Die Presse am Sonntag

»Der Teufel ist bei mir in besten Händen«

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Seit wann interessie­ren Sie sich denn für den Teufel?

Mavie Hörbiger: Ich habe gar nicht so einen Bezug zum Teufel. Ich fand als Kind eher Märtyrerin­nen toll. Wie die behandelt worden sind, wenn denen so die Haut abgezogen wurde, das hat mich fasziniert.

Ja? Warum denn?

Ich komme aus Bayern, wo die katholisch­e Kirche eine große Rolle spielt. Auf den Triptychen in den Kirchen konnte ich mir immer die verschiede­nen Darstellun­gen ansehen. Der Teufel sitzt da meistens rechts unten und beobachtet das Geschehen. Das ist so das Erste und Teuflischs­te, was mir dazu einfällt.

In den vergangene­n Jahren haben Sie im „Jedermann“die Werke gespielt. Hieß es in Ihrer Familie tatsächlic­h, dass man die Werke nur spielt, wenn man für alle anderen Rollen zu wenig sexy ist?

Ja. „Wennst ned schoaf gnug bist, bist die Werke.“(Anm.: Ihre Großtante Paula Wessely und ihre Tante Elisabeth Orth spielten die Werke in Salzburg.)

Und hat(te) der Teufels ein besseres Renommee?

Ich glaube, den hat bisher noch niemand in meiner Familie gespielt.

Kommt es Ihnen gelegen, jetzt den Bösen spielen zu können?

Dieser Teufel ist gar nicht böse, er ist vielmehr eine total tragische Figur. Er kommt – warum auch immer – erst relativ spät daher und denkt sich: „Jedermann hat sich ein Leben lang schlecht benommen, alles gut, jetzt nehme ich ihn mit.“Aber das Erste, was ihn der Glaube wissen lässt, ist: „Hier ist kein Weg für deinesglei­chen.“Es wird ihm also verboten, den Weg mit Jedermann zu gehen, obwohl er doch im Recht ist. Also böse ist der Teufel nicht. (Pause) Ich finde, es war von diesen vielen Männern auch immer so ein Kraftgepum­pe, wie ich das halt auch mache. Dabei liegt das Komische einer Figur immer in der Tragik, jedenfalls spiele ich so. Über Loser kann man ja am meisten lachen, Verlierer, die finde ich eigentlich am lustigsten.

Es ist interessan­t, sich anzuschaue­n, in welchen Kostümen die diversen Teufel im vergangene­n Jahrhunder­t aufgetrete­n sind. Der Krampus-Look war ziemlich dominant. Ja, ich fand sie eher langweilig. Wobei das mit dem Kostüm gar nicht so einfach ist. Wogegen ich mich total verwehre, ist dieser Schwanz. Das ist so ein komisches Phallussym­bol, und das ganze Getue damit auch. Das brauche ich nicht. Es ist lächerlich. Ich habe auch nie darüber nachgedach­t, ob der Teufel weiblich oder männlich ist. In den meisten Darstellun­gen unserer Menschheit hat er gar kein Geschlecht. Es gibt nur immer wieder diesen Schwanz am Rückgrat.

In den meisten Sprachen ist das Geschlecht des Teufels männlich. Und intuitiv für die meisten Menschen wohl auch.

Es gibt den gefallenen Erzengel, aus dem Luzifer wurde. Der ist männlich. Aber sonst . . .

Gott ist in den allermeist­en Darstellun­gen auch männlich.

Ja toll, und auch so ein alter weißer Mann. Ganz wichtig, dass er alt und weiß ist. Das passt doch zu unserem patriarchi­schen System.

Und ist Gott gütig?

So stelle ich ihn mir nicht vor, eher zornig, wenn ich so an die Sintfluten denke.

Mavie Hörbiger wurde 1979 in München geboren. Ihr Großvater war der Schauspiel­er Paul Hörbiger.

2001 begann sie ihre Theaterkar­riere am Schauspiel Hannover.

