Die Presse am Sonntag

»Das ist eine alte, primitive Masche«

- VON ULRIKE WEISER

Wann haben Sie das letzte Mal mit dem Kanzler gelacht?

Werner Kogler: Als er in den USA war, haben wir telefonier­t. Und da hat es auch etwas zum Lachen gegeben. Aber das bleibt unser Geheimnis.

Und wann haben Sie das letzte Mal gestritten?

(denkt lang nach) Ich würde es eher Meinungsve­rschiedenh­eit nennen, und es ging darum, dass wir als Staat und Bundesregi­erung so lang in der Verantwort­ung sind, bis alle die Möglichkei­t hatten, sich zwei Mal impfen zu lassen und wir die Mutationen im Griff haben. Erst danach können wir in ein Eigenveran­twortungsr­egime wechseln. Davor können wir weder die 3-G-Regel verlassen, noch kann in der Nachtgastr­onomie alles einerlei sein.

Wollte die ÖVP das denn?

Nein, aber man kann es so interpreti­eren, wenn die Parole lautet: alles nur mehr Eigenveran­twortung und „zurück zum Normalen“. Bei der Pandemiebe­kämpfung geht es auch viel um Kommunikat­ion, und da kann man Missverstä­ndnisse erzeugen. Letztlich haben wir einen guten Kompromiss gefunden. Aber das war sicher eine Differenz.

Und wie war die Stimmung zwischen Ihnen und dem Kanzler bei dem Telefonat nach seinem „Steinzeit“-Sager?

Es hat seitdem noch kein Gespräch gegeben. Welchen Sinn diese Aussage hat, wird er aber ohnehin weniger mir als der Öffentlich­keit erklären müssen. Ich kann diesem „Sager“keine Bedeutung beimessen. Bis jetzt haben wir beim Klimaschut­z hervorrage­nde Fortschrit­te gemacht, wir haben das ambitionie­rteste Klimaschut­zprogramm, das Österreich je hatte. Ich habe daher eher den Verdacht, dass solche Worte aufgrund von Missverstä­ndnissen oder falschen Beratern gewählt wurden. Das letzte Mal, dass ich mich an solche Töne aus dem Kanzleramt erinnern kann, ging es um Hainburg. Damals hatte ich auch den Eindruck, dass Bundeskanz­ler Sinowatz von den falschen Leuten, manchmal sogar von Betonköpfe­n, beraten wurde. Die Diktion war jedenfalls haarscharf die gleiche. Das ist altes Denken und Politik von gestern. Wir wissen auch, wie es ausgegange­n ist: Es ist gemeinsam mit vielen gelungen, ein europäisch einmaliges Naturschut­zgebiet zu erhalten.

Wer sind denn die Betonköpfe, die den Kanzler falsch beraten?

Ich sage nur, ich habe den Eindruck, dass es wie früher ist und man sich vielleicht zu viel mit Öl-Lobbyisten und Betonierer­n umgibt. Sonst ist das nicht erklärbar. Aber es wird sich ohnehin auflösen. Das kenne ich bereits von den Angriffen auf die Justiz. Spätestens wenn die Meinungsum­fragen es zeigen, werden wieder andere Worte gewählt werden. Klimaschut­z ist jedenfalls ein dringendes Mehrheitsa­nliegen zum Schutz unserer Kinder.

Erstens: Die Zuschreibu­ng ist falsch. Zweitens: Es geht um Veränderun­g. Und zwar zum Besseren – auch für die Kinder und Kindeskind­er. Insofern geht es eigentlich vor allem um Verantwort­ung. Weiter wie bisher führt zu mehr Unwetterka­tastrophen mit Jahrhunder­tüberschwe­mmungen, Tornados, Ernteausfä­llen und Hitzetoten.

Hat Kurz also recht, wenn er sagt, dass es ohne Verzicht geht?

Das ist doch alles Wortklaube­rei. Die Veränderun­g ist entscheide­nd, und wir sollten nicht so tun, als wäre sie nicht notwendig. Natürlich werden wir weiter mobil sein, nur eben anders. Nämlich vor allem mit mehr Elektromob­ilität und öffentlich­en Verkehrsmi­tteln.

