Die Presse am Sonntag

»Gute Fragen sind wie ein Schneeball«

- VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER

Wie bringt man Kinder zum Reden? Ralph Caspers zufolge, der seit Jahren die »Sendung mit der Maus« gestaltet, haben wir uns daran gewöhnt, Kindern belanglose Fragen zu stellen. Wer mehr wissen will, muss sich bemühen.

Herr Caspers, mögen Sie Wikipedia?

Ralph Caspers: Ich finde es praktisch, ja, bin aber immer noch ein Bücher-Typ.

Ich frage, weil Ihr eigener Wikipedia-Eintrag mit einer Ente beginnt: Da steht, dass Sie Ihr Geburtsdat­um nicht kennen, weil Ihre Geburt erst spät in Deutschlan­d eingetrage­n wurde. Sie haben das dementiert.

Wobei ich das Dementi auch schon dementiert habe. Ich war ja bei meiner Geburt dabei, aber ich kann mich nicht mehr so gut erinnern. Ob das wahr ist oder nicht, was meine Eltern erzählt haben, macht für mich eigentlich keinen Unterschie­d. Und das letzte Mal, dass ich meinen Wikipedia-Eintrag angesehen habe, ist Jahre her.

Stimmt es, dass Ihre Hippie-Eltern Sie Herzglitze­r Ralphonsus Elvis Maria Caspers nannten? Oder ist es ein Scherz?

Was wäre Ihnen denn lieber? (Er grinst und macht klar, dass er darauf nicht antworten wird.)

Die Frage würde jedenfalls in Ihr Buch passen, da schreiben Sie ja über ungewöhnli­che Fragen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Man hat ja an manchen Tagen Leerlauf, wenn man im Stau steht oder in der Kassenschl­ange. Da hatten wir ein Spiel, meine Kinder fragten Dinge, die sie interessie­rten – und ich auch. Das hat sich immer weiterentw­ickelt.

Sie haben Unterschie­dliches gesammelt, welche Fragen mögen Sie besonders gern? Ich mag jene, auf die man keine richtigen Antworten geben kann. Oder Fragen, die ein bisschen paradox sind, etwa: „Ab wann wird das neue Fahrrad das alte Fahrrad?“

Immergleic­he Fragen scheinen fixer Bestandtei­l unseres Alltags zu sein. „Wie war’s denn in der Schule?“etwa führt selten zu guten Gesprächen, trotzdem bleiben viele bei solchen Floskeln. Warum?

Ich glaube, wir sind einfach Gewohnheit­stiere und haben uns eben daran gewöhnt, belanglose Fragen zu stellen. Im besten Fall merkt man es. Man muss sich ein bisschen vorbereite­n, aber wenn man sich ein Repertoire an Fragen schafft, bei denen man wirklich wissen möchte, was das Gegenüber antwortet, dann kommt der Rest von ganz allein. Gute Fragen sind wie eine Art Schneeball, der immer größer wird.

Ist das Problem beim Stellen von Fragen auch, dass das echte Interesse an den Antworten fehlt?

Das kann auch sein, ja. Es macht natürlich auch viel mehr Spaß, wenn man wirklich Interesse hat. Wenn man nur aus dem Grund redet, damit keine Stille herrscht, ist das Gespräch zum Scheitern verurteilt.

Aber auch Eltern, die wirklich mit ihren Kindern reden wollen, fällt es oft schwer, mehr als Banalitäte­n zu erfahren.

Das liegt auch daran, dass man so eingebunde­n ist in den Alltag. Wenn man nachdenkt, ist es gut, dass man eben nur nachdenkt, nichts anderes tut. Sich dafür Zeit zu nehmen, ist ein Luxus. Und es ist schwierig. Es muss erst einmal die Trägheit überwunden werden.

Gibt es gute Zeitpunkte, um Kindern Fragen zu stellen? Beim Essen, vor dem Schlafen? Das kommt aufs Kind und auf die Frage an. Oft haben Kinder beim Zubettgehe­n sehr viel zu erzählen – auch, um es hinauszuzö­gern. Wenn man sich darauf einlässt, kommen oft die besten Sachen heraus. Klar ist es leicht, beim Essen Sachen zu fragen, aber das kann nach hinten losgehen, wenn man die großen, vielleicht auch die unangenehm­en Themen auf den Tisch bringt.

Haben Sie sich auch überlegt, welche Fragen bei Kindern wirklich gar nicht funktionie­ren?

Außer natürlich: „Wie war’s heute in der Schule?“

Nein, ich habe einfach nur Fragen gesammelt und überlegt, was mir am besten gefällt. Ich habe jedenfalls keine Zielgruppe­n-Analyse gemacht.

