Die neue Generation von Hüttenwirten
Ein Sommer auf einer Schutzhütte ist harte Arbeit. Trotzdem ist der Job am Berg vor allem bei Quereinsteigern immer begehrter. Koch, Kellner, Lastenträger, Bergführer, Mediator, Psychologe: Das Aufgabenfeld ist bunt.
In den ersten zwei Monaten ist alles kaputtgegangen, was nur kaputtgehen kann: die Kaffeemaschine, der Herd. Es gab unheimlich viel Schnee. „Es war eine harte Zeit, die hätte wohl so manchen angehenden Hüttenwirt dauerhaft abgeschreckt.“Doch Tobias Spechter und Lukas Aichhorn ließen sich nicht entmutigen.
Die beiden haben im Frühjahr 2019 als Pächter die Lizumer Hütte oberhalb von Wattens übernommen – als Quereinsteiger und mit großen Ambitionen. Der Traum von der eigenen Hütte landete recht schnell in der Realität. „Wir hatten viel Unterstützung von Freunden, von der Familie und von der Alpenvereinssektion“, erzählen die beiden. Auch wenn der Anfang im Frühjahr 2019 fordernd war, sind sie überzeugt, damals den richtigen Schritt gemacht zu haben.
Besonderer Arbeitsplatz. Es ist schon etwas Besonderes, einen Arbeitsplatz hoch über dem Tal zu haben. Tobias und Lukas sind keine klassischen Hüttenwirte, die das Geschäft schon seit Generationen innerhalb der Familie weitergeben. Sie sind Quereinsteiger in das Geschäft am Berg. Der 31-jährige Bayer Tobias hat Wirtschaft studiert und war als Weltenbummler mit dem Fahrrad und zu Fuß auf mehreren Kontinenten unterwegs. Dazwischen hat der junge Mann saisonweise auf einer Berghütte gearbeitet und während des Studiums Projektarbeiten zum Thema geschrieben.
Der 39-jährige Lukas hatte nach der Matura eine Kochlehre angeschlossen und jahrelang in der klassischen Gastronomie gearbeitet, ehe er ein ernährungswissenschaftliches Studium absolvierte und schließlich fünf Jahre in Tirol ein Sozialprojekt leitete. „Dann war es Zeit für etwas Neues“, erzählt Lukas. Weil er noch keinen Plan hatte, überbrückte er die Zeit als Koch auf der Regensburger Hütte. Dort lernte er Tobias kennen, der ihm vorschlug, gemeinsam eine Hütte zu übernehmen. „Ich hab damals schon sehr überlegt, schließlich ist die Selbstständigkeit auch ein großes Risiko“, erinnert sich Lukas. Doch die Lust, etwas Neues zu starten, überwog.
Im Frühjahr 2019 begannen sie ihr Teamwork auf der Lizumer Hütte. Lukas kümmert sich um den Einkauf und die Küche, Tobias ist für die Logistik und Organisation zuständig. „Es ist viel Arbeit, aber es macht unheimlich Spaß“, sagt Tobias. Und auch für Lukas ist der Arbeitsplatz am Berg ein Geschenk. Wenn auch recht wenig Gelegenheit bleibt, auf Tour zu gehen.
Ideale Voraussetzung? Tobias und Lukas sind ein Beispiel für Menschen, die ihren Job im Tal gegen eine Aufgabe auf dem Berg getauscht haben. Beim Alpenverein (OeAV), der pro Jahr rund zehn Hütten an neue Pächter zu vergeben hat, bemerkt man steigendes Interesse von Menschen, bei denen der Weg zum Hüttenwirt nicht ganz nahelag. „Es melden sich welche, die sagen, das Wandern ist mein Hobby, und deshalb will ich eine Hütte führen“, erzählt Peter Kapelari, der beim OeAV für die Hütten und Wege zuständig ist. Das sei nicht gerade die ideale Voraussetzung.
Aber es gebe auch viele Quereinsteiger, die mit großem Realismus an die Sache herangehen. „Wir haben immer wieder Naturtalente, die das ganz wunderbar machen.“
So wie Tobias und Lukas, denen Kapelari großen Respekt zollt. Die Lizumer Hütte hat einen großen Vorteil. Durch ihre Lage kann sie über eine eingeschränkte Zufahrt beliefert werden, die Hüttenwirte brauchen kein eigenes Kraftwerk betreiben, es gibt Strom und Fließwasser, die Ausstattung ist relativ modern. Das ist bei vielen Schutzhütten längst nicht selbstverständlich, weil sie so abgelegen sind.
