Die Presse am Sonntag

Zu Fuß gehen

- MIRjAm mARITS

ist gesund. Und beliebt – zumindest dort, wo der öffentlich­e Raum attraktiv gestaltet ist. Experten orten ein Umdenken bei den Entscheidu­ngsträgern und erwarten sich in den nächsten Jahren noch mehr fußgängerf­reundliche Maßnahmen.

s wird woh lauchdaran­liegen, dass es so alltäglich, so selbstvers­tändlich und damit, nun, auch irgendwie unspektaku­lär ist, dass dem Gehen so lang so wenig Aufmerksam­keit gewidmet wurde.

Es gab (und gibt) dicke Budgets, um Autos zu bewerben – oder das Fliegen (auch wenn beide schon ein besseres Image hatten). Das Zugfahren wird propagiert und auch die Radfahrer haben eine – gar nicht so leise – Lobby.

Das simple Zufußgehen stand hingegen recht lang überhaupt nicht im Fokus – und auch wenn die ersten Fußgängerz­onen schon mehr als 40 Jahre alt sind, waren Fußgänger nicht eben die Gruppe im öffentlich­en Raum, der Stadtplane­r und Politiker früher viel Aufmerksam­keit gewidmet haben.

Das hat sich in den vergangene­n Jahren – langsam – geändert. Die Coronazeit hat das Zufußgehen zusätzlich aufgewerte­t: Zum einen haben viele Menschen, mangels anderer FreizeitAl­ternativen im Lockdown, das Spaziereng­ehen für sich entdeckt.

Zum anderen haben sie sich aber auch auf ihren All tagswegen – etwa auch, um öffentlich­e Verkehrsmi­ttel in der Pandemie zu vermeiden – mehr auf ihre Füße verlassen: So ist im ersten Coronajahr 2020 in Wien der Anteil der zu Fuß zurückgele­gten Alltagsweg­e deutlich gegenüber 2019 auf 37 Prozent gestiegen (siehe Grafik unten).

Dieser Anstieg zeigt sich auch bei der Zahl jener Schritte, die die User der „Wien zu Fuß“-App zusammen absolviert haben: Im ersten Halbjahr 2019 waren es 1,13 Milliarden gezählte Schritte, im selben Zeitraum 2020 (in den der erste Lockdown fiel) waren es schon 1,37 Milliarden. Und in den ersten sechs Monaten des heurigen Jahres wurden in der App rund 2,62 Milliarden gezählt – also fast doppelt so viele.

Dass so viele Menschen zu Fuß unterwegs waren, hat aber auch deutlich gemacht, wo die Probleme liegen: Zu schmale (oder gar fehlende) Gehsteige, schwer passierbar­e Kreuzungen, überfüllte Parks, insgesamt also zu wenig – und auch zu wenig attraktive­r – Raum für Fußgänger. „Das haben“, sagt der deutsche Spaziergan­gsforscher Bertram Weisshaar, „jetzt wirklich alle deutlich beobachtet und wahrgenomm­en.“In kleinen Orten wie großen Städten „ist jetzt verstanden worden“, dass sich der öffentlich­e Raum zugunsten der Fußgänger verändern müsse, Frei- und Grünräume im Straßenbil­d geschaffen werden sollten.

Für Weisshaar hat die Coronazeit hier ein Umdenken befeuert, das ihn optimistis­ch stimmt: „Die Städte“, sagt er, „rollen den Fußgängern jetzt den roten Teppich aus.“Dass etwa die Pariser Bürgermeis­terin angekündig­t hat, in den nächsten Jahren die Hälfte aller oberirdisc­hen Pkw-Stellplätz­e zu streichen, damit dort mehr Frei- und Grünraum entsteht, „ist schon eine Ansage. Genau in die Richtung muss es gehen.“

Gegen mehr Zufußgehen ist rein aus gesundheit­lichen Gründen jedenfalls wenig einzuwende­n: Gehen ist gesund, hilft bei Kreislaufe­rkrankunge­n ebenso wie bei psychische­n Problemen und kann auch bei Krebsthera­pien unterstütz­end wirken, so Weisshaar.

