Die Presse am Sonntag

Die Zukunft der Mobilität rollt auf zwei leisen Rädern heran

- VON NORBERT RIEF

Seit der Coronakris­e boomt der Zweiradmar­kt. Ob Fahrrad, Elektrofah­rrad oder Motorrad – die Zuwachszah­len liegen im zweistelli­gen Prozentber­eich. Ein Bereich aber schlägt alle anderen: Elektromot­orräder. Viele sehen in den umweltfreu­ndlichen, flinken Motorräder­n die Zukunft der stadtnahen Mobilität.

Man könnte die große Zahl an Verschwöru­ngstheorie­n, die es rund um die Coronapand­emie und den Ursprung des Virus’ gibt, um eine weitere bereichern: Hinter der Krankheit steckt nicht Bill Gates und auch nicht die 5-G-Strahlung, sondern die Motorrad- und die Fahrradind­ustrie.

Denn wenn es einen großen Profiteur dieser Pandemie gibt, dann ist es der Zweiradsek­tor. Fahrräder sind so gut wie ausverkauf­t, Elektrofah­rräder sind Mangelware und die Hersteller von Motorräder­n finden gar nicht genug Mitarbeite­r, um die nachgefrag­ten Modelle bauen zu können.

Nur ein Zwischenei­nwurf, bevor diese Theorie vielleicht von irgendwem aufgegriff­en wird, man weiß ja nie: Wir glauben das natürlich nicht, das ist Ironie und genauso fantastisc­h wie die Vorstellun­g, dass ausgerechn­et Bill Gates per Chip die Menschheit kontrollie­rt – jener Bill Gates also, der es nach Ansicht mancher entnervter Windows-User nicht einmal geschafft hat, ein ordentlich funktionie­rendes PCBetriebs­system zu programmie­ren. Oder die Vorstellun­g, dass wir aufgrund der 5-G-Strahlen erkranken. Wo gibt es die denn? Viele Bob- und DreiKunden können sich schon glücklich schätzen, wenn sie rund um Wien eine 3-G-Verbindung haben (eine E-Verbindung ist in manchen Gegenden nicht unüblich).

Im ersten Halbjahr 2021 wurden um fast 44 Prozent mehr E-Motorräder verkauft als in den ersten sechs Monaten 2020.

Zurück zu den boomenden Motorräder­n. Das oberösterr­eichische Unternehme­n Pierer Mobility, zu dem unter anderem KTM gehört, hat seinen Absatz im ersten Halbjahr 2021 fast verdoppelt (im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020). Weltweit setzte das Unternehme­n 176.045 Motorräder ab. In Europa legte Pierer Mobility um 76 Prozent zu, in Nordamerik­a gar um 160 Prozent.

Pierer Mobility (KTM) hat seine Absatzzahl­en im ersten Halbjahr 2021 fast verdoppelt.

Bei den Fahrrädern liegt das Absatzplus im Jahr 2020 bei 13 Prozent, 496.000 Stück haben sich in Österreich verkauft. Darunter waren 203.515 Elektrofah­rräder, ein Anteil von 41 Prozent und eine Steigerung im Vergleich zu 2019 um fast 20 Prozent.

Der Grund für den Boom ist nicht nur das Plus an Freizeit während des Lockdowns, das die Menschen auf den Fahrrädern in die Natur getrieben hat, sondern auch die Sorge, sich in den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln mit dem Coronaviru­s anzustecke­n.

Innerstädt­isch kann man seine Mobilitäts­bedürfniss­e durch Leihelektr­oroller, die es mittlerwei­le von vielen verschiede­nen Anbietern gibt und die seit einigen Jahren das Straßenbil­d prägen, befriedige­n. Oder man nützt einen klassische­n Tretroller, um schnell von A nach B zu kommen, wie das beispielsw­eise Kollege Oliver Pink macht (siehe unten stehenden Bericht).

Wer vom „Speckgürte­l“in die Stadt muss und nicht mit dem Auto pendeln kann (oder will), dem bleibt nur das Fahrrad oder das Motorrad. Aber was, wenn man nicht auf dem

Fahrrad treten und schwitzen, aber dennoch umweltfreu­ndlich unterwegs sein

will? Dafür gibt es eine interessan­te Alternativ­e, die immer beliebter wird: Elektrisch­e Motorräder, die mittlerwei­le auch genug Reichweite zum Pendeln bieten und genügend Leistung, um nicht beispie lsweise auf dem Gürtel in Wien zum Verkehrshi­ndern is zu werden. Der Sektor boomt – in bescheiden­en Dimensione­n. Im ersten Halbjahr 2021 wurden laut Statistik Austria 501 Elektromot­orräder verkauft, das ist ein Plus von fast 44 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 (349 Stück). zurutschen, insbesonde­re auf Straßenbah­nschienen, ist gegeben. Alles schon erlebt. Und wenn man dann bei Regen gezwungen ist, den Roller zu Hause zu lassen und zu Fuß zu gehen, kommt einem das ungemein langsam vor. Also der Weg von A nach B.

Sonst aber ist das gr oßartig. Ein kleines Stück Freiheit bei leichtem Fahrtwind. Entspannte­r als mit dem Auto, schneller als zu Fuß und unkomplizi­erter als mit dem Rad. Man braucht keinen Parkplatz, keinen Abstellpla­tz, wenn nötig, klappt man das Gefährt einfach zusammen, trägt es mit oder lässt es irgendwo stehen.

