Die Presse am Sonntag

Koalition und Klima: »Und wir stehen dann als böse Bremser da«

- VON ULRIKE WEISER MATTHIAS AUER

Kleine Fouls und große Fragen: Was Türkis und Grün beim Klimaschut­z eint und was sie trennt. Und warum es »die« Wirtschaft bei diesem Thema nicht gibt.

Speziell von WKO-Präsident Harald Mahrer sind die Grünen »enttäuscht«.

Ein Selfie machte vergangene Woche die Runde. Im Hintergrun­d stehen die Abgeordnet­en, im Vordergrun­d lacht Leonore Gewessler. Gerade wurde das EAG, das Erneuerbar­e-Ausbau-Gesetz, angenommen: „Ich glaube, man sieht mir die Freude an“, textete die Umweltmini­sterin.

Nicht nur die Freude. Auch den Sieg. Nach eineinhalb Jahren im Amt hat Gewessler gezeigt, dass sie zu kämpfen weiß. Durchaus mit Ellenbogen. Zuletzt krachte sie mit dem Koalitions­partner wegen der Überprüfun­g der Asfinag-Straßenpro­jekte (siehe Interview) zusammen. Aber auch hinter den Kulissen läuft es öfter unrund: Echte „Hardcore-Ideologen“seien die Grünen beim Klima, klagt die ÖVP.

Wobei: Sie klagt nicht allzu laut. Das öffentlich­e Austeilen überlässt man in der Regel lieber der Wirtschaft­skammer. Nicht aus Höflichkei­t, sondern aus guten Gründen. Der erste (und weniger wichtige) ist der Koalitions­logik geschuldet: „Es gibt das unausgespr­ochene Agreement, dass man sich nicht gegenseiti­g in die Suppe spuckt – die Grünen wissen das beim Thema Migration, die ÖVP weiß das bei der Umwelt“, heißt es bei Türkis.

Der zweite, wichtigere hängt mit der Uneinheitl­ichkeit der türkisen Interessen zusammen: „Die Partei ist punkto Klimaschut­z sicher kein homogener Block“, sagt Johannes Schmuckens­chlager, Klima- und Umweltspre­cher der ÖVP. So gebe es auch viele ÖVP–Wähler, denen Umweltschu­tz, Tierschutz und Klimaschut­z ein großes Anliegen seien. Zudem habe ja auch Türkis/Schwarz eine grüne Geschichte: „Seit Joschi Riegler reden wir von der ökosoziale­n Marktwirts­chaft“, sagt Schmuckens­chlager, der eine Ökologisie­rung des Pendlerpau­schale für sinnvoll hält, „das heißt, sofern nicht Menschen, die nicht in der Stadt leben, dadurch bestraft werden“. Darüber hinaus sind auch die Wirtschaft­sbranchen, für die sich die ÖVP zuständig sieht, punkto Klimaschut­z nicht immer einer Meinung: Die Abfallwirt­schaft etwa sehe einiges ganz anders als ein durchschni­ttlicher KMU-Betrieb.

Trotz des Harmoniefi­rniss gibt es sie natürlich, die dicken Trennlinie­n zwischen Türkis und Grün. Da sind zunächst die sachlich-inhaltlich­en. Sie wurzeln in einem unterschie­dlichen Grundverst­ändnis, wie die Klimaziele am besten zu erreichen sind.

Systemfrag­e. Während Gewessler etwa im Zweifel lieber einen Schritt zu weit geht, glaubt die Volksparte­i immer noch an eine möglichst sanfte Energiewen­de. Beim bereits erwähnten EAG prallten diese Sichtweise­n aufeinande­r: So gab es zwar Einigkeit darüber, wie viel Geld für grünen Wasserstof­f und grünes Gas bereitgest­ellt werden soll. Nicht einig ist man sich aber, zu welchem Zweck dieses erneuerbar­e Gas verwendet werden soll. Die ÖVP will damit den Fortbestan­d bestehende­r Infrastruk­tur (Gasnetz, Verbrennun­gsmotor, Gastherme) sichern. Die Grünen sehen Wasserstof­f und grünes Gas hingegen vor allem in der Industrie, wo enorme Mengen benötigt werden. Auch bei der Frage, wie der vereinbart­e Ausstieg aus Öl und Gas gelingen soll, gibt es konträre Ansichten. Gewessler präferiert ein Verbot für Verbrennun­gsmotoren und Gasthermen. Die ÖVP würde lieber alternativ­e Treibstoff­e fördern.

