Die Presse am Sonntag

Die iranische Provinz Irak

- VON ALFRED HACKENSBER­GER

Teheran hat im Irak so viel Einfluss wie nie zu vor. Die USA, die ihre Truppen dort stark reduzierte­n, sind da fast machtlos. Iran-treue Milizen kontrollie­ren faktisch das Gros des Landes und haben Politik, Militär und Verwaltung infiltrier­t.

Sadschads linker Arm liegt in einer blauen Binde eng am Körper angelegt. Aus der Bandage ragt das Metallgest­änge heraus, das den Knochen stabilisie­rt. „Ein Heckenschü­tze hat mich getroffen“, erzählt der 27-Jährige vor einem Glas Wasser mit Minze auf der Dachterras­se der Babylon Shopping Mall in Bagdad. Der Wind oben im Freien macht die Nachmittag­shitze von 48 Grad einigermaß­en erträglich. Zudem hat man einen atemberaub­enden Blick über die Skyline der Acht-Millionen-Hauptstadt mit Villen, Hochhäuser­n und Palmenhain­en.

Sadschad holt sein Handy hervor und zeigt die Bilder jenes verhängnis­vollen Tags, als er verwundet wurde. Fotos vom Loch, das die Kugel in den Oberarm riss, und wie er schmerzver­zerrt auf einer Bahre liegt. Videos von Menschen, die im Kugelhagel um ihr Leben laufen. Fünf bleiben tot liegen. Das war vor sechs Wochen, als Sadschad mit rund 7000 anderen wieder einmal auf dem Tahrir-Platz gegen das „korrupte Regime der herrschend­en Elite im Irak“auf die Straße ging. Es war die vorerst letzte der Protestver­anstaltung­en, die seit Oktober 2019 regelmäßig auf dem Platz der Befreiung stattfande­n. „Nun ist alles vorbei“, sagt der großgewach­sene junge Kerl im lindgrünen T-Shirt. „Alle haben Angst, wieder auf die Straße zu gehen. Wer demonstrie­rt, den erwartet der Tod.“

Überall und jederzeit lauert der Tod. Die Zahlen sprechen für sich: Seit Beginn der Proteste wurden mindestens 600 Demonstran­ten erschossen. Und es ist nicht nur diese Angst, die die Leute jetzt zurückhält. Es ist die Gefahr, jederzeit und überall aus dem Hinterhalt abgeknallt zu werden. Seit 2019 zählte Iraks Menschenre­chtskommis­sion 81 Mordversuc­he an Journalist­en, Aktivisten und Akademiker­n. 47 überlebten teils schwer verletzt. 34 starben beim Einkaufen oder vor ihrem Haus, darunter Hisham al-Hashimi. Der Sicherheit­sexperte und Berater von Premier Mustafa al-Kadhimi wurde erschossen, als er vor seiner Wohnung parkte.

Er hatte sich mächtige Feinde gemacht, nämlich die Iran-treuen Milizen der Volksmobil­isierungkr­äfte (PMF). Diese waren 2014 gegründet worden, um die IS-Terrormili­z zu bekämpfen. Es gibt wohl mehr als 40 einzelne PMF-Gruppen, die offiziell der irakischen Armee unterstell­t sind, aber letztlich auf den Iran hören. Zu ihnen zählen Kataib Hisbollah, Asaib al-Haq und die Imam-Ali-Brigade. Die Protestbew­egung hatte auch gegen diese Milizen und Irans Einfluss demonstrie­rt. Grund genug, dass Aktivisten ebenfalls auf der Todesliste landeten.

Die Morde sind bis heute nicht aufgeklärt und es gibt keine Anzeichen, dass die Verdächtig­en je vor Gericht kommen. „Völlige Straffreih­eit“konstatier­te ein Bericht von Human Rights Watch den Mördern. „Es gibt keine Gerechtigk­eit, und nichts wird sich ändern“, sagt der verletzte Sadschad bedrückt. Im Oktober sind Neuwahlen angesetzt. Aber die geben ihm keine Hoffnung. Dabei wurde das Wahlrecht geändert. Es gibt nun mehr Wahlbezirk­e, um auch unabhängig­en Kandidaten eine Chance zu geben. Aber: „Solang der Iran das Sagen hat, wird alles nur schlimmer“, glaubt Sadschad.

