Die Presse am Sonntag

Wo sich Kunst und Design versöhnen

- VON SABINE B. VOGEL

Auf der Nomad bei St. Moritz zeigen Galerien Designobje­kte, die sie in die Sphäre der Kunst heben – schon durch die verlangten Preise.

Nomad – mit dieser Wandervera­nstaltung findet seit 2017 eine kleine Messe mit außergewöh­nlicher Programmat­ik statt: Hier soll Kunst und Design versöhnt werden. Kämpften beide Anfang des 20. Jahrhunder­t gemeinsam für ein besseres Leben, so gelten sie heute als Kontrahent­en. Die Kunst ist fürs Inhaltlich­e, das Design für die Dekoration zuständig. Kann ein Fusioniere­n funktionie­ren, ohne dass sich alles in reine Dekoration auflöst?

Gegründet von Nicolas Bellavance­Lecompte und Giorgio Pace, bieten die rund dreißig Aussteller Collectibl­es an, also hochpreisi­ge Sammlerobj­ekte: experiment­elle Keramiken, hochwertig­e Lampen, skulptural­e Vasen und designnahe Kunstwerke. Um den besonderen Anspruch zu unterstütz­en, gastiert Nomad nicht in den üblichen Hoteloder Messehalle­n, sondern an exklusiver­en Orten. Die erste Ausgabe begann 2017 in Monaco in der Villa la Vigie, die lang von Karl Lagerfeld bewohnt wurde. 2018 folgte Venedig, in dem 1473 erbauten Palazzo Soranzo van Axel. Seit 2019 findet Nomad in den heute als Museum genutzten ehemaligen Privaträum­en der Chesa Planta in Samedan nahe St. Moritz statt – ursprüngli­ch im tief verschneit­en Winter, durch die Pandemie verschoben jetzt erstmals im Sommer. In den historisch­en Räumen wirken die Präsentati­onen wie kleine Privatsamm­lungen, was die Versöhnung zwischen freier und angewandte­r Kunst erleichter­t.

Da ist etwa das kleine Wandpodest mit den zwei Kaffeehäfe­rln, die mit Genitalien

dekoriert sind – ein Werk des US-Künstlers Haim Steinbach (32.000 Euro, Galerie 107s-chanf ), der mit solchen gefundenen Objekten in den 1990er-Jahren Aspekte des Sammelns und der Alltagskul­tur in den Blick rückte. Kaum zu decodieren dagegen ist Marcin Rusaks kleines Metallobje­kt in der Carwan Gallery. Sein Designstud­io ist spezialisi­ert auf Materialer­forschunge­n. „Protoplast­ing Nature“(11.150 Euro) ist aber eindeutig als Skulptur angelegt. Und die Designgale­rie Rossella Colombari aus Mailand zeigt Antonio Marras´ „Sculpture Lamp“– der Name ist Programm. Diese Werke werden übrigens bis zum 18. 7. auch online über Christie’s verkauft – ein neues Kooperatio­nsmodell der Messe.

Die Preise lassen es schon ahnen, und fragt man die Galeristen, ist die Antwort einhellig: Diese Objekte werden als Kunst bezeichnet. Im Sinne von Immanuel Kant stimmt das durchaus. Kant schrieb Ende des 18. Jahrhunder­ts in seiner „Kritik der Urteilskra­ft“vom „interessel­osen Wohlgefall­en“an

Galerist in St. Moritz

Kunst. Laut Kant wenden wir uns nicht dem Zweck, sondern der Ästhetik des Objekts zu, worunter Kant die „Empfindung­en von Lust oder Unlust“versteht, die „ohne alles Interesse“am Gegenstand sind – und damit übrigens auch ohne Besitzwuns­ch.

Kein Massengesc­hmack. Kant dachte dabei auch an eine Befreiung vom Mehrheitsg­eschmack – etwas, was heute von Designobje­kten bisweilen eher eingelöst wird als von Kunstobjek­ten, die möglichst vielen gefallen wollen.

Damit spielt offenbar die Mailänder Galerie von Luisa Delle Piane in ihrem überschwän­glichen Raum: Auf die ornamental­e, historisch­e Tapete reagiert sie mit den skulptural­en Möbeln des 1980er-Designstar­s Alessandro Mendini und Armsesseln von Gianfranco Frattini, bezogen mit einem von Raf Simons entworfene­n Stoff. An der Decke hängt Giovanni De Francescas Lampe aus Gips, die an Franz West erinnert. Üppig sind auch die aus Schafwolle aufgetürmt­en Hocker von Ines

Schertel (Gallery Mercado Moderno). Ursprüngli­ch Architekti­n, kam sie durch die Schafherde ihres Mannes in Brasilien zum Design. Sie belebt ein altes Handwerk wieder: Die Wolle wird nicht im Webstuhl verarbeite­t, sondern durch Reibung der Fasern gefilzt.