Vor allem kann man beim Gehen, anders als bei vielen Sportarten, „nicht viel falsch machen“, sagt der Orthopäde Hans-Jörg Trnka, der das „Fußzentrum Wien“leitet. „Bei dem Tempo, in dem man geht, geht man automatisc­h richtig“– rollt also mit der Ferse ab. And ers als beim Laufen, bei dem man je nach Läufertyp (Vorfußläuf­er, Mittelfußl­äufer etc.) verschiede­ne Dinge beachten, die richtige Lauftechni­k lernen sollte, will man Überlastun­g und Verletzung­en vermeiden, kann das Gehen nur guttun.

Sofern man einige wenige Dinge beachtet: Empfehlens­wert sei ein gutes Paar Sneakers, „in dem man schön abrollen kann“, sagt Orthopäde Trnka. Wichtig sei, dass man vor allem mit der Ferse einen guten Halt hat – und der Schuh gut dämpft. Probleme – etwa Verspannun­gen, Schulter- oder Rückenschm­erzen – können entstehen, wenn man auf seinen Alltagsweg­en zu Fuß zu v iel (falsch) schlepp t. Ideal sei dabei ein Rucksack, sagt Trnka, „da geht man aufrecht und beide Schultern sind gleich belastet“. Schwere Umhänge- und Handtasche­n sollte man nicht auf einer Seite (also einer Schulter), sondern diagonal über den Körper tragen, um eine einseitige Überlastun­g zu vermeiden.

Schritte zählen? Wer s ich dazu entschließ­t, mehr zu Fuß zu gehen, braucht auch – anders als beim Laufen, bei dem sich Anfänger schnell übernehmen – keine negativen Folgen zu fürchten. Zumal wir zumindest kürzere Fußwege durchaus gewöh ntsind.

Anders ist das etwa bei Menschen, die überhaupt nicht zu Fuß unterwegs sind. Trnka behandelt immer wieder diplomatis­che Mitarbeite­r der US-Botschaft oder der UNO, die in ihrer Heimat jeden noch so kurzen Weg mit dem Auto erledigt haben und durch die vermehrten Fußwege in Wien mit Überlastun­gsprobleme­n in seine Ordination

BERTRAm WEISSHAAR

Spaziergan­gsforscher kommen. Das sind freilich plakative Ausnahmen, an sich kann man „beim normalen Zufußgehen kaum zu viel Bewegung machen“. Dass man dabei wirklich die vielfach empfohlene­n 10.000 Schritte pro Tag absolviere­n sollte, sieht Trnka nicht so streng, für ihn ist das „eine willkürlic­h festgelegt­e Richtlinie“. Aber ein Tagesziel – ob nun 5000, 7000 oder 10.000 Schritte – zu haben, sei jedenfalls gut, weil es der Motivation diene.

Gehen lüftet uns aus. Außerdem mache es natürlich einen Unterschie­d, wie viel Bewegung man sonst macht: Für einen Ausdauersp­ortler sind einige Tausend Schritte zu Fuß nicht von großer Bedeutung, für jemanden, der sonst nur vor dem Computer sitzt, die einzige (und daher wichtige) Bewegungsf­orm. Ganz allgemein sollten „wir viel mehr zu Fuß gehen, auch die kurzen Wege“, sagt Trnka. Gehen, etwa nach der Arbeit, „lüftet uns aus, man kommt runter, ist geerdet“.

Und weil das Gehen so automatisc­h, nun, geht, wir uns also nicht darauf konzentrie­ren müssen, „können wir uns beim Gehen entspannen, unseren Gedanken freien Lauf lassen“, sagt Spaziergan­gsforscher Weisshaar. Sicher ,de r hohe Anteil der Fußwege in der Pandemie wird wohl post Corona wieder etwas zurückgehe­n. Weisshaar glaubt aber, dass viele Menschen ihr Mobilitäts­verhalten ändern werden. „Viele haben jetzt wieder – oder überhaupt zum ersten Mal – erlebt, dass Gehen glücklich macht. Wir hören Vögel, die Umwelt, wir haben den Wind im Haar, die Sonne auf der Haut“, sagt Weisshaar. „Das alles ist einfach wichtig für uns, so belanglos es auch scheinen mag.“

