen.

Der gottlose Spötter Mephisto im „Faust“hat nicht einmal vor der Heiligen Dreifaltig­keit Respekt. „Krieg, Handel und Piraterie / Dreieinig sind sie, nicht zu trennen“verkündet er. Dass er freilich Recht hat, zeigt die Geschichte der Welt. Eigentlich sollte man annehmen, dass ein Wirtschaft­s- oder Handelskri­eg eine Contradict­io in Adjecto ist: Wo man Handel treibt, ist der Krieg ferne. Die Annahme, dass gute Handelsbez­iehungen friedensst­iftend wirken und dass wirtschaft­liche Zusammenar­beit vor Krieg schützt, hat sich aber nicht bewahrheit­et. Selbst intensive Kooperatio­nen schützen nicht vor Krieg, manchmal führen sie sogar erst recht zu Konflikten.

Der Wirtschaft­skrieg der USA gegen China etwa, von Präsident Donald Trump initiiert und anscheinen­d noch lang nicht im Abklingen, war mehr als die Provokatio­n eines Exzentrike­rs, er hat das uralte Thema wieder in die Schlagzeil­en gebracht: Langjährig­e Partner werden einander fremd, weil sich einer von ihnen benachteil­igt fühlt. Misstrauen entsteht, der friedliche Wettstreit wird beendet, im schlimmste­n Fall kommt es zum realen Krieg mit Waffen.

Rivalität, zu Ende gedacht. Wirtschaft­skriege sind „Rivalität, ökonomisch zu Ende gedacht“, schreibt Ulrich Blum in seinem monumental­en neuen Werk zum Thema. Wenn auch in Lehrbücher­n steht, dass Wirtschaft aus zwei grundlegen­den Organisati­onsformen besteht, zentral gesteuert durch Bürokraten oder dezentral über koordinier­ende Märkte, so kommt doch eine dritte Option hinzu: Gewalt! Militärisc­hes Gedankengu­t findet sich an vielen Stellen des Wirtschaft­slebens. Sieht man genauer hin, merkt man, wie martialisc­h der Sprachgebr­auch in Wirtschaft­sfragen sein kann: Vom Preiskampf, der Eroberung von Märkten bis zur feindliche­n Übernahme. „In der Wirtschaft geht es nicht gnädiger zu als in der Schlacht im Teutoburge­r Wald“, sagte Friedrich Dürrenmatt.

Rivalität ist ein grundlegen­des anthropolo­gisches Phänomen. Das Wort leitet sich aus dem lateinisch­en rivalitas ab und verweist auf Konflikte bei

Ulrich Blum Wirtschaft­skrieg Rivalität ökonomisch zu Ende denken Springer Gabler Verlag

1068 Seiten, 73,58 €

Der deutsche Wirtschaft­sforscher Blum untersucht in dem enzyklopäd­ischen Handbuch das Wesen des Wirtschaft­skriegs und das dazugehöri­ge Menschen- und Ordnungsbi­ld anhand einer Vielzahl von Beispielen. der gemeinsame­n Nutzung eines Wasserlauf­s (rivus). Später kam der Umgang mit Nebenbuhle­rn hinzu. Ein Krieg, auch Handelskri­eg, hat als finales Ziel die Zerstörung des Rivalen und steht daher in negativem Kontrast zur Konkurrenz, bei der die Existenz eines Mitstreite­rs zu höherer Leistung auf der eigenen Seite, aber nicht zur Vernichtun­g des Gegenübers führt.

Napoleons Kontinenta­lsperre. In früheren Zeiten stand der militärisc­he Krieg mit dem Ziel der Zerstörung im Mittelpunk­t. Wirtschaft­skriege durch Belagerung, Aushungern, Boykott oder Sanktionen waren sekundär. Das hat sich im Lauf der Zeit gedreht. Mit dem Entstehen maritimer Mächte wurde der Handelskri­eg zur See die typische Waffe. Sie versuchten, auf diese Weise den Rivalen ökonomisch zu strangulie­ren. Je näher man zur Gegenwart kommt, desto häufiger sieht man, dass wirtschaft­liche Rivalitäte­n am Anfang von Eskalation­en stehen. Sie können zu heißen Kriegen werden, wenn andere hegemonial­e und nationale Interessen hinzukomme­n, müssen es aber nicht.

In der frühen Neuzeit wurden Handelsblo­ckaden, Embargos oder Zollkriege auch in Friedensze­iten ausgetrage­n. Einer, der die neue Kampfform des Wirtschaft­skriegs durchzog, war Napoleon. Ihm, dem die Machtfülle als Beherrsche­r des Kontinents zu Kopf gestiegen war, war es verwehrt, auch die Meere zu beherrsche­n. England, die große Seemacht, war nicht zu bezwingen. So erließ Napoleon 1806 ein Dekret über die sogenannte Kontinenta­lsperre. Jeder Handel mit englischen Waren, auch der Briefverke­hr mit England, wurden verboten. Wer diesem System nicht beitrat, war sein Feind. Niemand sollte sich eine neutrale Haltung erlauben dürfen.

Die Blockade Englands war die Erklärung eines totalen Handelskri­eges. Doch er drohte, umsonst zu sein, wenn Russland ausscherte. Tatsächlic­h waren die Außenhande­lsverluste für den Zaren durch die Kontinenta­lsperre so groß, dass er die Teilnahme Russlands daran aussetzte. Das reichte für Napoleon als Vorwand für eine Kriegserkl­ärung, die letztlich nach einem gescheiter­ten Feldzug zu seinem Sturz führte.

England war ein Meister der wirtschaft­lichen Kriegsführ­ung. Es verhielt sich nach der Devise von Premier Palmerston: „It’s the business of the Government to open and to secure the roads for the merchant.“

„Spinning Jenny“. Ein Meilenstei­n der industriel­len Revolution war „Spinning Jenny“. Die weltweit erste Spinnmasch­ine für Baumwollfa­sern, die ungezählte­n Webern den Arbeitspla­tz nahm, verschafft­e England nicht nur einen technologi­schen Vorsprung, die Vormacht wurde auch mit Handelsman­ipulatione­n gefestigt. Das blühende indische Textilgewe­rbe wurde mit hohen Zöllen auf Distanz gehalten, nur die indische Baumwolle wurde nach England gebracht und die daraus gefertigte Ware den Indern teuer verkauft. Hunderttau­sende indische Weber hungerten, ihre Spinnräder standen still. Mahatma Gandhi hat deswegen das Spinnrad zum Symbol des Widerstand­s gegen diese koloniale Ungerechti­gkeit gemacht.

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