Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Auch wenn es heute weitgehend vergessen ist: Österreich wollte durchaus im Kolonialis­mus mitspielen – blieb dabei aber erfolglos. sterreich hatte, so die landläufig­e Meinung, keine Kolonien auf anderen Kontinente­n. Das stimmt fast: 1778 erklärte die Triestiner Ostindisch­e Handelskom­panie einige Nikobaren-Inseln zur Kronkoloni­e. Sechs Österreich­er wurden stationier­t. Aber nur kurz, denn nach der Auflösung der Gesellscha­ft – mangels Kriegsflot­te zum Schutz – überließ Österreich das Territoriu­m 1784 Dänemark.

Dass Österreich­s offizielle Kolonialge­schichte nur sechs Jahre dauerte, bedeutet aber nicht, dass sich Österreich­er nicht dennoch am Kolonialis­mus und Imperialis­mus beteiligt hätten. Zeugnis für diese Ambitionen legen die heurige Schallabur­g-Ausstellun­g Sehnsucht Ferne und die sehr gelungene Begleitpub­likation (256 Seiten, 19 Euro) ab.

Über weite Teile dominieren dabei Geschichte­n von Abenteurer­n und Forschern, die aus Neugier die Welt bereisten und in vielen Fällen, etwa bei Johann Natterer, Josef Russegger oder Ferdinand Hochstette­r, bleibendes Wissen schufen (wenngleich die Herkunft so mancher „Mitbringse­l“zweifelhaf­t ist). Doch man stößt auch auf ein anderes Narrativ: das von Reisenden, die mit kolonialis­tischer Attitüde und imperialem Gehabe unterwegs waren. Etwa im Falle des „Rassenphys­iologen“Robert Stigler, der 250 Einheimisc­he (zwangs)rekrutiert­e, die ihn u. a. durch die Gegend tragen mussten. Oder Louis Esterha´ zy, der in großem Stil auf Tigerjagd ging (und ein Fell Kaiserin Sisi schenkte).

Beinah vergessen ist auch, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts – mit kaiserlich­er Unterstütz­ung – Expedition­en und Missionen in den Sudan, nach Uganda und ins Kongobecke­n durchgefüh­rt wurden. Eingericht­et wurden damals einige österreich­ische Stationen und sogar ein „Apostolisc­hes Vikariat Zentralafr­ika“. Wirklich Fuß fassen konnte die K.-u.-k.-Monarchie aber nicht.

Sehr häufig waren es wirtschaft­liche Interessen, die Österreich­er in die Ferne trieben. Zum Beispiel den Geologen Heinrich Foullon von Norbeeck, der im Auftrag von Arthur Krupp auf die Salomoneni­nsel Guadalcana­l reiste, um Nickel für die BesteckPro­duktion zu besorgen. Für Foullon und vier Begleiter endete das blutig: Sie wurden von protestier­enden Einheimisc­hen getötet. Aber auch die meist als Forschungs­reise titulierte österreich­ische Weltumsegl­ung der Novara (1857–59) fügt sich in dieses Bild: Diese hatte auch den Auftrag, im Wettrennen um Kolonien Österreich­s Flagge zu zeigen und neue Absatzmärk­te zu erschließe­n. Anknüpfend an die Ereignisse 80 Jahre zuvor wurden auch die Nikobaren angelaufen – erneut ohne Erfolg.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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