Schafe, Streuobst – und Potenzi
In Hermagor verarbeiten Leopold Feichtinger und Ulrike Petschacher unter anderem die Milch von 21 Schafen. Und lassen dabei eine gefährdete Rasse wieder aufleben.
Kaum haben die Schafe die wenigen Handvoll Getreide aufgefressen, mit denen sie Leopold Feichtinger auf die Weide gelockt hat, zischen sie auch schon wieder ab in Richtung Stall – mit einer Vehemenz, die man den eher ruhigen Tieren gar nicht zutrauen würde: In ihrem dunklen Wollkleid ist ihnen in der Sonne einfach zu heiß. Und so verbringen sie diese Tage lieber im schattigen Stall. Um dann gegen Abend auf die Wiese auszuströmen und sich dort am frischen Gras zu laben.
Davon gibt es rund um den Hof, den Feichtinger und seine Frau, Ulrike Petschacher, betreiben, genügend. Und noch viel mehr dazu. Wenige Autominuten vom Zentrum Hermagors entfernt findet man sich hier in einem echten Landidyll wieder: ein altes Hofgebäude, rundherum Obstbäume aller Art, ein Gemüsegarten, Himbeersträucher und eben der nach traditioneller Kärntner Fac¸on aus Holz gebaute Stall, in dem die 21 Melkschafe von Antoinette bis Zita den Schatten genießen.
Rund fünf Jahre ist es her, dass Feichtinger und Petschacher mit ihren Kindern hierhergezogen sind. Ein bisschen haben sie damit einen Traum wahr gemacht, den viele haben, die irgendwo in der Stadt leben und tagein, tagaus ins Büro gehen: zurück zur Natur, den Schreibtisch ersetzen gegen ein Leben im Rhythmus der Jahreszeiten und Arbeit mit den Händen, dabei auch noch gute Lebensmittel produzieren – auch wenn die Realität natürlich nicht immer ganz so idyllisch ist.
Der GAU. „Manchmal denke ich mir schon, wir haben uns den GAU schlechthin gegeben, ein geregeltes Leben aufzugeben, zwei Jobs links liegen zu lassen, um in eine Baustelle einzuziehen und dann noch ein drittes Kind dazu zu kriegen“, sagt Petschacher lachend über die Anfänge auf dem Bauernhof vor einigen Jahren. „Das Nette ist, dass man vorher nicht weiß, was das tatsächlich heißt, sonst würde man es nicht tun“, ergänzt ihr Mann.
Eigentlich haben sie beide in Wien Biologie studiert, später bei Umweltorganisationen
gearbeitet. „Aber den Poldi hat es nicht losgelassen, irgendwann auf einem Bauernhof zu arbeiten“, sagt Petschacher. Er verbringt zwei Jahre in einem Demeter-Winzerbetrieb in Niederösterreich, mit der Conclusio: Landwirtschaft ja – aber wenn, dann soll es ein eigenes Projekt sein. Das einige Jahre später Wirklichkeit wird, mit ihrem Hof, auf dem sie in einer kleinen Käserei seitdem Bio-Schafmilchprodukte herstellen, von Joghurt über Frischkäse und Feta bis zu einem Camembert (siehe Faktenkasten unten). Und zugleich eine alte, zeitweise fast in Vergessenheit geratene Schafrasse wiederbeleben.
Ihre kleine Herde – mit den Jungtieren und den nicht Gemolkenen sind es rund 50 Tiere – besteht aus Krainer Steinschafen. Als sogenannte Dreinutzungsschafe für Milch, Fleisch und
Wolle waren diese im Dreiländereck zwischen Kärnten, Slowenien und Friaul einst weit verbreitet, bis sie irgendwann wirtschaftlich uninteressant wurden. „Es gab einmal nur noch 18 Tiere in Österreich“, sagt Feichtinger. Mit rund 3500 Tieren zählt das Krainer Steinschaf, dessen Wollkleid neben schwarz und grau auch weiß oder gescheckt sein kann, bis heute zu den stark gefährdeten Rassen.
Warum sie sich für diese entschieden haben? „Weil sie hübsch sind“, sagt Feichtinger. Außerdem sind sie eher klein und weniger scheu als manche andere. „Und wir wollten keine Schafe, in die man Tonnen von Kraftfutter hineinpumpen muss.“Hier bekommen sie im Wesentlichen Gras und Heu – und Kraftfutter nur in geringen Dosen: etwa, um sie (an weniger heißen Tagen) von der Weide in den Stall zu locken, wo sie gemolken werden.
