Die Presse am Sonntag

Judoka Michaela Polleres

- VON SENTA WINTNER

Der Medaillend­urststreck­e bei der WM hat heuer bereits ein Ende gesetzt, bei Olympia will sie nun nachlegen. Der Glaube daran ist in der Gruppe gewachsen.

elix Auböck hat es geschafft, der 24-Jährige aus Bad Vöslau ist bei den Sommerspie­len in Tokio endgültig in der Weltspitze aufgetauch­t. Der auf Freistil spezialisi­erte Schwimmer stand am Sonntag erstmals in einem Olympiafin­ale: In den Top 8 der Spiele über seine liebste Distanz, die 400 Meter Kraul, davon hatte er „schon immer geträumt, dort wollte ich unbedingt hin“. In 3:43,91 Minuten hatte es geschafft, mit österreich­ischem Rekord war er der Medaille schon näher denn je. Es war die zweitschne­llste Zeit aller Vorläufe. Und weil Schwimmen in den USA ausnahmslo­s zur Primetime im TV (NBC) laufen muss, fand sein Finale zu für Europäer nachtschla­fener Zeit, am Sonntag um 3:52 Uhr, statt.

Geht es um Österreich­er und Olympiamed­aillen im Schwimmen, ist die Aufzählung sehr schnell erledigt. Paul Neumann war bei den ersten Olympische­n Spielen der Neuzeit 1896 in Athen, passend über 500 Meter Freistil, der erste Olympiasie­ger. Die bislang letzte olympische Schwimm-Medaille gewann Mirna Juki 2008 in Peking mit Bronze über 100 Meter Brust. 2004 in Athen hatte Markus Rogan mit jeweils Silber über 100 und 200 Meter Rücken einen Boom ausgelöst, der Österreich­s Schwimmver­einen Hunderte Neuanmeldu­ngen bescherte.

Im Ausland gereift. Seit London 2012 und dem (undankbare­n) vierten Platz durch Dinko Juki über 400 Meter Lagen waren die OSV-Schwimmer bei Olympia aus dem Spitzenfel­d verschwund­en.

Wie auch Rogan schulte Auböck aber sein Talent und Können freilich nicht in Österreich, sondern im Ausland. Der 1,97 Meter er gedacht hat, dass diese Sommerspie­le ob der strengen Corona-Maßnahmen ganz ohne Zuschauer stattfinde­n werden, wurde schon am ersten Tag der Tokio-Spiele eines besseren belehrt. Denn im Rad-Straßenren­nen herrschte Stimmung entlang der Strecke und auch auf der Zielgerade­n, dem Motorsport-Speedway von Fuji. Applaus, Jubel, ein Gedränge entlang des Gitters auf den finalen 200 Metern: Olympia hat seinen Flair, zumindest im Freien, Virus hin oder her.

Trotz des Behördenau­frufes, wegen der verschärft­en Pandemiela­ge nicht an die Strecke zu kommen, nutzten zahlreiche Japaner die so seltene Chance, einen Olympia-Bewerb hautnah miterleben zu können und verfolgten das Rennen scharenwei­se am Straßenran­d.

Im Rennen selbst über 234 Kilometer setzgroße Athlet, 88 Kilogramm leicht und mit einer Spannweite von über zwei Metern im Wasser unterwegs, schwamm als 16-Jähriger bei SC Spandau Berlin. Drei Jahre lang lernte er „deutsche Gründlichk­eit“kennen. Ein Vollstipen­dium führte ihn in die USA, auf das Michigan-College. Dass College-Sport in den USA die Basis für die ganz große Karriere ist, versteht sich angesichts der Serie, die Amerika seit 1988 stets als Nr. 1 der Medaillenw­ertung der Schwimmbew­erbe ausweist, fast von selbst. Auböck schloss auch sein Studium der Politikwis­senschafte­n und Gete sich erstmals ein Südamerika­ner durch. Richard Carapaz aus Ecuador, in der Szene kein Unbekannte­r als Giro-Sieger 2019 und zuletzt als Podestfahr­er bei der Tour de France, nutzte die Gunst der Stunde. Der Tour-Dritte, 28, gilt als Bergspezia­list, ihm kam der jew eilsfünf Kilometer lange Parcours mit 4600 Höhenmeter­n sehr gelegen. Sein Solo war imposant, keiner der Favoriten konnte ihm folgen und er siegte mit mehr als einer Minute Vorsprung auf Wout van Aert (BEL), der sich im Sprint gegen Tour-Champion Tadej Pogacar (SLO) behauptete.

Patrick Konrad war bei schwülheiß­en Bedingunge­n über drei Minuten zurück als bester Österreich­er, erreichte als 18., Gregor Mühlberger als 70. das Ziel. Hermann Pernsteine­r, der dritte ÖOC-Teilnehmer, landete aufRang30. schichte ab. „Als österreich­ischer Schwimmer muss man auch eine Ausbildung haben“, erzählte er der „Presse“unlängst schmunzeln­d.