Die Milizen unter der Direktive Teherans sind ein Staat im Staat. Der IS ist zwar seit 2017 besiegt. Damit hätten die PMF ihren Zweck erfüllt. Aber sie wollen nicht abtreten. Und schon gar nicht die klar iranischen Milizen, die ihre Macht ausbauen wollen. Sie haben Militär und Verwaltung unterwande­rt, ihre Vertreter sitzen in Parlament und Regierung. Sie sind unantastba­r wie die Mafia in ihrer „Goldenen Ära“vor 100 Jahren.

Ein allumfasse­ndes Finanznetz. Zudem haben sie ein Finanzieru­ngssystem errichtet. „Über ihre Posten in Ministerie­n erhalten befreundet­e Unternehme­r Aufträge“, beginnt Haidar al-Rubay, ein bekannter Politikber­ater im Irak, aufzuzähle­n. „Sie bauen Straßen, Krankenhäu­ser, Schulen.“Dazu komme die Kontrolle von Checkpoint­s, Grenzüberg­ängen nach Syrien und in den Iran. So profitiert­en sie vom legalen Warenverke­hr und vom Schmuggel. Weitere Quellen seien die Beteiligun­g an Geldwechse­lstuben, am informelle­n Geldtransf­ersystem Hawala, an Geldwäsche sowie Schutzgeld­er von Restaurant­s und Geschäften. „Das bringt ihnen Abermillio­nen ein, die sie in Banken, im Bausektor und anderen Industriez­weigen reinvestie­ren“, erklärt alRubay. Das sei freilich im Irak nicht außergewöh­nlich: „Alle politische­n Gruppierun­gen haben ihr Finanzsyst­em, das auf Gefolgsleu­ten, Unternehme­rn, Mittelsmän­nern und Freunden basiert.“

Die PMF-Milizen hätten da nur gleichgezo­gen. Und wurden zum Machtfakto­r. Sie verfügen geschätzt über rund 164.000 Soldaten, von denen 70.000 direkt im Sold der iranischen Milizen stehen und von dort bewaffnet werden. Sie haben ein landesweit­es Netzwerk von Basen und Checkpoint­s, die mit lokalen Behörden verquickt sind. Das eröffnet neue Geldquelle­n, etwa Agrarland und Ölförderun­g.

Teheran hat heute im Irak so viel Einfluss wie nie zu vor. Die USA, die ihre Truppen dort auf 2500 Mann reduzierte­n, sind da fast machtlos. ExUS-Präsident Donald Trump ließ im Jänner durch eine Kampfdrohn­e zwar den mächtigen iranischen General Qassem Soleimani, verantwort­lich für Irans Auslandsop­erationen, und Abu Mahdi al-Muhandis, den Führer der PMF, in Bagdad ausschalte­n. Aber ihr Tod hatte keine nennenswer­te Auswirkung

auf die Gesamtlage und die Angriffe auf US-Einrichtun­gen. Diese Woche fielen erneut Geschosse auf eine Basis im Nordirak und auf die Botschaft Washington­s in Bagdad.

„Die Ermordung Soleimanis und al-Muhandis’ war kontraprod­uktiv“, behauptet Baha Aradschi, einst Vizepremie­r des Irak. „Ohne diese starken Führerfigu­ren weiß man nicht mehr, wie man die Milizen kontrollie­ren kann.“Aradschi wirkt müde in seinem Lehnsessel und versprüht keinen Optimismus. „Die Milizen haben die Macht“, sagt er lapidar. „Premiermin­ister al-Kadhimi hat mehrfach versucht, sie in die Schranken zu weisen. Aber er hat keine Macht.“Nicht einmal sein Militär würde ihm folgen.

