Zu Fuß gehen
ist gesund. Und beliebt – zumindest dort, wo der öffentliche Raum attraktiv gestaltet ist. Experten orten ein Umdenken bei den Entscheidungsträgern und erwarten sich in den nächsten Jahren noch mehr fußgängerfreundliche Maßnahmen.
s wird woh lauchdaranliegen, dass es so alltäglich, so selbstverständlich und damit, nun, auch irgendwie unspektakulär ist, dass dem Gehen so lang so wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde.
Es gab (und gibt) dicke Budgets, um Autos zu bewerben – oder das Fliegen (auch wenn beide schon ein besseres Image hatten). Das Zugfahren wird propagiert und auch die Radfahrer haben eine – gar nicht so leise – Lobby.
Das simple Zufußgehen stand hingegen recht lang überhaupt nicht im Fokus – und auch wenn die ersten Fußgängerzonen schon mehr als 40 Jahre alt sind, waren Fußgänger nicht eben die Gruppe im öffentlichen Raum, der Stadtplaner und Politiker früher viel Aufmerksamkeit gewidmet haben.
Das hat sich in den vergangenen Jahren – langsam – geändert. Die Coronazeit hat das Zufußgehen zusätzlich aufgewertet: Zum einen haben viele Menschen, mangels anderer FreizeitAlternativen im Lockdown, das Spazierengehen für sich entdeckt.
Zum anderen haben sie sich aber auch auf ihren All tagswegen – etwa auch, um öffentliche Verkehrsmittel in der Pandemie zu vermeiden – mehr auf ihre Füße verlassen: So ist im ersten Coronajahr 2020 in Wien der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Alltagswege deutlich gegenüber 2019 auf 37 Prozent gestiegen (siehe Grafik unten).
Dieser Anstieg zeigt sich auch bei der Zahl jener Schritte, die die User der „Wien zu Fuß“-App zusammen absolviert haben: Im ersten Halbjahr 2019 waren es 1,13 Milliarden gezählte Schritte, im selben Zeitraum 2020 (in den der erste Lockdown fiel) waren es schon 1,37 Milliarden. Und in den ersten sechs Monaten des heurigen Jahres wurden in der App rund 2,62 Milliarden gezählt – also fast doppelt so viele.
Dass so viele Menschen zu Fuß unterwegs waren, hat aber auch deutlich gemacht, wo die Probleme liegen: Zu schmale (oder gar fehlende) Gehsteige, schwer passierbare Kreuzungen, überfüllte Parks, insgesamt also zu wenig – und auch zu wenig attraktiver – Raum für Fußgänger. „Das haben“, sagt der deutsche Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar, „jetzt wirklich alle deutlich beobachtet und wahrgenommen.“In kleinen Orten wie großen Städten „ist jetzt verstanden worden“, dass sich der öffentliche Raum zugunsten der Fußgänger verändern müsse, Frei- und Grünräume im Straßenbild geschaffen werden sollten.
Für Weisshaar hat die Coronazeit hier ein Umdenken befeuert, das ihn optimistisch stimmt: „Die Städte“, sagt er, „rollen den Fußgängern jetzt den roten Teppich aus.“Dass etwa die Pariser Bürgermeisterin angekündigt hat, in den nächsten Jahren die Hälfte aller oberirdischen Pkw-Stellplätze zu streichen, damit dort mehr Frei- und Grünraum entsteht, „ist schon eine Ansage. Genau in die Richtung muss es gehen.“
Gegen mehr Zufußgehen ist rein aus gesundheitlichen Gründen jedenfalls wenig einzuwenden: Gehen ist gesund, hilft bei Kreislauferkrankungen ebenso wie bei psychischen Problemen und kann auch bei Krebstherapien unterstützend wirken, so Weisshaar.
Vor allem kann man beim Gehen, anders als bei vielen Sportarten, „nicht viel falsch machen“, sagt der Orthopäde Hans-Jörg Trnka, der das „Fußzentrum Wien“leitet. „Bei dem Tempo, in dem man geht, geht man automatisch richtig“– rollt also mit der Ferse ab. And ers als beim Laufen, bei dem man je nach Läufertyp (Vorfußläufer, Mittelfußläufer etc.) verschiedene Dinge beachten, die richtige Lauftechnik lernen sollte, will man Überlastung und Verletzungen vermeiden, kann das Gehen nur guttun.
Sofern man einige wenige Dinge beachtet: Empfehlenswert sei ein gutes Paar Sneakers, „in dem man schön abrollen kann“, sagt Orthopäde Trnka. Wichtig sei, dass man vor allem mit der Ferse einen guten Halt hat – und der Schuh gut dämpft. Probleme – etwa Verspannungen, Schulter- oder Rückenschmerzen – können entstehen, wenn man auf seinen Alltagswegen zu Fuß zu v iel (falsch) schlepp t. Ideal sei dabei ein Rucksack, sagt Trnka, „da geht man aufrecht und beide Schultern sind gleich belastet“. Schwere Umhänge- und Handtaschen sollte man nicht auf einer Seite (also einer Schulter), sondern diagonal über den Körper tragen, um eine einseitige Überlastung zu vermeiden.
Schritte zählen? Wer s ich dazu entschließt, mehr zu Fuß zu gehen, braucht auch – anders als beim Laufen, bei dem sich Anfänger schnell übernehmen – keine negativen Folgen zu fürchten. Zumal wir zumindest kürzere Fußwege durchaus gewöh ntsind.
