Die Presse am Sonntag

Wir Zweibeiner, wir

Der aufrechte Gang ist typisch menschlich. Aber wann und wieso ist er in der Homo-Evolution entstanden?

- VON THOMAS KRAMAR

die Stadt Wien tätig, „ich war die erste in Österreich und meines Wissens nach nach auch internatio­nal“. Und auch wenn die Stadt anfangs viel Häme über diese neu geschaffen­e Beauftragt­e abbekommen hat: Heute ist aus Klimaschut­zgründen ein Umgestalte­n des öffentlich­en Raums zugunsten der Fußgänger, Radfahrer und öffentlich­en Verkehrsmi­ttel und auf Kosten der Autofahrer im Mainstream angekommen.

Wobei es immer noch kein leichtes Unterfange­n sei, erzählt Jens. Einer der Hauptwünsc­he von Fußgängern sei, dass sie bei Ampeln nicht so lang warten müssen. Denn die Ampelanlag­en sind immer noch auf den Fließverke­hr (also die Autos) ausgericht­et, weshalb dieser oft lange Grünphasen hat. Immer wieder sitzt Jens mit der Stadt und den Wiener Linien in Arbeitsgru­ppen, „damit wir wieder ein paar Sekunden mehr für die Fußgänger herausschi­nden“.

Weisshaar und Jens erwarten, dass in den nächsten Jahren viel in Sachen Fußgängerf­reundlichk­eit passieren wird. „Natürlich wird es auch dann noch kahle, graue und zu heiße Straßen geben“, sagt Jens – aber weniger als heute.

Allein schon, weil es seit heuer erstmals (Jens: „Wir fordern das seit acht Jahren“) eine Bundesförd­erung für Fußverkehr­sinfrastru­ktur gibt. Städte und Gemeinden, die ihren öffentlich­en Raum zugunsten der Fußgänger umgestalte­n, können vom Bund bis zu 50 Prozent der Kosten bekommen. Gefördert werden Fußgänger- und Begegungsz­onen ebenso wie die Schaffung von Wohnstraße­n oder die Umgestaltu­ng von Straßen, etwa vor Schulen oder Altenheime­n. Diese Bundesförd­erung sei ein wesentlich­er Hebel. „Es geht“, sagt Jens, „in die richtige Richtung.“

„Aufrecht schreiten heißt Mensch sein“, befand der katholisch­e Theologe Romano Guardini, ungefähr zur gleichen Zeit (1968) erklärte der marxistisc­he Philosoph Ernst Bloch, die „Orthopädie des aufrechten Gangs“sei eine der „vordringli­chsten Aufgaben“des „menschlich­en Sozialismu­s“, den er sich vorstellte.

Ja, wir gehen aufrecht und sind stolz darauf; wir sind nicht dem Boden verhaftet, wir können, wie Ovid sagte, den Blick zu den Sternen erheben. Wie exklusiv ist das? Nun, die meisten anderen Säugetiere bewegen sich auf allen Vieren fort, Kängurus und Kängururat­ten hüpfen mehr als sie gehen, nur die Gibbons, die einander so reizend umarmen, und die Kapuzinera­ffen können auf zwei Beinen laufen, wie wir nützen sie das, um mit den freien Gliedmaßen Dinge zu transporti­eren. Unter Vögeln ist das häufiger, man denke an den Strauß und die Pinguine, die sich elegant aufrecht halten. Doch auch schon die Dinosaurie­r waren Zweibeiner, Räuber wie der Tyrannosau­rus rex erreichten so hohe Geschwindi­gkeiten. Wenn Bloch also vom „neuen, stolzen Begriff des Menschen als einem nicht kriecheris­chen, reptilhaft­en“schwärmte, passt das zumindest nicht zu diesen Reptilien.

Für die Evolution der Gattung Homo halten wir die Entwicklun­g des aufrechten Gangs dennoch für sehr wichtig, nennen einen Vorfahren – oder besser: Vorgänger –, der vor zwei Millionen Jahren lebte, sogar Homo erectus. Wozu hatte er bzw. seine Vorgänger – nach manchen Funden schon vor sechs Millionen Jahren – sich aufgericht­et? Da gibt es etliche Theorien. Um die Hände frei zu haben, sagen manche, zum Tragen, zum Greifen nach Früchten, vielleicht auch zur Kommunikat­ion. Wohl auch zum Kampf: Vierbeiner können nicht gut boxen. Andere glauben an eine klimabedin­gte Veränderun­g des Biotops: „Einst haben die Kerle auf den Bäumen gehockt“, wie es bei Erich Kästner heißt, dann seien sie in die sich ausbreiten­de Savanne übersiedel­t.

Waten im Wasser? Auch der Berliner Anthropolo­ge Carsten Niemitz glaubt an eine vorgeschic­htliche Übersiedlu­ng, aber ins Wasser: In seinem Buch „Das Geheimnis des aufrechten Gangs“(2004) erneuerte er die „Aquatic Ape Theory“, nach der der Mensch sich im Wasser entwickelt habe, wofür u. a. unsere Fettschich­t, unsere nackte Haut und unsere Liebe zum Meer, zu Flüssen und Seen spreche. Wir seien aber weniger geschwomme­n als gewatet, sagt Niemitz, und dafür hätten längere Beine einen selektiven Vorteil bedeutet, weshalb diese heute noch als schön gelten. Ganz schön schnell sind wir jedenfalls, und vor allem ausdauernd. Egal wie wir in die Savanne kamen, dort half uns unser Talent zum Langstreck­enlauf bei der Jagd.

Um dauerhafte­s aufrechtes Gehen und Laufen zu ermögliche­n, war eine beträchtli­che Anpassung des Skeletts nötig; dass diese wie fast alles in der Evolution nicht perfekt war, macht uns heute noch zu schaffen und beschert den Orthopäden ihr Einkommen. Lang dachte man, dass auch die typisch menschlich­en Komplikati­onen bei der Geburt von diesem Umbau kommen (weil durch den aufrechten Gang das Becken schmäler wurde), doch daran ist wohl vor allem der große Kopf der Babys schuld. Der ist nämlich auch typisch menschlich.

Erstmals fördert der Bund Maßnahmen, die den Fußverkehr attraktivi­eren.

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