Wir Zweibeiner, wir
Der aufrechte Gang ist typisch menschlich. Aber wann und wieso ist er in der Homo-Evolution entstanden?
die Stadt Wien tätig, „ich war die erste in Österreich und meines Wissens nach nach auch international“. Und auch wenn die Stadt anfangs viel Häme über diese neu geschaffene Beauftragte abbekommen hat: Heute ist aus Klimaschutzgründen ein Umgestalten des öffentlichen Raums zugunsten der Fußgänger, Radfahrer und öffentlichen Verkehrsmittel und auf Kosten der Autofahrer im Mainstream angekommen.
Wobei es immer noch kein leichtes Unterfangen sei, erzählt Jens. Einer der Hauptwünsche von Fußgängern sei, dass sie bei Ampeln nicht so lang warten müssen. Denn die Ampelanlagen sind immer noch auf den Fließverkehr (also die Autos) ausgerichtet, weshalb dieser oft lange Grünphasen hat. Immer wieder sitzt Jens mit der Stadt und den Wiener Linien in Arbeitsgruppen, „damit wir wieder ein paar Sekunden mehr für die Fußgänger herausschinden“.
Weisshaar und Jens erwarten, dass in den nächsten Jahren viel in Sachen Fußgängerfreundlichkeit passieren wird. „Natürlich wird es auch dann noch kahle, graue und zu heiße Straßen geben“, sagt Jens – aber weniger als heute.
Allein schon, weil es seit heuer erstmals (Jens: „Wir fordern das seit acht Jahren“) eine Bundesförderung für Fußverkehrsinfrastruktur gibt. Städte und Gemeinden, die ihren öffentlichen Raum zugunsten der Fußgänger umgestalten, können vom Bund bis zu 50 Prozent der Kosten bekommen. Gefördert werden Fußgänger- und Begegungszonen ebenso wie die Schaffung von Wohnstraßen oder die Umgestaltung von Straßen, etwa vor Schulen oder Altenheimen. Diese Bundesförderung sei ein wesentlicher Hebel. „Es geht“, sagt Jens, „in die richtige Richtung.“
„Aufrecht schreiten heißt Mensch sein“, befand der katholische Theologe Romano Guardini, ungefähr zur gleichen Zeit (1968) erklärte der marxistische Philosoph Ernst Bloch, die „Orthopädie des aufrechten Gangs“sei eine der „vordringlichsten Aufgaben“des „menschlichen Sozialismus“, den er sich vorstellte.
Ja, wir gehen aufrecht und sind stolz darauf; wir sind nicht dem Boden verhaftet, wir können, wie Ovid sagte, den Blick zu den Sternen erheben. Wie exklusiv ist das? Nun, die meisten anderen Säugetiere bewegen sich auf allen Vieren fort, Kängurus und Kängururatten hüpfen mehr als sie gehen, nur die Gibbons, die einander so reizend umarmen, und die Kapuzineraffen können auf zwei Beinen laufen, wie wir nützen sie das, um mit den freien Gliedmaßen Dinge zu transportieren. Unter Vögeln ist das häufiger, man denke an den Strauß und die Pinguine, die sich elegant aufrecht halten. Doch auch schon die Dinosaurier waren Zweibeiner, Räuber wie der Tyrannosaurus rex erreichten so hohe Geschwindigkeiten. Wenn Bloch also vom „neuen, stolzen Begriff des Menschen als einem nicht kriecherischen, reptilhaften“schwärmte, passt das zumindest nicht zu diesen Reptilien.
Für die Evolution der Gattung Homo halten wir die Entwicklung des aufrechten Gangs dennoch für sehr wichtig, nennen einen Vorfahren – oder besser: Vorgänger –, der vor zwei Millionen Jahren lebte, sogar Homo erectus. Wozu hatte er bzw. seine Vorgänger – nach manchen Funden schon vor sechs Millionen Jahren – sich aufgerichtet? Da gibt es etliche Theorien. Um die Hände frei zu haben, sagen manche, zum Tragen, zum Greifen nach Früchten, vielleicht auch zur Kommunikation. Wohl auch zum Kampf: Vierbeiner können nicht gut boxen. Andere glauben an eine klimabedingte Veränderung des Biotops: „Einst haben die Kerle auf den Bäumen gehockt“, wie es bei Erich Kästner heißt, dann seien sie in die sich ausbreitende Savanne übersiedelt.
Waten im Wasser? Auch der Berliner Anthropologe Carsten Niemitz glaubt an eine vorgeschichtliche Übersiedlung, aber ins Wasser: In seinem Buch „Das Geheimnis des aufrechten Gangs“(2004) erneuerte er die „Aquatic Ape Theory“, nach der der Mensch sich im Wasser entwickelt habe, wofür u. a. unsere Fettschicht, unsere nackte Haut und unsere Liebe zum Meer, zu Flüssen und Seen spreche. Wir seien aber weniger geschwommen als gewatet, sagt Niemitz, und dafür hätten längere Beine einen selektiven Vorteil bedeutet, weshalb diese heute noch als schön gelten. Ganz schön schnell sind wir jedenfalls, und vor allem ausdauernd. Egal wie wir in die Savanne kamen, dort half uns unser Talent zum Langstreckenlauf bei der Jagd.
Um dauerhaftes aufrechtes Gehen und Laufen zu ermöglichen, war eine beträchtliche Anpassung des Skeletts nötig; dass diese wie fast alles in der Evolution nicht perfekt war, macht uns heute noch zu schaffen und beschert den Orthopäden ihr Einkommen. Lang dachte man, dass auch die typisch menschlichen Komplikationen bei der Geburt von diesem Umbau kommen (weil durch den aufrechten Gang das Becken schmäler wurde), doch daran ist wohl vor allem der große Kopf der Babys schuld. Der ist nämlich auch typisch menschlich.
Erstmals fördert der Bund Maßnahmen, die den Fußverkehr attraktivieren.