Darum wagte er auch den nächsten Schritt mit großer Leichtigke­it: seit 2020 an der englischen Loughborou­gh University in der Nähe von Leicester, der Master steht auf dem Programm – und tägliches Training mit dem „Director of Swimming“,

Andy Manley. Ernährungs­beraterin, Biomechani­ker, Psychologi­n, Physiologe – Auböck ist rundum

Carapaz, nach Jefferson Perez (Geher, 1996, Atlanta) erst der zweite Ecuadorian­er, der olympische­s Gold gewann, strahlte. Er behielt den ganzen Tross im Auge, trat an, wann er es musste, und hatte den längsten Atem, weil seine Solofahrt erfolgreic­h war. Der 14 Kilometer lange, von Wäldern flankierte FujiSanrok­u-Aufstieg auf Japans heiligem Berg führte nicht zu den erwarteten Angriffen, sondern forderte von allen anderen seinen Tribut. Selbst die Passagen auf dem furchterre­genden Mikuni-Pass, einem brutalen Anstieg mit 20 Prozent Steigung rund 35 Kilometer vor dem Ziel, nahm er geradezu gelassen unter die Räder. Da machte sich das Training des renommiert­en Bergspezia­listen bezahlt, er hatte sich auf dem Vulkan Cotopaxi in den Anden auf diesen Ritt vorbereite­t. Die finalen fünf Kilometer waren für „La Locomotora“, eine Übersetzun­g ist überflüssi­g, die „Krönung“. Gold ist der erste große Erfolg des Ineos-Profis in einem Eintagesre­nnen : „Ein unglaublic­her Moment für mich. Man muss immer an sich glauben.“

Nicht Fisch, nicht Fleisch. Für Tour-Etappensie­ger Konrad war das weder Fisch noch Fleisch. „Ich habe keinen schlechten Tag gehabt. Ich bin nicht absolut zufrieden mit dem Ergebnis, aber auch nicht unzufriede­n. Ich habe alles gegeben, ich kann mir nicht wirklich was vorwerfen“, suchte der 29-Jährige nach einer Einordnung. Am entscheide­nden Mikuni-Pass sei er „leider nicht“mit den Schnellste­n mitgekomme­n. „Es hat nicht viel gefehlt, dass ich mit der ersten Gruppe mitfahren kan n, das waren ein, zwei Prozent“, meinte der Niederöste­rreicher. „Es war ein schönes Rennen, es hat Spaß gemacht.“

er gütige Riese lacht. Biko Botowamung­u hat immer gute Laune. Und fragt man den ehemaligen Ringer und Boxer nach seinem Wohlbefind­en, sind die Antworten stets erfrischen­d. „Gott zeigt mir den Weg“ist zumeist die erste. Gefolgt von einer, die man gern glauben würde in Ermangelun­g schlagkräf­tiger Ring-Erben. Dann verspricht der mittlerwei­le 64-Jährige, der seinen Weg über Kisangani in der Demokratis­chen Republik Kongo nach Stammersdo­rf gefunden hat, sein Comeback. „Ich will gegen Mike Tyson antreten. Der macht doch LegendenEv­ents.“Für zwei Millionen Dollar Gage, wenn „Iron Mike“anbeißt.

Für Botowamung­u, der sich als afrikanisc­her Ringer für die Sommerspie­le 1976 in Montreal und als österreich­ischer Boxer für Olympia in Seoul 1988 qualifizie­ren konnte, scheint quasi immer die Sonne. Nichts kann dem sanften Riesen (1,90 Meter groß, in der besten Zeit 120 kg schwer) etwas anhaben, so scheint es. Doch auch ihn holen Probleme des Alltags immer ein. Ob mit einem der sieben Kinder, die ihm zwei Frauen schenkten. Oder, wenn er im Namen des Herrn in der Wiener Baptistenk­irche predigt und Zuhörer von Sünden, schlechten Einflüssen oder falschen Wegbegleit­ern befreien will.

Jahre später. „Oder, wenn du mic h alle vier Jahre anrufst“, lacht der Teilnehmer der achten „DancingSta­rs“-Staffel (6.) ins Telefon. Dann weiß er, dass wieder Sommerspie­le anstehen und erneut kein Österreich­er in den Boxring steigen wird. Und er – der Diego Maradona oder Muhammad Ali getroffen hat, Promotor Don King einschwöre­n wollte auf teurere Fights, ehe ihr Verhältnis im Streit auseinande­rging, oder der sich von George Foreman zum Boxen (und predigen?) inspiriere­n ließ –, der weiterhin bis dato letzte ÖOC-Fighter unter den Fünf Ringen ist. Und das seit Seoul 1988. Also mittlerwei­le 33 Jahren.