Allerdings: Zu Fuß ist man nur dort gern unterwegs, wo es gute Möglichkei­ten dazu gibt. Dabei geht es nicht nur um einen sicheren – also vor dem Autoverkeh­r geschützte­n – Gehweg. Sondern auch um einen attraktive­n: ausreichen­d breite Gehsteige, Straßenbeg­rünung, Sitz- und Aufenthalt­smöglichke­iten. „Die Aufwertung des öffentlich­en Raumes ist das, was das Zufußgehen befördert“, sagt Weisshaar.

Dort, wo all das zumindest in Ansätzen vorhanden ist, und wo auch die öffentlich­e Anbindung gegeben ist (viele Alltagsfuß­wege sind schlicht jene zur nächsten Straßenbah­n), steigt der Anteil der Fußgänger. Überall dort, wo die entspreche­nde Infrastruk­tur fehlt, gehen die Menschen auch weniger zu Fuß.

Das sieht man etwa, wenn man die Wiener Bezirke im Detail betrachtet. So liegt der Anteil der Fußwege in jenen (innerstädt­ischen) Bezirken besonders hoch, die eine entspreche­nde Infrastruk­tur haben und auch öffentlich gut angebunden sind. Wie die heuer erschienen­e Studie „Aktive Mobilität in Wien“zeigt, lag in der Innenstadt, in Neubau (wo seit Jahren massiv verkehrsbe­ruhigt wird) und Mariahilf der Anteil der Fußwege in den Jahren 2015 bis 2019 bei mehr als 35 Prozent. Auch in Währing ist der Anteil ähnlich hoch, hier wurde der Straßenrau­m in den vergangene­n Jahren intensiv begrünt, da sei hochgerech­net „fast ein ganzer Wald gepflanzt worden“, sagt Petra Jens, Fußgänger-Beauftragt­e der Stadt Wien.

Dass so viele Menschen zu Fuß unterwegs waren, hat gezeigt, wo die Probleme liegen.

Auf der ander en Seite stehen die großen Flächenbez­irke wie Liesing oder die Donaustadt, „wo sich das Leben eher um das Auto herum organisier­t“. In beiden Bezirken liegt der Anteil der zu Fuß erledigten Alltagsweg­e unter 20 Prozent. Obwohl es hier viel mehr Grünräume gibt als innerstädt­isch – aber eben weniger begrünte und fußgängerf­reundliche Infrastruk­tur.

Auch Jens sieht, ähnlich wie Spaziergan­gsforscher Weisshaar, dass Zufußgehen als Freizeitbe­schäftigun­g und als Lebensstil bei den Menschen angekommen ist. Und auch bei den Verantwort­lichen – also der Stadt und den Bezirksvor­stehern. „Wir sehen da gerade einen massiven Wandel bei den Entscheidu­ngsträgern“, sagt sie. Natürlich auch im Zuge des Klimaschut­zes, der ein Umdenken in Sachen Mobilität erfordert.

Vor zehn Jahren etwa war das Begrünen „eine ungeliebte Maßnahme“, denn Pflanzen und Erhalt von Bäumen

In Neubau und Mariahilf werden mehr als 35 Prozent der Wege zu Fuß absolviert.

sind teuer. Heute ist mehr Grün bei der Straßenges­taltung „ein Must-have“. Früher hat man den neu gepflanzte­n Bäumen oft eine zu kleine Baumscheib­e zugestande­n, weshalb sie sich oft schlecht entwickelt haben, „heute werden eigene Wasserleit­ungen gelegt, damit der Baum auch unteriridi­sch bewässert werden kann“, sagt Jens. „Das ist Infrastruk­tur, die man sich früher nicht leisten wollte.“

Jens ist seit 2013 als „Beauftragt­e für Fußgängeri­nnen und Fußgänger“für

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Clemens Fabry „Beim Gehen kann man nicht viel falsch machen“, sagt der Wiener Orthopäde Hans-Jörg Trnka.

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