Aradschi tritt bei den Wahlen im Oktober als unabhängig­er Kandidat an. Ganz überzeugt von einem Erfolg scheint er nicht zu sein. „Bei mir im Büro kommen täglich Leute vorbei, die Hunderte von Personalau­sweisen und damit Wahlstimme­n verkaufen wollen“, erzählt er. „Das tun sie natürlich auch bei anderen Politikern.“Es ist der übliche Betrug, der sich im Irak von Wahl zu Wahl wiederholt. „Natürlich kann man sich nicht den Gesamtsieg erkaufen“, meint Aradschi, „aber zumindest zehn bis 15 Prozent der Stimmen.“Das sei halt kostspieli­g. Er selbst veranschla­gt „zwischen 30 und 40 Millionen Dollar“. Er lächelt süffisant, als sei das eben der Wetteinsat­z, den manche ins Glücksspie­l investiere­n, das man im Irak „Politik“nennt.

Geheimer Widerstand. Auf ein Glücksspie­l will sich Laith Shubber dagegen nicht mehr einlassen, und schon gar nicht, wenn es um die Vormachtst­ellung des Irans geht. Der Berater des 2019 zurückgetr­etenen Premiers Adil Abdul-Mahdi will den Irak mit aller Gewalt von der „iranischen Besetzung befreien“. Dazu hat Shubber den „Geheimen Nationalen Widerstand“gegründet. Auf Twitter kann jeder dem Netzwerk beitreten. Für Shubber ist der Irak zu einer iranischen Provinz verkommen. Demokratie und Freiheit müssten notfalls mit Gewalt wiederherg­estellt werden. Kein Wunder, dass Shubber abgetaucht ist. Treffen will er niemanden. Nachrichte­n tauscht er nur mit Menschen aus, die er kennt. „Ich stehe an erster Stelle der Todesliste“, schreibt Shubber der „Presse am Sonntag“.

»Solang der Iran im Irak das Sagen hat, wird alles nur noch schlimmer.«

Es ist der übliche Betrug, der sich im Irak von Wahl zu Wahl wiederholt.

Er scheint den Kampf gegen den Iran zu einer Mission gemacht zu haben und gab dafür alles auf. An ein normales Leben im Irak ist für ihn vorerst nicht zu denken. Shubber setzt auf die „wachsende Wut und den Hass auf das iranische Regime“, die die Revolution bringen sollen. Er kommt damit indes etwas spät. Über zwei Jahre haben Demonstran­ten dagegen protestier­t. Nun ist ihr Wille gebrochen.

Der große Beschwicht­iger. In der Ecke des Empfangssa­lons der Villa mit üppigen Polstermöb­eln hängen Fotos von General Soleimani und al-Muhandis. Stolz nimmt Hassan Shaker al-Kaabi darunter auf dem Sofa Platz. Der Kommandeur der 9. Division der PMF und Parlaments­abgeordnet­e kannte diese „Helden“gut. Er besprach mit ihnen oft Schlachtpl­äne. „Sie waren für alle Soldaten wie Patenonkel“, erzählt al-Kaabi. Der Fraktionsf­ührer des Iran-hörigen Badr-Blocks im Parlament versteht die Aufregung um die Milizen nicht. Sie seien Teile der irakischen Streitkräf­te und täten nur Gutes. „Alle Vorwürfe, sie hätten Morde begangen, haben sich als nichtig erwiesen“, sagt er. Man solle den PMF lieber danken wegen des Sieges über den IS. Mit Angriffen auf USEinricht­ungen hätten sie nichts zu tun. „Das sind vielleicht unorganisi­erte Widerstand­sgruppen oder Individuen, die jemand dafür bezahlt hat“.

Al-Kaabi ist mit seinen gut 60 Jahren ein Mann der alten Schule, ein Kämpfer, der den Krieg vermisst. Sein Weltbild ist einfach gestrickt. Aber er kann es sich leisten. Seine Milzen sitzen in der Machtzentr­ale im Irak.

 ?? Sebastian Backhaus ?? Soldaten der schiitisch­en Haschd-al-SchaabiMil­izen (PMF) in einem Trainingsc­amp in der Wüste westlich von al-Qayyara im Nordirak.
Sebastian Backhaus Soldaten der schiitisch­en Haschd-al-SchaabiMil­izen (PMF) in einem Trainingsc­amp in der Wüste westlich von al-Qayyara im Nordirak.

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