Anders ist das etwa bei Menschen, die überhaupt nicht zu Fuß unterwegs sind. Trnka behandelt immer wieder diplomatische Mitarbeiter der US-Botschaft oder der UNO, die in ihrer Heimat jeden noch so kurzen Weg mit dem Auto erledigt haben und durch die vermehrten Fußwege in Wien mit Überlastungsproblemen in seine Ordination
BERTRAm WEISSHAAR
Spaziergangsforscher kommen. Das sind freilich plakative Ausnahmen, an sich kann man „beim normalen Zufußgehen kaum zu viel Bewegung machen“. Dass man dabei wirklich die vielfach empfohlenen 10.000 Schritte pro Tag absolvieren sollte, sieht Trnka nicht so streng, für ihn ist das „eine willkürlich festgelegte Richtlinie“. Aber ein Tagesziel – ob nun 5000, 7000 oder 10.000 Schritte – zu haben, sei jedenfalls gut, weil es der Motivation diene.
Gehen lüftet uns aus. Außerdem mache es natürlich einen Unterschied, wie viel Bewegung man sonst macht: Für einen Ausdauersportler sind einige Tausend Schritte zu Fuß nicht von großer Bedeutung, für jemanden, der sonst nur vor dem Computer sitzt, die einzige (und daher wichtige) Bewegungsform. Ganz allgemein sollten „wir viel mehr zu Fuß gehen, auch die kurzen Wege“, sagt Trnka. Gehen, etwa nach der Arbeit, „lüftet uns aus, man kommt runter, ist geerdet“.
Und weil das Gehen so automatisch, nun, geht, wir uns also nicht darauf konzentrieren müssen, „können wir uns beim Gehen entspannen, unseren Gedanken freien Lauf lassen“, sagt Spaziergangsforscher Weisshaar. Sicher ,de r hohe Anteil der Fußwege in der Pandemie wird wohl post Corona wieder etwas zurückgehen. Weisshaar glaubt aber, dass viele Menschen ihr Mobilitätsverhalten ändern werden. „Viele haben jetzt wieder – oder überhaupt zum ersten Mal – erlebt, dass Gehen glücklich macht. Wir hören Vögel, die Umwelt, wir haben den Wind im Haar, die Sonne auf der Haut“, sagt Weisshaar. „Das alles ist einfach wichtig für uns, so belanglos es auch scheinen mag.“
Allerdings: Zu Fuß ist man nur dort gern unterwegs, wo es gute Möglichkeiten dazu gibt. Dabei geht es nicht nur um einen sicheren – also vor dem Autoverkehr geschützten – Gehweg. Sondern auch um einen attraktiven: ausreichend breite Gehsteige, Straßenbegrünung, Sitz- und Aufenthaltsmöglichkeiten. „Die Aufwertung des öffentlichen Raumes ist das, was das Zufußgehen befördert“, sagt Weisshaar.
Dort, wo all das zumindest in Ansätzen vorhanden ist, und wo auch die öffentliche Anbindung gegeben ist (viele Alltagsfußwege sind schlicht jene zur nächsten Straßenbahn), steigt der Anteil der Fußgänger. Überall dort, wo die entsprechende Infrastruktur fehlt, gehen die Menschen auch weniger zu Fuß.
Das sieht man etwa, wenn man die Wiener Bezirke im Detail betrachtet. So liegt der Anteil der Fußwege in jenen (innerstädtischen) Bezirken besonders hoch, die eine entsprechende Infrastruktur haben und auch öffentlich gut angebunden sind. Wie die heuer erschienene Studie „Aktive Mobilität in Wien“zeigt, lag in der Innenstadt, in Neubau (wo seit Jahren massiv verkehrsberuhigt wird) und Mariahilf der Anteil der Fußwege in den Jahren 2015 bis 2019 bei mehr als 35 Prozent. Auch in Währing ist der Anteil ähnlich hoch, hier wurde der Straßenraum in den vergangenen Jahren intensiv begrünt, da sei hochgerechnet „fast ein ganzer Wald gepflanzt worden“, sagt Petra Jens, Fußgänger-Beauftragte der Stadt Wien.
Dass so viele Menschen zu Fuß unterwegs waren, hat gezeigt, wo die Probleme liegen.
Auf der ander en Seite stehen die großen Flächenbezirke wie Liesing oder die Donaustadt, „wo sich das Leben eher um das Auto herum organisiert“. In beiden Bezirken liegt der Anteil der zu Fuß erledigten Alltagswege unter 20 Prozent. Obwohl es hier viel mehr Grünräume gibt als innerstädtisch – aber eben weniger begrünte und fußgängerfreundliche Infrastruktur.
Auch Jens sieht, ähnlich wie Spaziergangsforscher Weisshaar, dass Zufußgehen als Freizeitbeschäftigung und als Lebensstil bei den Menschen angekommen ist. Und auch bei den Verantwortlichen – also der Stadt und den Bezirksvorstehern. „Wir sehen da gerade einen massiven Wandel bei den Entscheidungsträgern“, sagt sie. Natürlich auch im Zuge des Klimaschutzes, der ein Umdenken in Sachen Mobilität erfordert.
Vor zehn Jahren etwa war das Begrünen „eine ungeliebte Maßnahme“, denn Pflanzen und Erhalt von Bäumen
In Neubau und Mariahilf werden mehr als 35 Prozent der Wege zu Fuß absolviert.
sind teuer. Heute ist mehr Grün bei der Straßengestaltung „ein Must-have“. Früher hat man den neu gepflanzten Bäumen oft eine zu kleine Baumscheibe zugestanden, weshalb sie sich oft schlecht entwickelt haben, „heute werden eigene Wasserleitungen gelegt, damit der Baum auch unteriridisch bewässert werden kann“, sagt Jens. „Das ist Infrastruktur, die man sich früher nicht leisten wollte.“
Jens ist seit 2013 als „Beauftragte für Fußgängerinnen und Fußgänger“für