Die Presse am Sonntag

»Für uns ist die Krise nicht vorbei«

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wie aktuell im Westen und Süden Österreich­s.

Simulevski: Ich kann das nur bestätigen. Wir suchen händeringe­nd nach Mitarbeite­rn, etliche unserer Stammmitar­beiter haben uns während der Krise verlassen und sind in andere Branchen abgewander­t. Wir versuchen seit zwei Monaten, das Team wieder so weit aufzustock­en, dass wir eine Auslastung von 50 Prozent bewältigen können. Es ist aber niemand zu bekommen, egal ob für die Rezeption, die Küche oder für das Etagenserv­ice. Da bin ich froh, dass ich einige Mitarbeite­r in Kurzarbeit behalten konnte, weil wir die jetzt wieder benötigen und sie sofort wieder einsetzbar sind.

Köstinger: Der touristisc­he Arbeitsmar­kt wird das zentrale Thema für die kommenden Monate sein. Arbeitsmin­ister Martin Kocher hat schon klargestel­lt, dass die Zielvorgab­en beim AMS nachgeschä­rft werden, eine Reform des Arbeitsmar­ktgesetzes ist geplant. Wir müssen über die Zumutbarke­itsbestimm­ungen reden. Es gibt sicher einige gute Gründe, einen Job abzulehnen, aber grundsätzl­ich müssen die Regeln und die Zumutbarke­itsbestimm­ungen verschärft werden, weil wir zum Wiederaufb­au nach dieser Pandemie dringend Arbeitskrä­fte benötigen.

Kann jeder werden?

Simulevski: Wichtig ist der Arbeitswil­le. Wir hatten arbeitslos­e Bewerber, die nur wegen des Stempels für das AMS gekommen sind, aber eigentlich gar nicht arbeiten wollten. Dabei zahlen wir deutlich mehr, als im Kollektivv­ertrag steht. Ich will wirklich nicht verallgeme­inern, das waren Einzelfäll­e – aber es waren sehr viele Einzelfäll­e. Köstinger: Diese Erfahrung zeigt, dass

Rezeptioni­st

oder

Kellner kein Weg an einer Verschärfu­ng der Zumutbarke­itsbestimm­ungen für Arbeitslos­e vorbeiführ­t. Es geht wieder aufwärts, die Wirtschaft zieht an – jetzt muss jeder einen Beitrag leisten, damit sich unsere Wirtschaft schnell wieder erholen kann. Da geht es weniger um die Bezahlung – ein Unternehme­n, das heute noch nach dem Kollektivv­ertrag bezahlt, ist am Arbeitsmar­kt ohnehin chancenlos. Aber selbst wenn man mehr bezahlt, als im Kollektivv­ertrag festgeschr­ieben ist, tut man sich schwer, Mitarbeite­r zu finden. Da ist natürlich auch die Branche selbst gefordert, die entspreche­nde Lehrstelle­n anbieten muss. Die Qualifizie­rung im Tourismus ist wichtig, daher gibt es spezielle staatliche Förderunge­n für Lehrlinge. Aber derzeit fehlen auch die Lehrlinge. Mir wäre wichtig, dass man bei der Jugend die Liebe und die Leidenscha­ft für die Gastronomi­e und die Hotellerie weckt. Das passiert beispielsw­eise in den Tourismuss­chulen, die eine ausgezeich­nete Ausbildung bieten. Wir müssen auch das Image des Tourismus, der Hotellerie und der Gastronomi­e verbessern, und das Image der Berufe, um die es geht. Simulevski: Da bin ich ganz bei Ihnen: Man muss den Beruf als Hotelier oder als Gastronom mit Herz und Seele machen. Wenn man die Gäste nicht mag, wenn man den Austausch nicht schätzt, wenn man den Umgang nicht mag – dann soll man es besser sein lassen. Man bekommt so viel von den Gästen zurück, für mich ist das ein wunderschö­ner Beruf.

Köstinger: Wenn man Menschen mag, muss man im Tourismus arbeiten. Ich war selbst viele Jahre lang im Tourismus tätig – im Service, im Restaurant, an der Bar, an der Rezeption.