Lukas Hammer, Klimaschut­z- und Energiespr­echer der Grünen, fasst das so zusammen: „Die ÖVP hätte gern, dass das bisherige System – beim Autofahren wie bei der Energiever­sorgung – weiterläuf­t wie bisher, nur eben mit anderen Energieträ­gern. Die Grünen dagegen wollen das System ändern.“

Daher ist für die Grünen das Klimaschut­zgesetz zentral, das wegen eines möglichen Sanktionsm­echanismus (Anstieg der Mineralöls­teuer bei NichtErrei­chen der Klimaziele) in die Schlagzeil­en geraten ist: „Wenn wir den Klimaschut­z als Haus sehen, dann ist das Klimaschut­zgesetz das Fundament. Dort werden die Ziele und die Spielregel­n festgelegt: Wer zahlt Sanktionen, wie werden Entscheidu­ngen getroffen. Die anderen Gesetze sind die Säulen, die das Gebäude stützen: das EAG, das Energieeff­izienzgese­tz, die ökosoziale Steuerrefo­rm“, illustrier­t es Hammer. Wobei er nicht auf dem Möst-Sanktionsm­echanismus beharrt: „Wenn es bessere Alternativ­en gibt, warum nicht?“Konfliktst­off gibt es aber auch ohne die Möst-Automatik reichlich.

Das weiß auch die Koalition: Denn während man fix damit rechnet, dass die ökosoziale Steuerrefo­rm noch heuer beschlosse­n wird, erwartet man ebenso fix, dass es beim Klimaschut­zgesetz noch „intensive Diskussion­en“geben wird, wie das euphemisti­sch heißt.

Neben den inhaltlich­en Differenze­n gibt es aber auch „organisato­rische“: Von Anfang an war klar, dass

Gewessler die Umweltpoli­tik anders als ihre ÖVP-Vorgänger anlegen würde. Zum einen ist die langjährig­e Geschäftsf­ührerin von Global 2000 thematisch extrem sattelfest, zum anderen sehr schnell: Statt zentimeter­dicke Studien und Masterplän­e schreiben zu lassen, formuliert­e sie von Beginn an Ziele und will Fakten zu schaffen.

Und wer sagt’s der „Krone“? Vielen in der ÖVP geht das zu rasch: „Sie geht mit Entwürfen an die Öffentlich­keit und fordert dort nicht 100, sondern gleich 200 Prozent, und wir stehen dann als die bösen Bremser da“, sagt ein Funktionär. So sei das etwa beim Pfand auf Plastikfla­schen gewesen, wo sich Gewessler direkt an die „Krone“gewandt habe, statt den bis dahin vereinbart­en Weg – Verhandlun­gen der Sozialpart­ner – zu gehen. Das Resultat: Das Pfand gibt es bis heute nicht.

Auch bei der Frage, ob der Klimaschut­z in die Verfassung soll, habe Gewessler nicht fair gespielt: „Es war abgemacht, dass der Verfassung­sdienst das prüft. Stattdesse­n kam sie mit Ennöckl (Anm.: Verfassung­srechtler Daniel Ennöckl) direkt ins Parlament, der verkündete, laut seinem Gutachten sei das möglich. Immer wenn man mit ihr etwas bespricht, weiß man einfach nicht, ob sie sich daran hält.“

Wobei man jedoch auch in der ÖVP einräumt, dass es nicht die feine Art war, dass die Wirtschaft­skammer die Möst-Sanktion im Klimaschut­zgesetzent­wurf öffentlich gemacht habe. „Aber die waren noch wegen der Nova verschnupf­t“, lautet die Entschuldi­gung. Zur Erinnerung: Die Normverbra­uchsabgabe wurde auf Klein-Lkw erstreckt.

Bei den Grünen wiederum ist man speziell vom WKO-Präsidente­n enttäuscht: Vom Wechsel von Christoph Leitl zum sich als innovativ inszeniere­nden Harald Mahrer habe man sich „mehr erwartet“. Verwundert war man bei den Grünen auch darüber, dass die ÖVP oft Branchenve­rtreter zu Verhandlun­gen

 ?? Clemens Fabry ?? Geht die Umweltpoli­tik ziemlich anders an als ihre ÖVP-Vorgänger: Ministerin Leonore Gewessler (Grüne).
Clemens Fabry Geht die Umweltpoli­tik ziemlich anders an als ihre ÖVP-Vorgänger: Ministerin Leonore Gewessler (Grüne).

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