2008 arbeitete sie zum ersten Mal in Wien am Theater in der Josefstadt.

Seit 2011/12 gehört Hörbiger zum Ensemble des Wiener Burgtheate­rs. Neben ihrer Theaterarb­eit ist Mavie Hörbiger für Film- und Fernsehpro­duktionen tätig.

2007 debütierte sie bei den Salzburger Festspiele­n als Hermia in Shakespear­es „Ein Sommernach­tstraum“.

2018 übernahm sie die Rolle der Pitz in Duˇsan David Paˇr´ızeks Textfassun­g und Inszenieru­ng von David Grossmans „Kommt ein Pferd in die Bar“.

2017 bis 2020 war sie in der Rolle der Werke in Michael Sturminger­s „Jedermann“Inszenieru­ng zu sehen.

2021 spielt sie als erste Frau die Rolle des Teufel im Salzburger „Jedermann“. Kürzlich habe ich eine tolle Doku über Tiermumien im alten Ägypten gesehen. Bei den Ägyptern waren die Götter Tiere. Das leuchtete mir ein.

Warum?

Na ja, weil da das Tier der Bote zu etwas Göttlichem ist. Ein schöner Gedanke. Aber ich weiß es nicht. Ich glaube nicht an Gott. Stellen Sie sich vor, man stirbt, und es wäre tatsächlic­h so: Wölkchen, auf denen kleine Engel sitzen, und dann ist da so ein Mann mit einem langen weißen Bart und der Tod sitzt da mit seiner Sense.

Das hat auch etwas Komisches.

Ja, das wäre lustig, und ich würde mir denken: Fuck, die anderen haben alle immer recht gehabt. Wir haben solche Angst, uns vorzustell­en, dass nach dem Tod nichts ist. Und weil wir das nicht aushalten, denken wir uns so einen Quatsch aus.

Apropos Tod: Auch er wird dieses Jahr von einer Frau, von Edith Clever, gespielt. Allerdings nicht zum ersten Mal. Stört es Sie, wenn das hervorgeho­ben wird?

Lieber wäre mir, wenn es gar nicht notwendig wäre, darüber zu sprechen, ob der Tod oder der Teufel von einer Frau oder einem Mann gespielt werden. Denn dann passiert es, dass mich eine Journalist­in fragt: „Sie schauen ja überhaupt nicht aus wie ein Teufel. Wie werden Sie denn das dann machen?“Offenbar bin ich für sie nicht die richtige Frau für diese Rolle.

Das ärgert Sie?

Ja, und es enttäuscht mich, weil mir damit ausgerechn­et von einer Frau abgesproch­en wird, den Teufel spielen zu können. Dabei weiß jeder, der mich kennt oder mich am Burgtheate­r spielen gesehen hat, dass der Teufel bei mir in besten Händen ist.

Da bin ich sicher. Aber inwiefern?

Ich weiß, was ich kann: sprachlich, tänzerisch, von meiner Spielfreud­e und meinem Humor her. In mir verbinden sich sehr viele dieser Männer, die schon den Teufel gespielt haben. Und dann schauen wir einmal, was uns dazu noch alles einfällt. Es wird noch einiges passieren.

Etwas anderes: Auf Twitter melden Sie sich immer wieder zu Wort. Unter anderem zu den elf Femiziden in Österreich dieses Jahr. (Nickt) Weil wir vorher über den Teufel und das Böse gesprochen haben: Diese Taten sind grundböse, und es waren immer Männer, die diese Morde begangen haben.

Was halten Sie jenen entgegen, die hinter der Serie einen Zufall vermuten?

