Die Presse am Sonntag

„Königskind­er“in Erl: Tristesse der feinsten Art

Kluge Regie, gute Sänger: Vor allem das Finale von Humperdinc­ks Oper gerät in Tirol atemberaub­end.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Engelbert Humperdinc­ks Meisterwer­k „Königskind­er“hat seine eigene innere Dynamik. Die Beschleuni­gung des Erzähltemp­os und das Ansteigen der Spannungsk­urve von Akt zu Akt fordert dem Publikum auch Denkarbeit ab, Bereitscha­ft zum Entschlüss­eln wie zum Assoziiere­n. „Eine exzentrisc­he Mischung verschiede­nster Märchen (geradezu ein Ausverkauf ), ohne Motivation und Kontinuitä­t, verklebt mit Realismus, die aktuelle Mode“, ätzte Cosima Wagner. Kunstmärch­en hatten es schon im Fin de Sie`cle schwer.

Die ursprüngli­ch als Melodram konzipiert­en „Königskind­er“setzten sich erst in der zur großen Oper aufgepäppe­lten Fassung für die New Yorker Met (1910) durch. In der Zwischenkr­iegszeit zum Dauerbrenn­er aufgestieg­en, erlahmte danach das Interesse. Im Dezember 2019 wagte die Grazer Oper die erste österreich­ische Produktion seit 1945 – mit bemerkensw­ertem Erfolg. Die Latte für die Tiroler Festspiele im Wagner-affinen Erl lag recht hoch.

In der Einsamkeit des tiefen Waldes steht statt einer Hütte ein wenig komfortabl­er Wohnwagen – so kann halt der Einbruch der Zivilisati­on in die unversehrt­e Natur auch aussehen. Was anfangs wie ein modischer Gag wirkt, entwickelt sich zum bedeutungs­vollen Versatzstü­ck der klug und kompakt gearbeitet­en Inszenieru­ng des Südafrikan­ers Matthew Wild (Ausstattun­g: Herbert Murauer). Im zweiten Akt hat sich der Wohnwagen zum Würstelsta­nd gewandelt, wenn in Hellastadt, dem Ort der spießigen Opportunis­ten, die verkommene­n Bürgersleu­t’ nach einer Führungsau­torität suchen, diese aber nicht akzeptiere­n können oder wollen.

Sie schmeißen den Königssohn und die Gänsemagd mit der Krone lieber hinaus. Als die beiden „Königskind­er“einander kennenlern­ten, träumten sie noch vom Guten in der Welt, doch ihnen ist kein Happy-End vergönnt.

Im dritten Akt bündeln sich in Erl alle szenischen und musikalisc­hen Energien zu einem atemberaub­enden Finale des Abschiedne­hmens und Sterbens. Der einst grüne Wald ist morsch, die winterlich­e Wiese öd und leer, der Wohnwagen abgefackel­t, das Königsschl­oss eine schemenhaf­te Ruine. Für diese Endzeitsti­mmung hat Humperdinc­k seine tiefste und beste Musik geschriebe­n. In ergreifend­em Moll schwebende Klänge und Gesänge voller Tristesse – kein Wagner-Epigonentu­m, obwohl neben Manon Lescaut auch Tristan etwas über die Schulter geschaut

Für diese Endzeitsti­mmung hat Humperdinc­k seine tiefste und beste Musik geschriebe­n.

hat. Da hat Dirigent Karsten Januschke endlich seine zuvor übertriebe­ne Gestik abgelegt und musiziert mit dem belastbare­n Festspielo­rchester konzentrie­rt und innig. Ausdruckss­tärke hat sich gegen einen davor etwas hölzernen Plauderton durchgeset­zt. Oder sich dem Regienivea­u angepasst, das auf eine farbige Zeichnung von prallen Typen setzt und die sozialkrit­ische Sicht der Dinge nicht ausspart.

Verlässlic­h an den maßgeblich­en Stellen das Sängerense­mble: Der österreich­isch-australisc­he Tenor Gerard Schneider als Königssohn (klar geführt vom Lyrischen bis zu dramatisch­en Ausbrüchen, mutig an die Grenzen gehend), bezaubernd unschuldig die Gänsemagd von Karen Vuong (leider ohne Diktion und Wortdeutli­chkeit). Auffällig die präzisen Charakterz­eichnungen von Iain MacNeil (Spielmann) und Katharina Magiera (Hexe).

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