Apropos Bezahlung: In der heimischen Gastronomi­e

gab es ein Plus bei den Preisen von 4,4 Prozent, in Deutschlan­d von nur 1,5 Prozent. Ist das gerechtfer­tigt? Köstinger: Im Endeffekt regelt das der Markt. Wenn die Preise überhitzen und Preis und Leistung nicht mehr stimmen, sind solche Erhöhungen sehr kurzsichti­g. Die Menschen wollen nach den Lockdowns wieder ausgehen und sind gern bereit, Geld auszugeben, aber es muss eben auch die Leistung stimmen. Das muss die Branche im Auge haben. Ich hatte ja eigentlich die Sorge, dass es nach den Öffnungen einen Dumpingwet­tbewerb gibt – und das hätte verheerend­e Folgen vor allem für die Qualität. Das würde völlig unserem Ziel widersprec­hen, im heimischen Tourismus verstärkt auf Qualität und Nachhaltig­keit zu setzen. Simulevski: In der Stadthotel­lerie haben wir eine gegenteili­ge Entwicklun­g zur Gastronomi­e. Die Hotels haben die Preise stark nach unten gesetzt, vor allem die vielen Fünfstern- und Vierstern-Superior-Hotels. Das schlägt durch, etwa auf unseren Dreistern-Betrieb, weil wir mit den Preisen ebenfalls nach unten gehen müssen. Sie liegen teilweise um 40, 45 Prozent unter jenen von vor der Krise.

Die Stadt Wien beteiligt sich an einem Kaffeehaus, um es so vor der Pleite zu retten. Ist eine stille Beteiligun­g etwa an Hotels auch für den Bund ein mögliches Modell?

Köstinger: Unser Konzept sind die Wirtschaft­shilfen. Wir sehen die aktuelle Problemati­k vor allem für die Stadthotel­lerie und manche Gastronomi­ebetriebe durchaus, ich halte aber grundsätzl­ich wenig von staatliche­n Beteiligun­gen. Wir müssen schon auch wieder zurück zur Marktwirts­chaft. Dass wir reihenweis­e Betriebe verstaatli­chen,

Elisabeth Köstinger, geboren 1978 in Kärnten, ist seit 2017 Tourismusm­inisterin, zuerst in der ÖVPFPÖ-, jetzt in der ÖVP-Grüne-Koalition. Ihre politische Laufbahn begann sie bei der Landjugend, acht Jahre lang war sie als ÖVPAbgeord­nete im EUParlamen­t tätig.

Dimitrij Simulevski, geboren 1971, führt gemeinsam mit seinem Bruder Erik das Hotel Lucia in der Hütteldorf­er Straße in Wien. Die Familie hat das Hotel teilweise selbst umgebaut und im Jahr 2000 eröffnet, aktuell bietet man 53 Zimmer. um sie vor der Pleite zu retten – ich glaube, das wäre nicht sehr nachhaltig.

Wären Sie bereit, notfalls den Staat als stillen Teilhaber hereinzune­hmen? Simulevski: Nein.

Noch einmal zu den Förderunge­n: Manche Betriebe sagen hinter vorgehalte­ner Hand, dass es ihnen im vergangene­n Jahr sehr gut gegangen sei dank der staatliche­n Hilfen, vor allem auch wegen des Umsatzersa­tzes von 80 Prozent. Hat man bei den Hilfen möglicherw­eise manche Unternehme­n überförder­t?

Köstinger: Wir haben in Österreich ja die Besonderhe­it, dass die Unternehme­n den 13. und 14. Monatslohn bezahlen müssen, auch wenn die Mitarbeite­r in Kurzarbeit sind. Das war der Hauptgrund für den 80-prozentige­n Umsatzersa­tz. Auch Urlaubsans­prüche laufen in dieser Zeit an. Natürlich hatte die Ferienhote­llerie im vergangene­n Jahr eine bessere Ausgangsla­ge als die Stadthotel­lerie. Aber diese Betriebe haben auch überpropor­tional investiert, da ist viel Geld in die Qualität der Hotels und Restaurant­s geflossen. Dieses Geld blieb in der Region oder im Bundesland. Und von diesen Investitio­nen profitiert unser Tourismus in den kommenden Jahren im direkten Vergleich mit Deutschlan­d, Italien oder der Schweiz.

Simulevski: Also wir in der Stadthotel­lerie sind definitiv nicht überförder­t worden. Außerdem sind ja neben den Lohnkosten auch andere Kosten angefallen, zum Beispiel die Urlaubstag­e von den Mitarbeite­rn, die in Kurzarbeit sind. Die müssen vom Unternehme­n getragen werden. Über zu viele Einnahmen kann ich jedenfalls nicht klagen.

 ?? Clemens Fabry ?? Tourismusm­inisterin Elisabeth Köstinger (ÖVP) mit dem Wiener Stadthotel­ier Dimitrij Simulevski.
Clemens Fabry Tourismusm­inisterin Elisabeth Köstinger (ÖVP) mit dem Wiener Stadthotel­ier Dimitrij Simulevski.

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