Eine fantastische Zeitreise
Fragen des Lebens.
Der japanische Krimiautor Keigo Higashino wechselt in „Kleine Wunder um Mitternacht“das Genre. Er entführt die Leser in eine fantastische Geschichte rund um einen kleinen Gemischtwarenladen, der sich auf die Beantwortung der wichtigen Fragen des Lebens spezialisiert hat. Dass dabei Zeit und Raum übersprungen werden, nimmt man ihm gerne ab. Higashino verbindet die Leben der einzelnen Protagonisten zu einem fesselnden und unterhaltsamen Erzählstrang. Eine ideale Sommerlektüre, zum Wohlfühlen und Abtauchen.
Keigo Higashino: „Kleine Wunder um Mitternacht“, übers. von Astrid Finke, Limes, 416 S., 20,90 Euro
ast jede Frau, die das Wellenreiten halbwegs ernst nimmt, hat eine der folgenden Situationen bereits erlebt: Sie paddelt eine Welle an, doch gleichzeitig mit ihr setzen sich auch noch zwei Männer in Gang, die offenbar jede Vorrangregel ignorieren (ja, auch im Wasser gibt es die, und sie sind streng). Verunsichert zieht sie zurück, obwohl sie besser positioniert war, die Welle hätte ihr gehört. Vor beiistderRitt,bevor er angefangen hat. Spricht man die Störenfriede drauf an, heißt es: „Hättest halt durchgezogen.“Oder: „Ich dachte, du erwischt sie eh nicht.“
Eine andere Situation: Sie liegt im Wasser auf dem Board, will eine Welle anpaddeln und wird ungefragt in die Welle geschubst, anstatt selbst reinzupaddeln. Dazu muss man wissen: Reingeschubst werden nur absolute Anfänger. Der vermeintliche Gönner grinst dann selbstzufrieden, glaubt, er hat etwas Gutes getan und bietet sich prompt mit Tipps an. Dabei liegt er selbst wie ein Seehund auf dem Brett. Trotzdemgehterdavonaus,dasseres besser weiß als die Frau. Oder drittens: Ein Pärchen geht in einen Surfshop und will sich ein großes Anfängerboard und ein kürzeres Board für Fortgeschrittene ausborgen. Wer bekommt das Anfängerboard in die Hand gedrückt? So gut wie immer die Frau.
Frauen nur in Bikinis. DerSurfsporthat mit Sexismus zu kämpfen. Das mag im ersten Moment seltsam klingen. Keine andere Sportart ist mit so vielen positiven Bildern verbunden: Meer, Sonne, durchtrainierte Körper, entspannte Tage am Strand, das Gefühl von Freiheit und ewiger Jugend. Für viele ein unerreichbarer Traum. Irgendein Surffoto haben unzählige Menschen in ihrer Wohnung hängen. Doch genau das ist das Problem. Das Image strotzt vor eisernen Stereotypen. Surferinnen werden etwa prinzipiell in knappen Bikinis mit Board in der Hand dargestellt. Kein Gramm Fett am Körper und oft genug so wenig durchtrainiert, dass man sich fragt, ob sie das erste Mal in ihrem Leben für das Foto zum Board gegriffen haben. Oder sie werden zu Anhängseln ihrer surfenden Männer gemacht: Die Freundin, die dann Yoga am Strand macht. Auch in der Profiszene sind diese Stereotypen für einen Sport, der erst in den 50er-Jahren weltweit groß wurde, ein Thema.
Dabei surfen immer mehr Frauen in ihrer Freizeit, insbesondere in „landlocked“Ländern wie Österreich und der Schweiz – aber auch Deutschland. Sie sind es, die in Scharen nach Frankreich, Spanien, Portugal, Marokko, Bali und Sri Lanka pilgern, um sich dort aufs Brett zu werfen. Spricht man mit Surfcamp-Besitzern in diesen Orten, ist immer wieder zu hören, dass Frauen mittlerweile 50, wenn nicht sogar mehr Prozent der Kursteilnehmer ausmachen.
»Sie haben immer nur Fotos von den Männern gemacht, nie von uns.«
Regisseurin und Arte-Moderatorin Dörthe Eickelberg weiß das. Sie ist selbst dem Surfen (nach einer Sendung für Arte) verfallen. Seither jagt sie in ihrer freien Zeit fiebrig den Wellen nach – und wird dabei selbst immer wieder mit Situationen konfrontiert wie anfangs beschrieben. Also hat sie sich auf die Suche gemacht. Nach der gläsernen Decke im Wasser und nach anderen Surferinnen auf der ganzen Welt, die zum Teil, man glaubt es ja gar nicht, massiven Anfeindungen ausgesetzt sind, nur weil sie surfen. Weltweit gesehen, so viel ist klar, ist Surfen in vielen Ländern einfach ausschließlich den Männern vorbehalten. Da Eickelberg Regisseurin ist, hat sie darüber auch gleich einen Film gedreht (mit dem unglücklichen Titel „Chicks on Boards“), in denen sie Surferinnen weltweit porträtiert hat. Nun hat sie mit „Die nächste Welle ist für dich“das Buch darüber nachgelegt.
Da gibt es etwa das Teenagermädchen Aneesha und ihre Mutter Shaila aus Indien, die Eickelberg bei einem Surfcontest trifft. Schnell stellt sich heraus: Um Aneesha den Traum vom Surfen zu ermöglichen, mussten die beide ihre Familie verlassen. Shaila trennte sich dafür von ihrem Ehemann, vom Rest der Familie wurden sie verbannt. Denn surfende Frauen, die dadurch selbstständig das Haus verlassen, sind in Indien nicht er
Buch. „Die nächste Welle ist für dich“, Dörthe Eickelberg, Penguin Verlag, Juni 2021, 304 Seiten, 14 Euro. Es ist das Buch zu ihrem Film „Chicks on Boards“.