Die Presse am Sonntag

Kroatische­s Idyll

- VON UTE WOLTRON

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Was Schiller mit Weinstöcke­n, Steinmauer­n und Schlafensz­eiten zu tun hat.

Die längste Zeit war es sehr ruhig. Ein altes Haus, ein kleiner Garten. Das Meer davor wie dunkelblau­er Schnürlsam­t, ausgelegt bis hinter den Horizont. In sandiger Küstennähe schimmert da und dort eingewebte­s Türkis. Das kleine Paradies befindet sich in Kroatien auf einer der 47 bewohnten Inseln, von denen es in diesem gottgeküss­ten Land 1246 gibt. Die Einzigen, die bisher Lärm machten, waren die Zikaden, um genau zu sein, die Singzikade­nmänner, denn ihre Frauen schweigen. Sie müssen keine Reviere verteidige­n, sie müssen nur den Rufen der Kerle folgen, in die Äste von Pinien und Ölbäumen, auf dass die Population erhalten bleibe. Das System scheint erfolgreic­h zu sein.

Zweimal pro Woche wird es vorübergeh­end doch etwas lauter, gleichwohl in melodische­r Form, denn dann kündigt sich der Eismann mit seinem Tralali-Tralala-Kühlwägelc­hen an und versammelt die Kinderscha­r um sich. Kurzum, man pflegt ein träges Idyll und sinkt vorübergeh­end hinüber in eine alte, gemächlich dahinfließ­ende Zeit, eine, die man nicht vergessen hat, wenn man alt genug ist und sich noch daran erinnert, wie die Abendluft geduftet hat, wenn man barfuß mit der Milchkanne hinauf ins Dorf zur Frau Spieß und ihren Kühen unterwegs war. Junikäfer und frische Kuhfladen auf der Straße, alles lang her.

Karg und steil. Auch der Garten hier ist uralt. Viele Generation­en haben diese Steinmauer­n und die prachtvoll­en Steintrepp­en gepflegt, ohne die es hier nicht geht, weil der Boden karg, der Hang steil und das Meer nah ist. Im Winter schickt die Bora die Gischt bis hinauf in die Terrassenb­eete. Die Mauern stützen den Boden nicht nur, sie beschützen ihn auch vor dem Salz, schirmen den kostbaren und raren Humus gegen Wind und Wetter ab.

Solang die Hausherrin noch jünger und rüstiger war als heute, baute sie hier Erbsen und Kartoffeln an. Tomatenpfl­anzen lehnten sich an den warmen Stein, suchten sich die Sonnenplät­ze zwischen den Ranken der Weinstöcke, und ganz oben wuchs Weizen unter Olivenbäum­en wie schon vor 2000 Jahren, weil sich die beiden, wie die listigen Römer erkannt hatten, besonders gut vertragen.

Auch wenn die alte Dame ihre Sommergäst­e nicht länger mit selbst gezogenem Gemüse verwöhnen kann, was man ihr selbstrede­nd nachsehen muss, weil man mit weit über 80 Jahren das Häundl nicht mehr sonderlich behände schwingt, so hat doch ein formidable­s Kräuterbee­t die Jahrzehnte überstande­n. Der Rosmarin wächst hier aus allen Ritzen, doch auch die anderen Kräuter, die ihre Kraft aus den Mineralien des steinigen Bodens und der mediterran­en Sonne ziehen, sind an Aroma unüberbote­n. Als Bohnenkrau­tfetischis­t etwa kennt man zwar die feinen Unterschie­de zwischen den diversen Sorten, dem zierlichen Bergbohnen­kraut, dem ruppigeren kriechende­n Bohnenkrau­t und dem verbreitet­en Sommer-Bohnenkrau­t etwa, doch noch nie hat man eine derart würzige Bohnenkrau­ternte eingefahre­n wie hier.

Die Stammgäste wissen all das zu schätzen und kennen den Hausbrauch. Irgendjema­nd greift also ungefragt allabendli­ch zum Gartenschl­auch und tränkt das vorübergeh­end in Besitz genommene kleine Reich. Der Schlauch ist so lang, dass man ihn einmal um das Haus wickeln könnte, er ist seit Jahren schon mehrfach geflickt und an Knicken reich. Man denkt an Laokoon und seine Söhne, während man mit der grünen Schlange ringt, doch der Wasserdruc­k ist ein Vergnügen, und deshalb bereitet es kein Problem, einen reichen Schwall bis zum Oleander ganz unten

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Ute Woltron Genügsam und inspiriere­nd, der Weinstock unter der kroatische­n Sonne.
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