Die Zukunft der Mobilität rollt auf zwei leisen Rädern heran
Seit der Coronakrise boomt der Zweiradmarkt. Ob Fahrrad, Elektrofahrrad oder Motorrad – die Zuwachszahlen liegen im zweistelligen Prozentbereich. Ein Bereich aber schlägt alle anderen: Elektromotorräder. Viele sehen in den umweltfreundlichen, flinken Motorrädern die Zukunft der stadtnahen Mobilität.
Man könnte die große Zahl an Verschwörungstheorien, die es rund um die Coronapandemie und den Ursprung des Virus’ gibt, um eine weitere bereichern: Hinter der Krankheit steckt nicht Bill Gates und auch nicht die 5-G-Strahlung, sondern die Motorrad- und die Fahrradindustrie.
Denn wenn es einen großen Profiteur dieser Pandemie gibt, dann ist es der Zweiradsektor. Fahrräder sind so gut wie ausverkauft, Elektrofahrräder sind Mangelware und die Hersteller von Motorrädern finden gar nicht genug Mitarbeiter, um die nachgefragten Modelle bauen zu können.
Nur ein Zwischeneinwurf, bevor diese Theorie vielleicht von irgendwem aufgegriffen wird, man weiß ja nie: Wir glauben das natürlich nicht, das ist Ironie und genauso fantastisch wie die Vorstellung, dass ausgerechnet Bill Gates per Chip die Menschheit kontrolliert – jener Bill Gates also, der es nach Ansicht mancher entnervter Windows-User nicht einmal geschafft hat, ein ordentlich funktionierendes PCBetriebssystem zu programmieren. Oder die Vorstellung, dass wir aufgrund der 5-G-Strahlen erkranken. Wo gibt es die denn? Viele Bob- und DreiKunden können sich schon glücklich schätzen, wenn sie rund um Wien eine 3-G-Verbindung haben (eine E-Verbindung ist in manchen Gegenden nicht unüblich).
Im ersten Halbjahr 2021 wurden um fast 44 Prozent mehr E-Motorräder verkauft als in den ersten sechs Monaten 2020.
Zurück zu den boomenden Motorrädern. Das oberösterreichische Unternehmen Pierer Mobility, zu dem unter anderem KTM gehört, hat seinen Absatz im ersten Halbjahr 2021 fast verdoppelt (im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020). Weltweit setzte das Unternehmen 176.045 Motorräder ab. In Europa legte Pierer Mobility um 76 Prozent zu, in Nordamerika gar um 160 Prozent.
Pierer Mobility (KTM) hat seine Absatzzahlen im ersten Halbjahr 2021 fast verdoppelt.
Bei den Fahrrädern liegt das Absatzplus im Jahr 2020 bei 13 Prozent, 496.000 Stück haben sich in Österreich verkauft. Darunter waren 203.515 Elektrofahrräder, ein Anteil von 41 Prozent und eine Steigerung im Vergleich zu 2019 um fast 20 Prozent.
Der Grund für den Boom ist nicht nur das Plus an Freizeit während des Lockdowns, das die Menschen auf den Fahrrädern in die Natur getrieben hat, sondern auch die Sorge, sich in den öffentlichen Verkehrsmitteln mit dem Coronavirus anzustecken.
Innerstädtisch kann man seine Mobilitätsbedürfnisse durch Leihelektroroller, die es mittlerweile von vielen verschiedenen Anbietern gibt und die seit einigen Jahren das Straßenbild prägen, befriedigen. Oder man nützt einen klassischen Tretroller, um schnell von A nach B zu kommen, wie das beispielsweise Kollege Oliver Pink macht (siehe unten stehenden Bericht).
Wer vom „Speckgürtel“in die Stadt muss und nicht mit dem Auto pendeln kann (oder will), dem bleibt nur das Fahrrad oder das Motorrad. Aber was, wenn man nicht auf dem
Fahrrad treten und schwitzen, aber dennoch umweltfreundlich unterwegs sein
will? Dafür gibt es eine interessante Alternative, die immer beliebter wird: Elektrische Motorräder, die mittlerweile auch genug Reichweite zum Pendeln bieten und genügend Leistung, um nicht beispie lsweise auf dem Gürtel in Wien zum Verkehrshindern is zu werden. Der Sektor boomt – in bescheidenen Dimensionen. Im ersten Halbjahr 2021 wurden laut Statistik Austria 501 Elektromotorräder verkauft, das ist ein Plus von fast 44 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 (349 Stück). zurutschen, insbesondere auf Straßenbahnschienen, ist gegeben. Alles schon erlebt. Und wenn man dann bei Regen gezwungen ist, den Roller zu Hause zu lassen und zu Fuß zu gehen, kommt einem das ungemein langsam vor. Also der Weg von A nach B.
Sonst aber ist das gr oßartig. Ein kleines Stück Freiheit bei leichtem Fahrtwind. Entspannter als mit dem Auto, schneller als zu Fuß und unkomplizierter als mit dem Rad. Man braucht keinen Parkplatz, keinen Abstellplatz, wenn nötig, klappt man das Gefährt einfach zusammen, trägt es mit oder lässt es irgendwo stehen.