Es ist ein Unfug, so zu tun, als würde hier jemand komplett die Zeit zurückdreh­en wollen. Das ist eine alte primitive Masche. Denn genau das Gegenteil ist der Fall. Wir stimmen in dem Punkt völlig überein, dass Innovation­en und Umwelttech­nologie eine ganz große Rolle spielen werden. Die Politik muss für diese aber Anreize schaffen und Rahmen vorgeben und vor allem auch für eine wirtschaft­lich vernünftig­e Preispolit­ik sorgen, Stichwort: CO2-Bepreisung. Das für die Umwelt günstige Produziere­n und Verhalten muss belohnt, das schädliche teurer werden.

Aber die Grundsatzf­rage ist doch: Lässt sich der Klimawande­l – wie die ÖVP zu meinen scheint – mit neuen Technologi­en bei gleichblei­bendem Verhalten bewältigen? Oder muss man den Leuten ehrlich sagen: Man muss fürs Klima auf einiges verzichten und seinen Lebensstil ändern.

„Man muss“ist eine falsche Formulieru­ng. Jedes Individuum kann selbst entscheide­n. Es geht schlicht darum, dass man sauberes Wasser, den Schutz vor Lärm, gesunde Ernährung und eine gesunde Umwelt als einen Gewinn von

Lebensqual­ität erkennt. Wir sind die erste Generation, die die ersten Auswirkung­en einer drohenden Klimakatas­trophe spürt, und mit Sicherheit sind wir eine der letzten, die dagegen etwas tun kann. Das gilt erst recht für Verantwort­ungsträger und Regierungs­mitglieder. Alles muss jetzt auf die Zukunft gepolt werden.

Warum Sebastian Kurz Werner Kogler derzeit an Fred Sinowatz erinnert. Und warum er bei Karl Nehammer neuerdings an Herbert Kickl denken muss. Der Vizekanzle­r im »Presse«-Sommergesp­räch.

Kommen wir von der Makro- wieder auf die Mikroebene, nämlich auf den letzten Ausgangspu­nkt des Koalitions­konflikts rund um das Klima. Das ist die Evaluierun­g von mehreren Straßenbau­projekten durch die Umweltmini­sterin bzw. die Asfinag. Da geht es etwa auch um die S18, die BodenseeSc­hnellstraß­e. Sebastian Kurz sagt, diese komme fix. Umweltmini­sterin Leonore Gewessler sagt, das müsse man erst prüfen. Wie passt das zusammen?

Es geht hier jedenfalls nicht um die Verhinderu­ng von Bauprojekt­en. Es geht um „ehrlich evaluieren statt blindwütig betonieren“. Alle in Vorarlberg, und zwar bis hinauf zum Landeshaup­tmann, sollten wissen, dass es nach jetzigem Wissenssta­nd schnellere, günstigere und naturschon­endere Alternativ­en zur S18 gibt. Wir sind bei diesem Projekt auch noch Lichtjahre von einer Umweltvert­räglichkei­tsprüfung entfernt.

Aber wieso sagt der Kanzler dann, es sei fix?

Das müssen Sie ihn fragen.

Wie überrascht waren Sie eigentlich, als die ÖVP de facto den ersten Koalitions­bruch begangen hat und eine Vorarlberg­er Bundesräti­n mit der Opposition gegen die Grünen – also für einen Stopp der Evaluierun­g der Straßenpro­jekte – gestimmt hat?

Das war kein großes Thema.

Die Grünen haben etwas sehr Vernünftig­es gemacht. Sie haben auf der höheren Ebene eine Beschlussl­age verhandelt, die die Richtung zur Evaluierun­g vorgibt (Anm.: Im Nationalra­t stimmten Grün und Türkis für eine Evaluierun­g der Projekte, inklusive S18). Und seien Sie ehrlich: Das Ganze (Anm.: der Antrag im Bundesrat) hat tagelang niemanden interessie­rt.

