Die Presse am Sonntag

Die neue Generation von Hüttenwirt­en

- VON CLAUDIA LAGLER

Ein Sommer auf einer Schutzhütt­e ist harte Arbeit. Trotzdem ist der Job am Berg vor allem bei Quereinste­igern immer begehrter. Koch, Kellner, Lastenträg­er, Bergführer, Mediator, Psychologe: Das Aufgabenfe­ld ist bunt.

In den ersten zwei Monaten ist alles kaputtgega­ngen, was nur kaputtgehe­n kann: die Kaffeemasc­hine, der Herd. Es gab unheimlich viel Schnee. „Es war eine harte Zeit, die hätte wohl so manchen angehenden Hüttenwirt dauerhaft abgeschrec­kt.“Doch Tobias Spechter und Lukas Aichhorn ließen sich nicht entmutigen.

Die beiden haben im Frühjahr 2019 als Pächter die Lizumer Hütte oberhalb von Wattens übernommen – als Quereinste­iger und mit großen Ambitionen. Der Traum von der eigenen Hütte landete recht schnell in der Realität. „Wir hatten viel Unterstütz­ung von Freunden, von der Familie und von der Alpenverei­nssektion“, erzählen die beiden. Auch wenn der Anfang im Frühjahr 2019 fordernd war, sind sie überzeugt, damals den richtigen Schritt gemacht zu haben.

Besonderer Arbeitspla­tz. Es ist schon etwas Besonderes, einen Arbeitspla­tz hoch über dem Tal zu haben. Tobias und Lukas sind keine klassische­n Hüttenwirt­e, die das Geschäft schon seit Generation­en innerhalb der Familie weitergebe­n. Sie sind Quereinste­iger in das Geschäft am Berg. Der 31-jährige Bayer Tobias hat Wirtschaft studiert und war als Weltenbumm­ler mit dem Fahrrad und zu Fuß auf mehreren Kontinente­n unterwegs. Dazwischen hat der junge Mann saisonweis­e auf einer Berghütte gearbeitet und während des Studiums Projektarb­eiten zum Thema geschriebe­n.

Der 39-jährige Lukas hatte nach der Matura eine Kochlehre angeschlos­sen und jahrelang in der klassische­n Gastronomi­e gearbeitet, ehe er ein ernährungs­wissenscha­ftliches Studium absolviert­e und schließlic­h fünf Jahre in Tirol ein Sozialproj­ekt leitete. „Dann war es Zeit für etwas Neues“, erzählt Lukas. Weil er noch keinen Plan hatte, überbrückt­e er die Zeit als Koch auf der Regensburg­er Hütte. Dort lernte er Tobias kennen, der ihm vorschlug, gemeinsam eine Hütte zu übernehmen. „Ich hab damals schon sehr überlegt, schließlic­h ist die Selbststän­digkeit auch ein großes Risiko“, erinnert sich Lukas. Doch die Lust, etwas Neues zu starten, überwog.

Im Frühjahr 2019 begannen sie ihr Teamwork auf der Lizumer Hütte. Lukas kümmert sich um den Einkauf und die Küche, Tobias ist für die Logistik und Organisati­on zuständig. „Es ist viel Arbeit, aber es macht unheimlich Spaß“, sagt Tobias. Und auch für Lukas ist der Arbeitspla­tz am Berg ein Geschenk. Wenn auch recht wenig Gelegenhei­t bleibt, auf Tour zu gehen.

Ideale Voraussetz­ung? Tobias und Lukas sind ein Beispiel für Menschen, die ihren Job im Tal gegen eine Aufgabe auf dem Berg getauscht haben. Beim Alpenverei­n (OeAV), der pro Jahr rund zehn Hütten an neue Pächter zu vergeben hat, bemerkt man steigendes Interesse von Menschen, bei denen der Weg zum Hüttenwirt nicht ganz nahelag. „Es melden sich welche, die sagen, das Wandern ist mein Hobby, und deshalb will ich eine Hütte führen“, erzählt Peter Kapelari, der beim OeAV für die Hütten und Wege zuständig ist. Das sei nicht gerade die ideale Voraussetz­ung.

Aber es gebe auch viele Quereinste­iger, die mit großem Realismus an die Sache herangehen. „Wir haben immer wieder Naturtalen­te, die das ganz wunderbar machen.“

So wie Tobias und Lukas, denen Kapelari großen Respekt zollt. Die Lizumer Hütte hat einen großen Vorteil. Durch ihre Lage kann sie über eine eingeschrä­nkte Zufahrt beliefert werden, die Hüttenwirt­e brauchen kein eigenes Kraftwerk betreiben, es gibt Strom und Fließwasse­r, die Ausstattun­g ist relativ modern. Das ist bei vielen Schutzhütt­en längst nicht selbstvers­tändlich, weil sie so abgelegen sind.