Ich fahre damit, wie gesagt, überall hin: in die Redaktion, zum Interviewoder Recherche-Termin, auf den Fußballplatz, ins Freibad, mit den Kindern in die Schule (eine Schultasche links, eine rechts auf der Stange), zum Einkaufen (ein Sackerl links, eines rechts). Und selbst im Bundeskanzleramt bin ich schon die Gänge entlang gerollt.
Kein Nachlaufen mehr. Den Kindern, also dem Jüngeren der beiden, habe ich den Roller auch zu verdanken. Er, damals Kindergartenkind, wollte einen solchen unbedingt zu Weihnachten. Ein Jahr haben wir ihn hingehalten, dann hat er doch einen bekommen. So sind wir dann zum Kindergarten, er mit dem Roller, ich zu Fuß. Nach zwei Tagen war mir das zu blöd mit dem Nachlaufen. Und ich habe mir selbst einen gekauft. Einen Tretroller im Scooter-Geschäft. Bislang bin ich all die Jahre mit einem Reifenwechsel durchgekommen.
Und so ein E-Scooter ist natürlich sportlich wertlos.
Vor drei Jahren lag man gerade einmal bei einem Halbjahresabsatz von 169 Elektromotorrädern (damals war freilich die Technik schlechter). Umgelegt auf den Gesamtmarkt ist der Anteil gering: 2020 wurden in Österreich 32.204 Motorräder neu zum Verkehr zugelassen (ein Plus von 16,3 Prozent im Vergleich zu 2019).
Neue Angebote. Man sieht aber das enorme Wachstumspotenzial bei E-Motorrädern. Das hat auch der spanische Autohersteller Seat erkannt und bietet seit wenigen Wochen ein Elektromotorrad (Seat Mo) in Österreich an. Der Mo entspricht einem Verbrennermotorrad der 125-Kubik-Klasse mit 12,2 PS Leistung, einer Höchstgeschwindigkeit von 95 km/h und einer Beschleunigung auf 50 km/h in 3,9 Sekunden. Aus dem 5,4-kWh-Akk u holt man im besten Fall eine Reichweite von etwa 130 Kilometern.
Besonders praktisch haben die Spanier das Ladeproblem für Stadtbewohner gelöst: Man kann den Akku mit einem Griff aus dem Motorrad entfernen und wie einen Reisekoffer hinter sich her in die Wohnung ziehen (für obere Stockwerke empfiehlt sich freilich ein Aufzug, der Akku wiegt 41 Kilogramm). An einer normalen Steckdose dauert es sechs bis acht Stunden, bis er wieder voll ist.
Billig ist der Seat Mo mit 6699 Euro nicht, im Vergleich aber günstig. Nach Abzug der staatlichen Elektroprämie (700 Euro) bleiben 5999 Euro. Piaggio
Wie einen kleinen Koffer zieht man denAkkudesSeat Mo nach. Für den Weg in die Wohnung empfiehlt sich ein Lift: Der Akku wiegt 41 kg. empfiehlt für seine elektrische Vespa, die lediglich 45 km/h Höchstgeschwindigkeit schaf ft,e inen Verkaufspreis von 6690 Euro, für das 70-km/h-Modell stehen gar 7890 Euro im Katalog.
Leicht hab es die Italiener damit am Markt nicht, weil vor allem aus Fernost Hersteller mit viel Erfahrung nach Europa drängen. Allen voran Niu aus China, die bei E-Mopeds (bis 45 km/h Höchstgeschwindigkeit) ein breites Angebot ab bereits knapp über 2000 Euro haben. Der zweite Player aus China heißt Super Soco. Der Hersteller von E-Mopeds und E-Motorrädern bietet unter anderem urbane Straßenmaschinen im Vintage-Look. Beispielsweise die Super Soco TCmax mit 95 km/h Spitze für 5299 Euro.
Wichtig bei all diesen Modellen: Sie bleiben in der 125-ccm-Klasse, lassen sich also auch mit einem B-Führerschein mit dem Zusatzcode 111 (Voraussetzung ist ein sechsstündiges Fahrtraining) lenken.
Tiefer in die Tasche greifen muss man für die Modelle des US-amerikanischen Herstellers Zero, der seit 2006 E-Motorräder baut. Für die Zero DS ZF 14,4 bezahlt man knapp 16.000 Euro, hat dafür aber eine Reichweite von 196 Kilometern , eine Dauernennleistung von knapp unter 15 PS (also innerhalb der 125-ccm-Grenze), eine kurzfristige Spitzenleistung von 60 PS und muss auch die Autobahn nicht scheuen (Höchstgeschwindigkeit: 139 km/h).
Wie bei den Elektroautos steht die Industrie bei den Elektromotorrädern erst am Anfang. Schon 2022 kommen neue, spannende Modelle auf den Markt, unter anderem das E-Motorrad CE 04 von BMW (Preis: 12.150 Euro) oder die E-Roller von Husqvarna.
Andere Hersteller setzen auf Kooperation bei den Akkus, etwa Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha. Sie haben sich auf einen Standard für austauschbare Batterien geeinigt. Damit muss man das E-Motorrad nicht mehr aufladen, sondern tauscht den leeren einfach gegen einen vollen Akku.
Mehrere Hersteller wollen austauschbare Akkus für E-Motorräder anbieten.