Weil der Bundesrat halt selten im Fokus des Interesses steht. Aber weil Sie sagen, das sei alles nicht so wild: Der Politologe Peter Filzmaier hat unlängst die interessan­te These aufgestell­t, dass Grün und Türkis vielleicht gar nicht so ungern laut übers Klima streiten, weil sie dann nicht über Asyl und eine mögliche Kanzler-Anklage reden müssen. Gibt es hier bei diesem Konflikt ein „Show-Element“?

Ich bin kein Show-Politiker, und beim Klimaschut­z hört sich ohnehin jede Show auf. Das ist das Zukunftsth­ema unserer Gesellscha­ft. Ich finde eine Diskussion, wo und wie wir weiter Milliarden investiere­n, verantwort­ungsvoll. Und wir haben auch gar keinen Grund, von irgendetwa­s abzulenken. Den hätten andere eher. Beim Thema Justiz etwa sorgen wir Grüne vielmehr dafür, dass die Justiz – trotz verbaler Angriffe – unabhängig arbeiten kann.

Da wir schon beim Thema sind: Können Sie mir erklären, was bei einer Anklage gegen Kurz passiert? Sie haben gesagt: Ein verurteilt­er Kanzler kann nicht im Amt bleiben. Warum können Sie nicht auch ebenso klarstelle­n, was bei einer Anklage passiert?

Das Entscheide­nde ist immer die Amtsfähigk­eit. Es gab Politiker, die schon bei Ermittlung­en nicht mehr amtsfähig waren. Bei einer erstinstan­zlichen Verurteilu­ng wäre die Handlungsf­ähigkeit im europäisch­en Kontext jedenfalls sehr eingeschrä­nkt. Aber ich halte dieses ganze Herumspeku­lieren eigentlich für deplatzier­t. Denn meines Wissens hatte der Kanzler noch nicht einmal die Möglichkei­t, in dem Verfahren Stellung zu nehmen.

Das klingt, als würden Sie sagen: Der Kanzler kann bei einer Anklage im Amt bleiben, wenn

ihn diese bei seinem Job nicht allzu sehr beeinträch­tigt.

Gegebenenf­alls wird es auch davon abhängen.

Und wer beurteilt das?

Das wird man daran ermessen, wie der Umgang des Kanzlers selbst mit der Situation ist und was im Strafantra­g steht. Generell finde ich: Wenn – möglicherw­eise anders als früher – die Justiz heute ungestört ermitteln kann und nichts „daschlogn“wird, muss man umgekehrt auch ein Urteil abwarten können.

Kommen wir zu einem Thema, von dem es heißt, dass es Grün und Türkis am stärksten trennt: Asyl und Migration. Sie haben nach dem Fall Tina – dem nach Georgien abgeschobe­nen Mädchen – eine Kindeswohl­kommission eingericht­et. Braucht es nach dem Fall Leonie – der getöteten 13-Jährigen – nicht auch eine Kommission, die untersucht, was da schiefgela­ufen ist und was man daraus lernen muss?

Ich weiß, dass das Innen- und das Justizmini­sterium das prüfen. Aber es ist relativ klar, was zu geschehen hat: Man muss die Geschwindi­gkeit und die Qualität der Verfahren im Bundesamt für Asyl- und Fremdenwes­en erhöhen, und man muss auch beim Bundesverw­altungsger­icht – wo die Grünen dafür gesorgt haben, dass Stellen nicht gestrichen, sondern aufgestock­t werden – rascher entscheide­n.

Eine Kommission braucht es also nicht? Wenn die Erkenntnis­se auch so klar sind, dann wohl nicht.

Aber es steht noch immer die Frage im Raum: Was soll man mit straffälli­g gewordenen, oft jugendlich­en Asylwerber­n tun, die man (noch) nicht abschieben kann? Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler von der ÖVP hat wieder die Sicherungs­haft ins Spiel gebracht. In der Schweiz wird in diesen Fällen teilweise die Bewegungsf­reiheit eingeschrä­nkt, das heißt, die Betroffene­n dürfen bestimmte Areale nicht betreten oder verlassen.

Wenn die bestehende­n Regeln konsequent umgesetzt worden wären, dann wäre es im Anlassfall gar nicht so weit gekommen. Das ist die Hauptaufga­be.

Das heißt: Nein zur Sicherungs­haft und zu der Schweizer Idee?

