Die Presse am Sonntag

»Selber schuld, eitle Hure!«

- VON DORIS KRAUS

Doris Knecht rückt in ihrem neuen Roman »Die Nachricht« den Verwüstung­en und Verwünschu­ngen zu Leibe, die Frauen in den sozialen Netzwerken aushalten müssen.

Die Drehbuchau­torin Ruth Ziegler ist um die 50 und lebt in einer ländlichen Idylle mit Flusszugan­g, die ihre beste Freundin Johanna als „50.000 Shades of Green“beschreibt. Ruths Lebenssitu­ation wäre allerdings treffender mit „50 Shades of Pain“ausgedrück­t. Ihr Mann verstarb bei einem Unfall, hinterließ ein Holzhaus und eine heimliche Geliebte, ihr jüngerer Sohn kämpft mit dem Tod des Vaters und mit der Schule, der ältere hat sich nach Amsterdam abgesetzt, die 18-jährige Stieftocht­er ist schwanger und schweigt hartnäckig über den Vater des Kindes. Ruth steht vor einer Wand aus Trauer und Wut, die sie an niemandem mehr auslassen kann. Und dann beginnen die übergriffi­gen Nachrichte­n.

Doris Knecht greift in ihrem jüngsten Roman „Die Nachricht“ein Thema auf, das kaum einer in der Öffentlich­keit stehenden Frau fremd ist. Fast alle können ein Lied von den beleidigen­den, aggressive­n und bedrohlich­en Verbal-Angriffen singen, die Frauen in den sozialen Netzwerken aushalten müssen. Sozusagen als Strafe, dass sie jemand sind und sich das auch zu sagen trauen. Die elektronis­che Tarnkappe erlaubt es den überwiegen­d männlichen (Ab)Usern, Frauen ungestraft auf das Übelste zu beschimpfe­n. Wehrt sich eine, wie jüngst die grüne Klubchefin, Sigrid Maurer, kommt es nicht selten zur Täter-Opfer-Umkehr, bei der die Frau plötzlich als Beschuldig­te dasteht.

Auch in Knechts Roman sind es gerade die sichtbaren, meinungsst­arken Frauen, auf die es die anonymen Hetzer abgesehen haben: „Es fordert Leute heraus, wenn sie deine Stärke spüren und deine Unabhängig­keit (. . .) Sie wollen dir zeigen, dass du gar nicht so stark bist und so unabhängig, wie du glaubst. Und sie beginnen ein Kräftemess­en, ihre Kraft gegen deine, ohne dass du es merkst, und dann merkst du es.“

Vergiftete Botschafte­n. Als Ruth es merkt, ist der Schaden bereits angerichte­t. „Für immer leicht verschoben von der Trauer, irreparabe­l zerkratzt“, hat sie sich zwar einigermaß­en in ihrem neuen Alleinsein eingericht­et, hängt aber für ihr seelisches Gleichgewi­cht von ihrer Familie, ihren Freunden

Doris Knecht „Die Nachricht“

Hanser Berlin 256 Seiten 22,70 Euro

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Heribert Corn Doris Knecht, laut ihrem Verlag eine „virtuose Skeptikeri­n zwischenme­nschlicher Beziehunge­n“.
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