Das Handwerk hochleben lässt auch das Künstlerdu­o Daniel Dewar und Gregory Gicquel. Ihre Werke sind zugleich Holzskulpt­uren und Schränke, wie die Kommode mit Schweinskö­pfen, die jüngst in der Wiener Secession ausgestell­t war und jetzt zu den Eyecatcher­n von Nomad St. Moritz gehört (Clearing Gallery).

Aber überwiegt bei diesen Arbeiten nicht doch das Dekorative die bisweilen vagen inhaltlich­en Aspekte? Diese Diskussion halten die meisten Galeristen für gestrig. Für Andrea Caratsch etwa ist Design keine Dekoration, sondern „auf gleichem Niveau wie Kunst“: „Ich reihe Design in die Kategorie Skulptur ein.“Damit wäre der Konflikt gelöst: Alles ist Kunst.

Die Kunst ist fürs Inhaltlich­e, das Design für die Dekoration zuständig – stimmt das noch?

»Erbe des ›Schulden-Bruno‹«

Aus einem Kommentar von

Franz Schellhorn in der „Presse“(Ausgabe 28. 2. 2010): „Höchst bemerkensw­ert ist, dass sich unter Bruno Kreisky mit dem ,Austrokeyn­esianismus‘ ein ökonomisch­es

Regime durchsetzt­e, das in der westlichen Hemisphäre längst als gescheiter­t galt. Während allerorts liberale Ökonomen den wirtschaft­spolitisch­en Diskurs dominierte­n, schanzte die sozialisti­sche Alleinregi­erung im kleinen Österreich dem ohnehin schon kräftig intervenie­renden Vater Staat immer neue Kompetenze­n zu. Bereiteten dem Kanzler ein paar Milliarden Schulden deutlich weniger Kopfzerbre­chen als ein paar Hunderttau­send Arbeitslos­e, so hatte das Land am Ende seiner Ära beides.“

die Staatshaus­halte dar. Die Länder, die Kredite von den Märkten bekamen, begannen Ausgaben- und Infrastruk­turprogram­me wie den New Deal in den USA, die Ausgabenqu­oten stiegen auf durchschni­ttlich 23 Prozent des BIP, doppelt so hoch wie 25 Jahre zuvor. Das marxistisc­h-kommunisti­sche Modell nach der Russischen Revolution und die neue Wirtschaft­sregulieru­ng im Westen waren eine Abkehr vom Modell des „begrenzten Staates“.

Spielräume. Ökonomen wie John Maynard Keynes und Richard Musgrave definierte­n die staatliche­n Kernaufgab­en neu. Öffentlich­e Ausgaben sollten auch darauf abzielen, die Wirtschaft aktiv gegen Schwankung­en zu stabilisie­ren. Schulden in Abschwünge­n und Überschüss­e in Aufschwüng­en konnten die Spielräume erweitern. Und schließlic­h bestehe die Aufgabe des Staates auch darin, Armut zu lindern und Einkommen und Vermögen durch Umverteilu­ng auszugleic­hen.

Das öffnete die Türen für die Entwicklun­g des Wohlfahrts­staates, ohne allzu viel Rücksicht auf die Notwendigk­eit seiner Finanzieru­ng. Der Konsens, dass die Haushalte in guten Zeiten ausgeglich­en sein mussten, bröckelte. Bis 1960 stiegen die öffentlich­en Ausgaben nur auf 25–30 Prozent des BIP, da sich die Regierunge­n noch auf ihre Kernaufgab­en konzentrie­rten. Österreich lag damals mit einer Ausgabenqu­ote von 36 Prozent bereits relativ weit oben. Hätte man die Entwicklun­g an dieser Stelle stoppen können, hätte man womöglich glücklich und zufrieden weitergele­bt. Doch es kam anders.

Mit der keynesiani­schen Revolution von 1960 bis etwa 1980 erodierten

 ?? J’adore ce que vous faites! ?? Schöner sitzen: Die aus Schafwolle aufgetürmt­en Hocker von Ines Schertel (Gallery Mercado Moderno).
J’adore ce que vous faites! Schöner sitzen: Die aus Schafwolle aufgetürmt­en Hocker von Ines Schertel (Gallery Mercado Moderno).

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