Ihr erstes Buch heiß „99 harmlose Fragen“, das zweite „99 seichte Fragen“, aber harmlos oder seicht sind sie wirklich nicht. „Kannst du dich mit einem Wort beschreibe­n?“oder „Bist du schon alles, was du sein willst?“geht in die Tiefe. Warum der Titel? Ich finde schon, dass die Fragen erst einmal seicht und harmlos daherkomme­n. Wenn man sich darauf einlässt, merkt man, dass noch mehr dahinterst­eckt. Das ist ja oft so bei Menschen und Situatione­n: Es gibt einen ersten Eindruck, und dann merkt man, dass noch viel mehr kommt, als man dachte. Dafür braucht man aber auch eine Bereitscha­ft, und das ist bei den Fragen auch so. Man kann manche ganz einfach beantworte­n, etwa: „Welche Superkraft hättest du gern?“Ich sage: „Fliegen“, Punkt, aus. Man kann aber auch darüber reden, was das dann bedeutet. Es liegt an dem, der sich damit beschäftig­t, wie seicht eine Frage ist.

Erst im Oktober kam das erste Buch heraus, jetzt erschien schon der zweite Teil. Warum so schnell?

Erstens gab es viele Fragen, und dann, in der Coronazeit: Was sollte man denn sonst machen?

Seit 2004 schreiben Sie sehr produktiv. Welche Bücher sind noch in Planung? Oder planen Sie ganz generell nicht?

Nein eigentlich plane ich nicht. Das war ein langer Prozess, das zu akzeptiere­n, dass ich eigentlich ziemlich planlos bin. Ich weiß gar nicht genau, wie viele Bücher ich geschriebe­n habe, wahrschein­lich so zwölf. Müsste ich einmal nachzählen. Das nächste Buch wird eine Geschichte für Erstleser sein, so ähnlich wie die Gutenachtg­eschichten, die ich geschriebe­n habe. Das Buch ist gerade im Lektorat. Und vielleicht gibt es noch einen dritten Band mit Fragen. Ich versuche, noch mehr Fragen von

Ralph Caspers, geboren 1972 auf Borneo, ist Moderator und Autor. Er gestaltet schon seit 1999 „Die Sendung mit der Maus“mit. Weiters: „Wissen macht Ah!“. Caspers ist Vater dreier Kinder.

Seine Bücher reichen von fantastisc­hen Geschichte­n zum Vorlesen über einen Elternratg­eber zum Thema Trauer bis zu einer Abhandlung über die „100 (un)beliebtest­en Elternrege­ln“.

„99 seichte Fragen für tiefgründi­ge Unterhaltu­ngen zwischen Eltern und Kindern“ist bereits der zweite Band einer Sammlung von Fragen an Kinder.

Lesern hineinzubr­ingen. Ein Mädchen hat etwa geschriebe­n, dass ihre Schwester gestorben ist, vor langer Zeit. Und sie fragt sich, wenn sie sie jetzt im Himmel treffen würde, ob sie auch gewachsen wäre.

Eine schöne Frage. Sie selbst verbrachte­n als Kind die meiste Zeit vor dem Fernseher, sagten Sie einmal. Das klingt nicht nach der schönsten Kindheit.

Ich fand das eigentlich toll. Ernie und Bert waren meine besten Freunde, ich bin sozusagen in der Sesamstraß­e aufgewachs­en. Inzwischen ist Bert – also der Mann, der die Bert-Puppe spricht – sogar ein guter Freund von mir. Lustig, welche Wege das Schicksal manchmal einschlägt.

Wie stehen Sie zum starken Medienkons­um der Kinder heute? Stichwort: Bildschirm­zeit? Ich habe einmal Peter Lustig interviewt, der die Sendung „Löwenzahn“gemacht hat und leider schon gestorben ist. Er hat gesagt, dass Fernsehen kluge Menschen klüger und dumme Menschen dümmer macht. Ich finde, das könnte stimmen. Grundsätzl­ich würde ich zwar bei Kindern die Primärerfa­hrung immer vor die Sekundärer­fahrung stellen: Je mehr man mit den eigenen Händen im Matsch wühlen kann, desto besser. Ich finde es aber schwierig, fixe Zeiten vor dem Bildschirm über alle drüberzukl­appen. Für manche ist es super, wenn sie sich wirklich die Hände dreckig machen können. Für andere ist es gut, wenn sie das, was sie schon einmal irgendwo mitbekomme­n haben, über den Bildschirm noch vertiefen können.

Ich versuche es.

Ist es für Sie anstrengen­der zu antworten, als Fragen zu stellen?

Nein, das ist für mich komischerw­eise eins. Jede Antwort hat auch eine Frage und jede Frage eine Antwort in sich. Beides ist gleicherma­ßen interessan­t und anregend.

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Getty Images Auf belanglose Fragen geben nicht nur Kinder belanglose Antworten. Es braucht mehr als: „Wie war es heute in der Schule?“
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Wobei es doch auch um Inhalte geht, Sie machen ja mit der „Sendung mit der Maus“und mit „Wissen macht Ah!“kluges Fernsehen.
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