»Wir haben immer wieder Naturtalente, die das ganz wunderbar machen.«
„Die meisten unserer Hütten sind Insellagen. Das heißt, man muss als Hüttenwirt die Ver- und Entsorgung selbst organisieren“, erläutert Kapelari. Die Qualität des Trinkwassers ist zu kontrollieren, die Kläranlage zu betreuen, die Abfallentsorgung ins Tal zu organisieren. Dazu kommt die Planung des Einkaufs, die meisten Hütten werden zwei bis drei Mal pro Saison per Hubschrauber beliefert. Das braucht eine gut durchdachte Planung und Erfahrung. „Koch, Kellner, Bergretter, Bergführer, Psychologe, Mediator, Lastenträger, Wasserwart und Kleinkläranlagenwärter“, nennt Kapelari nur einige Berufe, die die Aufgabe als Hüttenwirt inkludiert. Und seit der vergangenen Saison ist man zusätzlich Corona-Beauftragter.
Mädchen für alles. Veronika Gruber, eine junge Frau aus Bad Gastein, hatte eine recht konkrete Vorstellung davon, was auf sie zukommt, als sie im Vorjahr die urige Gamskarkogelhütte im Gasteinertal übernahm „Ich habe fünf Jahre die Almhütte meiner Eltern geführt“, erzählt Gruber. Da hieß es, um fünf Uhr aufstehen, um die Kühe zu melken. Jetzt bereite sie um diese Zeit das Frühstück für die Gäste zu, die Hütte hat 20 Schlafplätze. Für frische Eier sorgen die hütteneigenen Hühner. Erst seit dem Vorjahr gibt es fließendes Wasser in der Gamskarkogelhütte – aus einer Anlage zur Regenwasseraufbereitung. Eine Fotovoltaikanlage sorgt für Lichtstrom, außerdem gibt es eine Trockenkompostieranlage. An den Zustiegen zur Hütte liegen vorsorglich Holzscheite bereit. Wer heraufgeht, sollte zwei, drei Scheiter in den Rucksack packen und mitnehmen, ist die Idee. Viele Einheimische und Gäste tun das auch und helfen so mit, dass die Versorgung am Berg gut funktioniert.
Den Sommer hier zu verbringen, sei ein Geschenk – auch wenn es anstrengend ist und sie sich als „Mädchen für alles“sieht. Wenn viel los ist, kommt die 28-Jährige auf einen 16-Stunden-Tag. Den Rundumblick, den sie genießt, empfindet Gruber als ihre persönliche Kraftquelle, ein Blick aus dem Fenster, und sie kann auch in stressigen Zeiten auftanken. Aber es sind nicht nur die Freiheit am Berg und das Panorama. „Die Wertschätzung der Gäste ist am Berg eine andere“, erzählt sie. Es kommt viel zurück.
Das ist auch für Mark Worlitzer wichtigste Motivation: „Man erhält sofort Feedback für das, was man tut.“Früher hat der Bayer im Marketingbereich gearbeitet. Nun schreibt er keine Konzepte, sondern kocht, serviert, putzt. „Hier ist alles so unmittelbar“, erzählt er. Seit 2019 bewirtschaftet er die Stuhlalm auf der Sonnenseite des Gosaukamms. War er früher viel auf großen Bergtouren, ist er froh, wenn er jetzt ab und zu eine halbe Stunde über die Alm spazieren kann. Trotzdem würde er nicht tauschen. „Es ist ein Jugendtraum, ich lebe meine Leidenschaft“, schwärmt Worlitzer, der alle Speisen auf der Hütte frisch kocht. Aus Überzeugung und weil es notwendig ist: Der Strom reicht nicht für Gefriertruhen. Die Tage sind lang, die Nächte kurz. Im Sommer hat man nie frei.
Von der Bank auf den Berg. Die viele Arbeit hat auch Gebhard Donnenberg nicht abgeschreckt. Mehrere Sommer hat der Bankbeamte auf der Werfener Hütte ausgeholfen. Ende Mai begann er dort als Hüttenwirt, weil die Pächterin nach zwei Saisonen aufgab. Der Kontakt zu den Menschen, die hier herauf wandern, ist auch für Donnenberg ein Grund, warum er die Arbeit auf knapp 2000 Meter Seehöhe so mag. Er sieht es als Ausgleich zu seiner Tätigkeit in der Bank. Und am Abend, wenn es langsam ruhiger wird und die Tagesgäste ins Tal absteigen, genießt er die schönste Aussicht der Welt.
Einen gesunden Realismus und eine solide Erfahrung in der Gastronomie sollte man als Neo-Hüttenwirt mitbringen, raten Tobias Spechter und Lukas Aichhorn. Schließlich muss sich am Ende der Saison die Sache auch wirtschaftlich ausgehen. Ein, zwei Saisonen auf einer Berghütte gearbeitet zu haben könne bei der Einschätzung dessen, was auf einen zukomme, auch nicht schaden. Weil: „Man muss das mögen, monatelang auf dem Berg zu sein. Es ist eine vollkommen andere Art des Alltags“, sagt Lukas. Einen Alltag, den er und Tobias so schnell nicht wieder aufgeben wollen.