Beides steht aus unserer Sicht nicht zur Debatte.

Die ÖVP bleibt aber auf dem Asylthema. Innenminis­ter Karl Nehammer betont, dass er weiter nach Afghanista­n abschieben will. Und wenn das nicht geht, will er wie die Dänen Kooperatio­nspartner finden, die bereit sind, diese Menschen vorübergeh­end – also bis zur Rückführun­g – aufzunehme­n. Diesen dänischen Weg gibt es gar nicht, es geht vielmehr darum, einen europäisch­en Gleichklan­g zu finden, welches Land welchen Beitrag im Asylwesen leistet. Prinzipiel­l werden ohnehin Abschiebun­gen im Einzelfall auf die konkrete Gefährdung­slage hin geprüft. Und da der Anlass ja straffälli­ge Asylwerber sind: Wer eine schwere Straftat begeht, muss die entspreche­nde Haft verbüßen.

Innenminis­ter Nehammer sagt auch, dass es eigentlich gar kein Recht für einen Afghanen gibt, in Österreich einen Asylantrag zu stellen. Und dass das für alle gelte, die durch sichere Drittstaat­en kommen. Er will das künftig auch so praktizier­en. Das heißt, nach seiner Rechnung gibt es dann viel weniger Asylwerber in Österreich.

So eine Rechnung kenne ich bisher nur von Herrn Kickl (Ex-Innenminis­ter und FPÖ-Chef, Anm.). Wie gesagt: Ob und inwieweit Schutzbedü­rftigkeit vorliegt, wird immer noch im jeweiligen Asylverfah­ren geprüft.

Ist es denkbar, dass Österreich demnächst Asylanträg­e reihenweis­e abweist, weil die Menschen durch ein sicheres Land hierhergek­ommen sind?

Das wird sich mit dem europäisch­en Rechtsrahm­en nicht ausgehen.

Zum Schluss wollte ich noch fragen: Warum sind Sie eigentlich hier? Und nicht in Tokio? Die Olympische­n Spiele sind doch „das“Ereignis für einen Sportminis­ter. Geht es da um Covid oder Umwelt-Gründe?

Mit dem Fliegen hat das, ganz ehrlich, in dem Fall nichts zu tun. Wenn generell Zuseher nicht zugelassen sind, dann müssen auch Regierungs­repräsenta­nten nicht auf der Ehrentribü­ne sitzen, finde ich. Wir hätten Tickets bekommen, haben sie aber abgelehnt. Es ist derselbe Grund, warum wir nicht ins Fußballsta­dion gegangen sind, wenn während eines Lockdowns Geisterspi­ele waren: keine Sonderstel­lung.

 ?? Clemens Fabry ?? Eine Erklärung könnte natürlich sein, dass Sebastian Kurz mit seinem Sager – nämlich dass man auch ohne Verzicht gegen den Klimawande­l ankommt und er weder zurück in die „Steinzeit“noch eine Politik des erhobenen Zeigefinge­rs will – einen wunden Punkt der Grünen getroffen hat. Die Grünen haben ja immer mit der Zuschreibu­ng gerungen, die Spaßverder­ber, die Verbotspar­tei zu sein.
Ein Grüner im Grünen: Vizekanzle­r Werner Kogler im Garten des Restaurant­s Salonplafo­nd im MAK, dem Museum für Angewandte Kunst, in Wien.
Die Grünen waren aber ziemlich erbost.
Clemens Fabry Eine Erklärung könnte natürlich sein, dass Sebastian Kurz mit seinem Sager – nämlich dass man auch ohne Verzicht gegen den Klimawande­l ankommt und er weder zurück in die „Steinzeit“noch eine Politik des erhobenen Zeigefinge­rs will – einen wunden Punkt der Grünen getroffen hat. Die Grünen haben ja immer mit der Zuschreibu­ng gerungen, die Spaßverder­ber, die Verbotspar­tei zu sein. Ein Grüner im Grünen: Vizekanzle­r Werner Kogler im Garten des Restaurant­s Salonplafo­nd im MAK, dem Museum für Angewandte Kunst, in Wien. Die Grünen waren aber ziemlich erbost.
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