Wobei nicht sofort klar war, dass wirklich mit Milch gearbeitet werden soll – was ja auch bedeutet: zwei Mal täglich zu melken. „Das haben wir uns
Einst gab es nur noch 18 Krainer Steinschafe in ganz Österreich.
sehr lang überlegt, weil wir beide sehr freiheitsliebende Menschen sind“, sagt Petschacher. Und es sei auch ein Wermutstropfen, den Kindern nicht in dem Ausmaß die Welt zeigen zu können, wie sie es gern würden. Unter anderem angesichts der geringen Fläche sei die Entscheidung dann aber gefallen. Und: „Wir wollten auch nicht in so großer Dimension Fleisch produzieren.“
Fleisch – und Obst. Teil des Ganzen ist das Fleisch allerdings dennoch – logischerweise: Für die Milch braucht es Lämmer, die mit acht bis zehn Monaten geschlachtet und wie auch Käse und Joghurt direkt vermarktet werden. Sie dürfen die ersten Lebenswochen Tag und Nacht bei der Mutter verbringen und auch später noch mittrinken. Und grasen inzwischen auf Streuobstwiesen in der ganzen Gegend, eine Idee, die sich gerade zum zweiten Standbein des Hofs entwickelt.
„Wir selbst haben rund um den Hof 36 Obstbäume. Und ich bin draufgekommen, dass es rundherum noch viele alte Obstgärten gibt, die ungenutzt schiedlichen für die Herstellung der Kletzen genutzten Birnensorten hat er im Zuge dessen Edelreiser abgenommen, um Bäume nachzuziehen.
In weiterer Folge sollen in den Ortschaften Hermagor und Kötschach in Zukunft zwei Sortengärten entstehen, die dem Thema Kletzenbirne gewidmet sind. „Da wollen wir, vielleicht auch mit Schulen und Kindergärten, Bäume auspflanzen und so auch ein Bewusstsein schaffen“, sagt Feichtinger. Irgendwann könnten auch die Früchte dieser Bäume zu Kletzen verarbeitet und vermarktet werden.
Als Produkt etablieren. Außerdem soll sich künftig ein Slow-Food-PresidioProjekt um die gedörrten Birnen drehen – erstmals grenzüberschreitend, denn im angrenzenden Italien gibt es ebenfalls eine Kletzentradition, die vor dem Vergessen bewahrt werden soll. „Insgesamt geht es darum, die Kletzen auch als Vermarktungsprodukt wieder hinter dem Vorhang hervorzuholen und zu etablieren“, sagt Feichtinger. Denn nur so kann letztlich ihre Produktion erhalten werden. Und damit sind“, sagt Feichtinger. Diese bewirtschaftet er jetzt: Er kümmert sich mithilfe seiner Schafe darum, dass sie nicht verwildern, er schneidet und pflegt die Bäume – und erntet dafür das Obst von mittlerweile rund 250 Stück: vor allem Äpfel und Birnen, aber auch Schlibitzen – Kirschpflaumen, manchmal fälschlicherweise als Kriecherl bezeichnet –, Zwetschken, Nüsse, Vogelbeeren oder Quitten.
Die werden zu Saft, Schnaps oder Most verarbeitet – ein Produkt, für das sich Feichtinger übrigens mehr Wertschätzung wünscht –, und neuerdings auch zu Cidre, den er vergangenes Jahr zum ersten Mal ausprobiert hat und den es nach dem gelungenen Experiment auch in Zukunft geben wird. Außerdem widmet sich Feichtinger seit einer Weile auch den Kletzen, deren die Vielfalt an Birnbaumsorten, die sonst womöglich umgeschnitten würden und verloren gingen.
„Wir wollen versuchen, das wiederzubeleben“, sagt Feichtinger über sein Steckenpferd. Ein Stück weit gelingt es ihm jedenfalls schon: Heuer liefert er zum zweiten Mal seine selbst produzierte Kletzen an das für ihre Vielfalt an Kärntner Nudeln bekannte Gasthaus Grünwald in St. Daniel (siehe Lokaltipp links).
Die Birnen werden üblicherweise im Ganzen gedörrt, mit Butz und Stingel.
Produktion in der Region er wiederbeleben will (siehe Artikel unten).
Die Motivation. Insofern gibt es immer etwas zu tun, auch in der Melkpause im Herbst bzw. Winter. Was der Motor dafür ist? „Die Frage stellen wir uns auch immer wieder, aber ich könnt’s nicht lassen, weil es einfach Leben ist, weil es lebendig macht“, sagt Ulrike Petschacher. „Und in meiner Vorstellung ist das auch ein Potenzial für die Zukunft: kleinräumigere Zellen, die sich versorgen. Ich sehe uns insofern als Keimzelle oder als Versuchsobjekt, und ich würde mir wünschen, dass daraus ein regionales Netzwerk entsteht, mit dem man von dem Großen wegkommt.“
„Eine große Motivation, das so zu betreiben, wie wir das tun, ist, dass ich auch den anderen gern zeigen will: Small is beautiful“, sagt auch Leopold Feichtinger. „Dass man auch mit einer Kleinstlandwirtschaft leben kann, dass man produktiv sein, innovative Produkte machen und davon leben kann.“Das ist sicher nicht ganz leicht. Aber es scheint zu funktionieren.
»Small is beautiful, das möchte ich auch den anderen gern zeigen.«