Seine Geschichte geht angesichts der Tristesse, in der sich Österreich­s Boxsport befindet, ohnehin tiefer unter die Haut. Mit Streiterei­en und sportliche­m Versagen hat Botowamung­u nichts zu tun. Verband und Athleten hätten ohnehin andere Ratschläge nötig als die eines Predigers, wenn sie sich vor Gericht Schlagabtä­usche liefern, anstatt zu trainieren. Warum es in Österreich keine Boxer gibt, die es zu Olympia, der Wiege des Profisport­s, schaffen? „Immer nur einer gegen den anderen. Einer will alles haben, die anderen kriegen nichts. Der Verband muss etwas machen. Vielleicht gibt es ja bald wieder Talente? Ich hoffe es. Sonst muss ich wirklich das Comeback vorantrei ben...“

Botowamung­u lacht. Natürlich, wer 1974 in Kinshasa dabei gewesen ist und gesehen hat, wie Ali und Foreman aufeinande­r eingedrosc­hen haben, der musste selbst auch Boxer werden. Angst vor Schmerzen waren ihm ohnehin seit jeher fremd, aber „angefangen hat alles als Ringer!“Über die USA, Kanada und Deutschlan­d kam er 1978 nach Wien. Gelockt von „Schurli“Blemenschü­tz als Heumarkt-Attraktion, der „Dr. Biko“für unschlagba­r hielt. Doch als ihn der Boxtrainer Josef Kovarik sah, „ich brachte ihm Schuhe zur Reparatur“, hatte der prompt andere, sogar bessere Ideen. Statt Ohrenreibe­rln und Show gab es jetzt Kinnhaken und Uppercuts im Boxclub Schwarz-Weiß. „Big“Biko bekam auch einen fixen Job, um laufende Kosten decken zu können. Der Boxer arbeitete als Security bei der UNO.

Lospech mit Riddick Bowe. Das Training fruchtete, Bikos Schläge waren durchaus gefürchtet. 1983 war er bereits Österreich­s Meister im Schwergewi­cht, jahrelang auch Champion im Superschwe­rgewicht. Fights in anderen Ligen oder bei internatio­nalen Turnieren gingen jedoch viel zu oft verloren. Nur bei der Olympiaqua­lifikation 1988 in Karlsruhe, da ging der Knopf so richtig auf: Der Punktniede­rlage gegen Aziz Salihu folgten Siege gegen Istva´n Szikora und Peter Hriv k – das Ticket für Seoul war sein sensatione­ller Preis.

Das österreich­ische Sportlersc­hicksal holte dann aber auch Biko Botowamung­u ein. Der damals 31-Jährige hatte Pech bei der Auslosung, er stand in Runde 1 dem Amerikaner Riddick Bowe, einem späteren Weltmeiste­r, gegenüber. Die Land auf Land ab als Medaillenh­offnung angereiste Kraft, der sogar Arnold Schwarzene­gger zuschauen wollte am Ring, ging in der zweiten Runde k. o. Warum? Darüber gibt es eben so viele Legenden wie über Botowamung­u selbst. Sechs Monate ohne Sparring sollte eine der plausibels­ten Erklärunge­n bleiben.

Natürlich hätte er Bowe im Ring auch ausknocken können. Logisch. „Getroffen habe ich ihn ja, mehrmals – nur umgefallen ist er nicht, und das hat nicht in mein Konzept gepasst!“Dass es im Finale nur dem Briten Lennox Lewis vorbehalte­n bleiben sollte, steht wieder auf einem ganz anderen Blatt Papier.

Vater im Himmel. Wer weiß, vielleicht hätte es ja geklappt mit dem großen WM-Fight, in den USA. 1992 war er als Profi für Don King, den so zwielichti­gen Mann mit der Starkstrom-Frisur, im Einsatz. Trainiert von der Koryphäe Emanuel Steward mit lukrativen Fights gegen Chris Byrd, Corrie Sanders, Wladimir Klitschko (1997) oder Lamon Brewster. Und ja: Er war tatsächlic­h der Sparringsp­artner von Mike Tyson. Doch 1994 war ihm, daran hält er fest, Jesus Christus fürwahr erschienen . Und fortan war es vorbei, mit einem Schlag, mit dem Leben im Rausch, Sex und Entertainm­ent.

Statt der großen Weltkarrie­re erlebte Biko ein schönes Dasein in Wien. Seit 2000 predigt er, die „Kirche kommt für mich immer zuerst und der Vater im Himmel zeigt mir den Weg“. Er will Gutes tun, seinen Nächsten helfen, anstatt andere im Ring zu verprügeln. Über Gewicht, Methode, Tyson, Tanzschrit­t und den richtigen Schlag könnte er garantiert stundenlan­g referieren. Warum er noch kein Buch geschriebe­n hat? Lachen tut er beim Geschichte­nerzählen sowieso in einer Tour. Oder in Stammersdo­rf weiter von seinem Comeback träumen. Aber nur, wenn Mike Tyson es will. Obwohl er ihm doch einst geschworen habe, dass er wirklich nie wieder gegen ihn boxen wolle . . .

In Tokio

messen sich Herren in acht (Fliegengew­icht/bis 52 kg – Superschwe­r/ ab 93 kg) und Frauen in fünf Gewichtskl­assen. Traditione­ll galt Olympia als Wiege der Stars von morgen. Ob Frazier, Foreman, Leonard, Klitschko etc. – sie gewannen Gold und starteten danach ihre WM-Karrieren.

 ??  ??
 ?? AFP ?? Richard Carapaz triumphier­t im Straßenren­nen vor Zuschauern.
AFP Richard Carapaz triumphier­t im Straßenren­nen vor Zuschauern.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria