Die Kehrseite des Dopamin
Soziale Medien, Online-Shopping oder Fast Food: Die moderne Welt hat uns Möglichkeiten geschaffen, bei denen Dopamin ausgeschüttet wird. Was als »Glückshormon« bekannt ist, kann aber auch zu viel werden.
Was treibt uns an? Während diese Frage gerne zum Schwadronieren einlädt oder das Gedankenkarussell in Gang setzt, könnte die Antwort auch kurz und knapp ausfallen: Dopamin. Dopamin wird als Glückshormon bezeichnet und spielt eine zentrale Rolle im Belohnungszentrum des Gehirns. „Dopamin ist immer involviert, wenn es um menschliches Verhalten geht, um Leistungsfähigkeit, um externe Motivation oder um Antrieb“, erklärt Mentaltrainer Philipp Archan, der seit Kurzem auch Dopaminfasten anbietet. Was direkt die nächste Frage aufwirft: Warum sollte man auf das Glückshormon verzichten?
Um sie zu beantworten, muss man zunächst verstehen, dass Dopamin evolutionär betrachtet durchaus etwas Positives ist. „Die Aufgabe dieses Botenstoffs war und ist es, uns für lebensbejahende Unternehmungen zu belohnen“, erklärt Archan. Ein neuer Unterschlupf, eine erfolgreiche Jagd, die eigene Fortpflanzung. All das hatte eine entsprechende Dopaminausschüttung zur Folge. „Man kann Dopamin vereinfacht als das Molekül des Fortschritts bezeichnen.“Auch bei Neuheit und intensiver Stimulation kommt es zum Einsatz, weshalb aber heutzutage die Gefahr besteht, unser Dopaminsystem durch unnatürlich hohe Ausschüttungen aus dem Gleichgewicht zu bringen. Zudem birgt es das Potenzial, in uns das Verlangen nach mehr hervorzurufen. Was den Neurotransmitter mitunter zum treibenden Akteur beim Konsum von Suchtmitteln wie Alkohol, Tabak oder Koffein, aber auch von sozialen Medien macht.
Dopaminschub, jederzeit. Es sind Beispiele, die ein Problem der modernen Zeit aufzeigen. Das neue Kleidungsstück im Online-Shop, der gestreamte Film, das Foto auf Instagram, das besonders viele „Gefällt mir“einholen soll. Apps und soziale Medien zielen klarerweise darauf ab, ihre Nutzer zu halten: Indem sie ihnen besonders viel Freude beim Verweilen ebendort bereiten und in ihrem Gehirn damit Dopamin freisetzen. „Ich habe heute immer meinen Dopaminschub bei mir, kann ihn mir holen, wann immer ich will“, meint der Psycho- und Traumatherapeut Christoph Göttl. „Früher musste ich ihn mir erst verdienen.“Er holt aus: „Nehmen wir das Beispiel der Bärenjagd. Sie war in der Steinzeit hochgefährlich, gleichzeitig hat sie bei erfolgreichem Ausgang den ganzen Stamm für Wochen mit Essen versorgt.“Er betont: „Das Hormon befähigte uns ursprünglich dazu, gefährliche oder besondere Dinge zu tun, die wir sonst niemals schaffen würden.“Für den Kinder- und Jugendpsychiater aber ebenfalls entscheidend: der prosoziale Charakter: „Man muss nur daran denken, wie belohnend die Jagd war, in jeder Gesellschaft.“
Nun ist es aber so, dass diese Jagd heute mit einem einfachen Gang zum Kühlschrank erledigt werden kann. Mit dem Griff in die Süßigkeitenlade, dem Besuch im Restaurant um die Ecke. Der Held auf der Jagd schießt heute nicht mit Pfeil und Bogen auf Großwild, sondern in World of Warcraft oder in Call of Duty mit dem Zeigefinger auf der Maus. Der Gefahr begegnen wir durch Bungee-Jumping oder durch einen Ausflug auf dem Motorrad. Soziale Anerkennung finden wir in Form von „Followern“. So ist Dopamin heutzutage viel schneller verfügbar. Dennoch, so Göttl, dürfte man Handy oder Laptop grundsätzlich nicht verteufeln. Schließlich könnte man sich auch darüber sozial engagieren. „Es sind nicht die bösen Techniken oder die bösen Drogen. Es sind die Menschen, die etwas damit machen.“
Beim Dopaminfasten-Kurs von Philipp Archan geht es darum, die verschiedenen Dopaminquellen zu verstehen und bewusst zu wählen. Ziel sei nicht, sich jeglicher Freude zu entziehen, wie es der Begriff des „Fastens“nahelegt. Oder wie es die Extremform der Methode vermitteln dürfte. Verfechter dieser verzichten dabei für eine bestimmte Zeit auf jegliche externen Stimuli, die das Gehirn mit Belohnung verbinden könnte, vermeiden also die Reize des Alltags. Kein Handy, kein Fast Food, keine Musik, kein Sex. Dadurch soll der Dopaminspiegel heruntergefahren werden, der Praktizierende wieder aufnahmefähiger und bei klarem Verstand sein, so die Annahme.
»Die Reizüberflutung überrennt auch die kleinen Freuden des Lebens.«
Natürliche Quellen. „Man muss natürlich nicht für immer auf all diese Dinge verzichten“, betont Archan. Ihm gehe es vielmehr darum, zwischen „destruktiven“und „konstruktiven“Quellen des Neurotransmitters zu unterscheiden. Zweitere nennt er die gesunden oder natürlichen Dopaminquellen. Zum Vergleich: Auf einer Plattformen wie Instagram sei „der schnelle Dopaminkick“bald erreicht. „Wir springen dort von den Niagarafällen auf den Grand Canyon. Das Hirn kann nicht mehr zwischen dem echten Erlebnis und jenem am Handy unterscheiden und registriert das als eigenen Erfolg. Natürlich geht man dorthin, wo man wieder schnell im Glückszustand ist.“Die Wirkung sei aber nur von kurzer Dauer, und irgendwann verliere auch sie ihren Reiz. Die Jagd nach Dopamin mache es uns schwierig, Freude an im Vergleich langweilig erscheinenden Tätigkeiten zu finden.
Seinen Kunden hilft Archan dabei, ihre eigenen „konstruktiven Quellen“zu analysieren. „Tatsächlich erfüllende Projekte brauchen oft Beständigkeit, sind nicht wahnsinnig stimulierend.“Ob es der Spaziergang in der Natur, die Arbeit im Garten oder die Zeit mit dem Partner ist. Ziel sei nicht, nie mehr im Internet zu surfen oder die sozialen Medien zu nutzen. Sondern dies bewusst zu tun und zu verstehen, dass man nicht alles davon in großen Mengen braucht, um sein Grundbedürfnis zu stillen. „Paradoxerweise“, schließt Archan ab, „führt weniger intensive Stimulation dazu, dass man das ganze Leben wieder intensiver wahrnimmt.“