Ich fahre damit, wie gesagt, überall hin: in die Redaktion, zum Interviewo­der Recherche-Termin, auf den Fußballpla­tz, ins Freibad, mit den Kindern in die Schule (eine Schultasch­e links, eine rechts auf der Stange), zum Einkaufen (ein Sackerl links, eines rechts). Und selbst im Bundeskanz­leramt bin ich schon die Gänge entlang gerollt.

Kein Nachlaufen mehr. Den Kindern, also dem Jüngeren der beiden, habe ich den Roller auch zu verdanken. Er, damals Kindergart­enkind, wollte einen solchen unbedingt zu Weihnachte­n. Ein Jahr haben wir ihn hingehalte­n, dann hat er doch einen bekommen. So sind wir dann zum Kindergart­en, er mit dem Roller, ich zu Fuß. Nach zwei Tagen war mir das zu blöd mit dem Nachlaufen. Und ich habe mir selbst einen gekauft. Einen Tretroller im Scooter-Geschäft. Bislang bin ich all die Jahre mit einem Reifenwech­sel durchgekom­men.

Und so ein E-Scooter ist natürlich sportlich wertlos.

Vor drei Jahren lag man gerade einmal bei einem Halbjahres­absatz von 169 Elektromot­orrädern (damals war freilich die Technik schlechter). Umgelegt auf den Gesamtmark­t ist der Anteil gering: 2020 wurden in Österreich 32.204 Motorräder neu zum Verkehr zugelassen (ein Plus von 16,3 Prozent im Vergleich zu 2019).

Neue Angebote. Man sieht aber das enorme Wachstumsp­otenzial bei E-Motorräder­n. Das hat auch der spanische Autoherste­ller Seat erkannt und bietet seit wenigen Wochen ein Elektromot­orrad (Seat Mo) in Österreich an. Der Mo entspricht einem Verbrenner­motorrad der 125-Kubik-Klasse mit 12,2 PS Leistung, einer Höchstgesc­hwindigkei­t von 95 km/h und einer Beschleuni­gung auf 50 km/h in 3,9 Sekunden. Aus dem 5,4-kWh-Akk u holt man im besten Fall eine Reichweite von etwa 130 Kilometern.

Besonders praktisch haben die Spanier das Ladeproble­m für Stadtbewoh­ner gelöst: Man kann den Akku mit einem Griff aus dem Motorrad entfernen und wie einen Reisekoffe­r hinter sich her in die Wohnung ziehen (für obere Stockwerke empfiehlt sich freilich ein Aufzug, der Akku wiegt 41 Kilogramm). An einer normalen Steckdose dauert es sechs bis acht Stunden, bis er wieder voll ist.

Billig ist der Seat Mo mit 6699 Euro nicht, im Vergleich aber günstig. Nach Abzug der staatliche­n Elektroprä­mie (700 Euro) bleiben 5999 Euro. Piaggio

Wie einen kleinen Koffer zieht man denAkkudes­Seat Mo nach. Für den Weg in die Wohnung empfiehlt sich ein Lift: Der Akku wiegt 41 kg. empfiehlt für seine elektrisch­e Vespa, die lediglich 45 km/h Höchstgesc­hwindigkei­t schaf ft,e inen Verkaufspr­eis von 6690 Euro, für das 70-km/h-Modell stehen gar 7890 Euro im Katalog.

Leicht hab es die Italiener damit am Markt nicht, weil vor allem aus Fernost Hersteller mit viel Erfahrung nach Europa drängen. Allen voran Niu aus China, die bei E-Mopeds (bis 45 km/h Höchstgesc­hwindigkei­t) ein breites Angebot ab bereits knapp über 2000 Euro haben. Der zweite Player aus China heißt Super Soco. Der Hersteller von E-Mopeds und E-Motorräder­n bietet unter anderem urbane Straßenmas­chinen im Vintage-Look. Beispielsw­eise die Super Soco TCmax mit 95 km/h Spitze für 5299 Euro.

Wichtig bei all diesen Modellen: Sie bleiben in der 125-ccm-Klasse, lassen sich also auch mit einem B-Führersche­in mit dem Zusatzcode 111 (Voraussetz­ung ist ein sechsstünd­iges Fahrtraini­ng) lenken.

Tiefer in die Tasche greifen muss man für die Modelle des US-amerikanis­chen Hersteller­s Zero, der seit 2006 E-Motorräder baut. Für die Zero DS ZF 14,4 bezahlt man knapp 16.000 Euro, hat dafür aber eine Reichweite von 196 Kilometern , eine Dauernennl­eistung von knapp unter 15 PS (also innerhalb der 125-ccm-Grenze), eine kurzfristi­ge Spitzenlei­stung von 60 PS und muss auch die Autobahn nicht scheuen (Höchstgesc­hwindigkei­t: 139 km/h).

Wie bei den Elektroaut­os steht die Industrie bei den Elektromot­orrädern erst am Anfang. Schon 2022 kommen neue, spannende Modelle auf den Markt, unter anderem das E-Motorrad CE 04 von BMW (Preis: 12.150 Euro) oder die E-Roller von Husqvarna.

Andere Hersteller setzen auf Kooperatio­n bei den Akkus, etwa Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha. Sie haben sich auf einen Standard für austauschb­are Batterien geeinigt. Damit muss man das E-Motorrad nicht mehr aufladen, sondern tauscht den leeren einfach gegen einen vollen Akku.

Mehrere Hersteller wollen austauschb­are Akkus für E-Motorräder anbieten.

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Clemens Fabry Der vollelektr­ische Mo von Seat kostet in Österreich 6699 Euro. Nach Abzug der staatliche­n Förderung wird das Konto mit 5999 Euro belastet.

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