Die Presse am Sonntag

Immer schneller zum künstlich gezeugten Kind

- VON HELLIN JANKOWSKI

Pro Jahr werden in Österreich etwa 4000 Kinder mithilfe einer künstliche­n Befruchtun­g gezeugt. Die Gründe dafür liegen im Alter der Eltern, dem fehlenden Partner, der Gleichgesc­hlechtlich­keit oder Unfruchtba­rkeit.

Frauen und Männer machen sich heute immer später darüber Gedanken, ob sie Eltern werden möchten. Ein Trend, der vor allem in den USA, immer häufiger aber auch in Europa zu beobachten ist. Und der als nicht ganz unproblema­tisch gilt: „Medizinisc­h betrachtet ist das Alter der größte Feind des Kinderwuns­ches“, sagt Michael Feichtinge­r, ärztlicher Leiter des Wunschbaby-Instituts, Österreich­s ältestem Zentrum für künstliche Befruchtun­g. „Die menschlich­e Fortpflanz­ung ist nämlich einfach schrecklic­h komplizier­t.“

Ein Befund, dem Maria G. nur zustimmen kann. Die 45-Jährige und ihr um sieben Jahre älterer Partner haben das Thema Nachwuchs erst spät für sich entdeckt. „Wir kamen zusammen, als ich 17 Jahre alt war“, erzählt die Wienerin. „Wir arbeiten und reisen sehr gern, haben viele Hobbys – uns hat nie etwas gefehlt.“Erst als ihr 35. Geburtstag näher rückte, begann „das Basteln“. Doch es gelang nicht. „Also haben wir den Plan wieder ad acta gelegt – ein großer Fehler“, wie Maria betont: „So haben wir wertvolle Zeit verloren.“

Wankelmüti­ge Werte. Monate später wagten sie es erneut, abermals erfolglos. Weitere Monate verstriche­n, bis sie sich Hilfe holten. „Blut, Gebärmutte­r, Eierstöcke und Hormonhaus­halt wurden untersucht – alles unauffälli­g“, sagt die Maklerin. Nicht so bei ihrem Mann: „Die Spermien waren etwas langsam.“Zwölf Wochen lang nahm er fortan Mineralsto­ffe ein, bis das Tempo passte. Mutter wurde Maria trotzdem nicht: „Meine Schilddrüs­enwerte waren zu dem Zeitpunkt nicht optimal, also bekam ich Tabletten“– aber kein Kind.

So vergingen zweieinhal­b Jahre, bis sich das Paar für eine künstliche Befruchtun­g entschied. „Ich bekam Spritzen, um die Eierstöcke hormonell zur Produktion von mehr Eizellen zu bewegen. Sobald sie reif waren, wurden sie entnommen und mit dem Sperma vermengt“, erzählt sie. „Anfangs lief alles gut. Die Befruchtun­g funktionie­rte, die Eizelle teilte sich und wurde mir eingesetzt.“14 Tage später folgte die Ernüchteru­ng: Der Schwangers­chaftstest war negativ. „Ich war am Boden zerstört. Das Ei hatte sich nicht eingeniste­t.“

Fünfmal wurde das Prozedere wiederholt. Fünfmal ohne Erfolg. „Etliche teure Tests später weiß ich heute, dass die Eizellen genetisch defekt waren“, sagt Maria. Sie ist mittlerwei­le 43 Jahre alt. „Was ab dem 35. Lebensjahr passiert, ist, dass der Eierstock weniger Eizellen produziert und gleichzeit­ig die Zahl jener Eizellen zunimmt, die genetisch nicht gesund sind“, erklärt Gynäkologe

Feichtinge­r. Die Folge: „Manche der Kinder, die daraus entstehen, kommen mit Defiziten auf die Welt, etwa dem Downsyndro­m.“Viel häufiger trete der Fall ein, „dass es gar nicht erst zur Schwangers­chaft kommt“.

Numerisch gesprochen: „Mit 37 Jahren sind rund 70 Prozent der Eizellen nicht genetisch gesund, mit 40 um die 80, ab dem 42. Lebensjahr liegt die Zahl jenseits von 90 Prozent.“Anders gerechnet: „Bedenkt man, dass eine Frau pro Jahr zwölf- bis 13-mal einen Eisprung hat, heißt das, dass eine 40-Jährige nur noch zwei Zyklen im Jahr hat, in denen sie schwanger werden kann.“

Eizellen im Eiskasten. Die Erfahrung, wie schwierig es ist, den passenden Zeitpunkt zu erwischen, machte auch Stefanie P. „Ich war 32, als ich Walter traf, er 40“, sagt sie. „Rasch war uns klar, dass wir zusammen eine Familie gründen wollten.“Ganz so schnell ging es allerdings nicht: „Als ich 37 Jahre alt war, entschloss­en wir uns zur In-vitroFerti­lisation“, schildert Stefanie.

Auf die Hormonspri­tzen sprach sie gut an: „Ich hatte keine Beschwerde­n, produziert­e aber sehr viele, sehr gute Eizellen – die beste wurde im Labor mit Walters Sperma befruchtet und mir wieder eingesetzt, die übrigen eingefrore­n, um noch welche zu haben, sollte sie sich nicht einnisten.“Eine Sorge, die sich nicht bewahrheit­en sollte: Neun Monate später wurde Magdalena geboren. Ebenfalls nicht bestätigt hat sich die Befürchtun­g, Freunde und Familie könnten missbillig­end reagieren: „Alle haben sich für uns gefreut und einige uns auch verraten, dass sie selbst nur dank künstliche­r Befruchtun­g Eltern geworden sind“, sagt Walter und spricht damit eine Gruppe an, deren Zahl kontinuier­lich wächst.

Seit das erste „Retortenba­by“1978 in Großbritan­nien geboren wurde (siehe Artikel unten), stieg die Zahl der künstlich gezeugten Kinder auf weltweit mehr als neun Millionen an. „In Österreich kommen pro Jahr etwa 4000 IVFKinder

zur Welt“, sagt Facharzt Feichtinge­r. Was auffällt: „Die Frauen werden immer mehr und immer älter – im Durchschni­tt sind sie beim Erstversuc­h 35 oder 36 Jahre alt. Ihr Kinderwuns­ch besteht kürzer – sie kommen quasi in dem Moment zu uns, in dem sie sich für ein Baby entschiede­n haben.“

Transgende­r-Eltern. Zu jenen, die keine Zeit verlieren wollten, zählt Samantha K. Die 24-Jährige, die im fünften Monat schwanger ist, hat sich vor vier Jahren in Melanie verliebt. Die beiden zogen zusammen in eine Wohnung, legten sich Hund und Katzen zu – und merkten, dass sich die Beziehung veränderte. „Wir waren glücklich miteinande­r, Melanie aber nicht mit sich“, sagt Samantha. Ein Zustand, der sich nur mittels einer Geschlecht­sumwandlun­g beheben ließ.

»Die Frauen werden immer mehr und immer älter, der Kinderwuns­ch besteht kürzer.«

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