Es ist wahnsinnig dumm und gefährlich, darin einen Zufall zu sehen. Diese Femizide sind ein Spiegel unserer Gesellscha­ft und der österreich­ischen Seele. Das ist ein Aufbäumen des Patriarcha­ts, der Männer, denen man die Männlichke­it nimmt. Es gibt nichts Schlimmere­s als Männer, wenn sie sich in die Ecke gedrängt fühlen. Das erlebe ich immer wieder. Ich kann nur sagen: Erzieht eure Jungs! Jetzt, wo alle wieder feiern können, gibt es Broschüren, in denen jungen Mädchen geraten wird, wie sie sich verhalten sollen, wenn junge Männer betrunken sind. Warum teilt man nicht Broschüren an Jungen aus, wie sich sie benehmen sollen? Das ist absurd! So werden wir erzogen, da läuft etwas total schief und falsch.

Wobei es sinnvoll ist, Mädchen und Frauen zu sensibilis­ieren. Etwa dafür, wie sie sich in sozialen Medien darstellen. Warum reduzieren sich viele Frauen dort selbst bloß auf ihren Körper?

Aber das ist kein Problem unserer Töchter oder unserer Kinder, sondern

Ihnen Neid auf Kolleginne­n und Konkurrenz­denken fremd sind?

Wir Frauen müssen zusammenha­lten. Aufeinande­r neidisch sein, Konkurrenz sein, das ist doch bullshit. Mir ist Lars Eidinger (Anm.: Er spielt dieses Jahr den Jedermann) der härtere Konkurrent als Verena Altenberge­r (Anm.: Sie spielt die Buhlschaft). Das kann ich knallhart sagen. Lars ist ein Mann, ich eine Frau, natürlich will ich ihn irgendwann entthronen.

...ob

Sie vereinnahm­t werden, wenn es um Themen wie Diskrimini­erung oder Feminismus geht?

Ich achte sehr darauf, nicht von irgendetwa­s die Fürspreche­rin zu werden. Ich stoße gern Diskussion­en an, will aber dann dazu keine Interviews geben oder eben vereinnahm­t werden. Nein, das möchte ich nicht.

...ob

das von Social Media. Wobei weder ich noch meine Kinder diese benützen. Aber wir sollten uns einmal ansehen, was sie mit uns und unserer Gesellscha­ft machen: Der gesamte Feminismus wird rückschrit­tlich. Dieser Schönheits­wahn, diese „perfekten“Körper, dieses Frauenbild, das ist doch absurd.

Das sehen offensicht­lich viele anders: Die Influencer­in Pamela Reif hat 7,9 Millionen Follower auf Instagram, und ihre Work-outs auf YouTube sind unglaublic­h erfolgreic­h. Was für ein unglücklic­her Mensch muss sie sein. Und dieser Anspruch an die Mädchen, sie sollen so aussehen und nur so und so viel wiegen . . . Was da mit Frauen gemacht wird, ist schlimm.

Wir können uns aber bewusst machen, dass keine Frau da mitmachen muss.

Aber dazu sind wir jahrtausen­delang erzogen worden. Ich bin 1979 geboren, ich komme aus einer Generation, da waren Mütter noch Hausfrauen. Das war normal. Wir können die Welt nicht von null auf hundert ändern, das geht nur in kleinen Schritten. So wie dieses Jahr hier: Wenn im „Jedermann“-Ensemble mehr Frauen als Männer mitspielen, ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Und jedes Mal, wenn wir uns entscheide­n, dass wir uns etwas nicht gefallen lassen, auch. Auf die Frage, ob ich den Teufel spielen kann, muss ich nicht antworten.

Diese Frage beschäftig­t Sie sehr.

Natürlich, das trifft mich! Ich stelle mir vor, wie ich in zwei Stunden auf dem Domplatz probe und diese Frage an mir nagt. Wenn man nicht einmal den Rückhalt von Frauen bekommt, von wem soll ich ihn denn dann bekommen? Ich kann ja nicht immer nur nach vorn preschen und dann eine ins Gesicht bekommen, und zwar vom eigenen Geschlecht. Das ist anstrengen­d.

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Wildbild/Herbert Rohrer Mavie Hörbiger: „Erzieht eure Jungs!“
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