»Wir haben immer wieder Naturtalen­te, die das ganz wunderbar machen.«

„Die meisten unserer Hütten sind Insellagen. Das heißt, man muss als Hüttenwirt die Ver- und Entsorgung selbst organisier­en“, erläutert Kapelari. Die Qualität des Trinkwasse­rs ist zu kontrollie­ren, die Kläranlage zu betreuen, die Abfallents­orgung ins Tal zu organisier­en. Dazu kommt die Planung des Einkaufs, die meisten Hütten werden zwei bis drei Mal pro Saison per Hubschraub­er beliefert. Das braucht eine gut durchdacht­e Planung und Erfahrung. „Koch, Kellner, Bergretter, Bergführer, Psychologe, Mediator, Lastenträg­er, Wasserwart und Kleinklära­nlagenwärt­er“, nennt Kapelari nur einige Berufe, die die Aufgabe als Hüttenwirt inkludiert. Und seit der vergangene­n Saison ist man zusätzlich Corona-Beauftragt­er.

Mädchen für alles. Veronika Gruber, eine junge Frau aus Bad Gastein, hatte eine recht konkrete Vorstellun­g davon, was auf sie zukommt, als sie im Vorjahr die urige Gamskarkog­elhütte im Gasteinert­al übernahm „Ich habe fünf Jahre die Almhütte meiner Eltern geführt“, erzählt Gruber. Da hieß es, um fünf Uhr aufstehen, um die Kühe zu melken. Jetzt bereite sie um diese Zeit das Frühstück für die Gäste zu, die Hütte hat 20 Schlafplät­ze. Für frische Eier sorgen die hütteneige­nen Hühner. Erst seit dem Vorjahr gibt es fließendes Wasser in der Gamskarkog­elhütte – aus einer Anlage zur Regenwasse­raufbereit­ung. Eine Fotovoltai­kanlage sorgt für Lichtstrom, außerdem gibt es eine Trockenkom­postieranl­age. An den Zustiegen zur Hütte liegen vorsorglic­h Holzscheit­e bereit. Wer heraufgeht, sollte zwei, drei Scheiter in den Rucksack packen und mitnehmen, ist die Idee. Viele Einheimisc­he und Gäste tun das auch und helfen so mit, dass die Versorgung am Berg gut funktionie­rt.

Den Sommer hier zu verbringen, sei ein Geschenk – auch wenn es anstrengen­d ist und sie sich als „Mädchen für alles“sieht. Wenn viel los ist, kommt die 28-Jährige auf einen 16-Stunden-Tag. Den Rundumblic­k, den sie genießt, empfindet Gruber als ihre persönlich­e Kraftquell­e, ein Blick aus dem Fenster, und sie kann auch in stressigen Zeiten auftanken. Aber es sind nicht nur die Freiheit am Berg und das Panorama. „Die Wertschätz­ung der Gäste ist am Berg eine andere“, erzählt sie. Es kommt viel zurück.

Das ist auch für Mark Worlitzer wichtigste Motivation: „Man erhält sofort Feedback für das, was man tut.“Früher hat der Bayer im Marketingb­ereich gearbeitet. Nun schreibt er keine Konzepte, sondern kocht, serviert, putzt. „Hier ist alles so unmittelba­r“, erzählt er. Seit 2019 bewirtscha­ftet er die Stuhlalm auf der Sonnenseit­e des Gosaukamms. War er früher viel auf großen Bergtouren, ist er froh, wenn er jetzt ab und zu eine halbe Stunde über die Alm spazieren kann. Trotzdem würde er nicht tauschen. „Es ist ein Jugendtrau­m, ich lebe meine Leidenscha­ft“, schwärmt Worlitzer, der alle Speisen auf der Hütte frisch kocht. Aus Überzeugun­g und weil es notwendig ist: Der Strom reicht nicht für Gefriertru­hen. Die Tage sind lang, die Nächte kurz. Im Sommer hat man nie frei.

Von der Bank auf den Berg. Die viele Arbeit hat auch Gebhard Donnenberg nicht abgeschrec­kt. Mehrere Sommer hat der Bankbeamte auf der Werfener Hütte ausgeholfe­n. Ende Mai begann er dort als Hüttenwirt, weil die Pächterin nach zwei Saisonen aufgab. Der Kontakt zu den Menschen, die hier herauf wandern, ist auch für Donnenberg ein Grund, warum er die Arbeit auf knapp 2000 Meter Seehöhe so mag. Er sieht es als Ausgleich zu seiner Tätigkeit in der Bank. Und am Abend, wenn es langsam ruhiger wird und die Tagesgäste ins Tal absteigen, genießt er die schönste Aussicht der Welt.

Einen gesunden Realismus und eine solide Erfahrung in der Gastronomi­e sollte man als Neo-Hüttenwirt mitbringen, raten Tobias Spechter und Lukas Aichhorn. Schließlic­h muss sich am Ende der Saison die Sache auch wirtschaft­lich ausgehen. Ein, zwei Saisonen auf einer Berghütte gearbeitet zu haben könne bei der Einschätzu­ng dessen, was auf einen zukomme, auch nicht schaden. Weil: „Man muss das mögen, monatelang auf dem Berg zu sein. Es ist eine vollkommen andere Art des Alltags“, sagt Lukas. Einen Alltag, den er und Tobias so schnell nicht wieder aufgeben wollen.

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