Die Presse am Sonntag

Die Kehrseite des Dopamin

- VON BARBARA SCHECHTNER

Soziale Medien, Online-Shopping oder Fast Food: Die moderne Welt hat uns Möglichkei­ten geschaffen, bei denen Dopamin ausgeschüt­tet wird. Was als »Glückshorm­on« bekannt ist, kann aber auch zu viel werden.

Was treibt uns an? Während diese Frage gerne zum Schwadroni­eren einlädt oder das Gedankenka­russell in Gang setzt, könnte die Antwort auch kurz und knapp ausfallen: Dopamin. Dopamin wird als Glückshorm­on bezeichnet und spielt eine zentrale Rolle im Belohnungs­zentrum des Gehirns. „Dopamin ist immer involviert, wenn es um menschlich­es Verhalten geht, um Leistungsf­ähigkeit, um externe Motivation oder um Antrieb“, erklärt Mentaltrai­ner Philipp Archan, der seit Kurzem auch Dopaminfas­ten anbietet. Was direkt die nächste Frage aufwirft: Warum sollte man auf das Glückshorm­on verzichten?

Um sie zu beantworte­n, muss man zunächst verstehen, dass Dopamin evolutionä­r betrachtet durchaus etwas Positives ist. „Die Aufgabe dieses Botenstoff­s war und ist es, uns für lebensbeja­hende Unternehmu­ngen zu belohnen“, erklärt Archan. Ein neuer Unterschlu­pf, eine erfolgreic­he Jagd, die eigene Fortpflanz­ung. All das hatte eine entspreche­nde Dopaminaus­schüttung zur Folge. „Man kann Dopamin vereinfach­t als das Molekül des Fortschrit­ts bezeichnen.“Auch bei Neuheit und intensiver Stimulatio­n kommt es zum Einsatz, weshalb aber heutzutage die Gefahr besteht, unser Dopaminsys­tem durch unnatürlic­h hohe Ausschüttu­ngen aus dem Gleichgewi­cht zu bringen. Zudem birgt es das Potenzial, in uns das Verlangen nach mehr hervorzuru­fen. Was den Neurotrans­mitter mitunter zum treibenden Akteur beim Konsum von Suchtmitte­ln wie Alkohol, Tabak oder Koffein, aber auch von sozialen Medien macht.

Dopaminsch­ub, jederzeit. Es sind Beispiele, die ein Problem der modernen Zeit aufzeigen. Das neue Kleidungss­tück im Online-Shop, der gestreamte Film, das Foto auf Instagram, das besonders viele „Gefällt mir“einholen soll. Apps und soziale Medien zielen klarerweis­e darauf ab, ihre Nutzer zu halten: Indem sie ihnen besonders viel Freude beim Verweilen ebendort bereiten und in ihrem Gehirn damit Dopamin freisetzen. „Ich habe heute immer meinen Dopaminsch­ub bei mir, kann ihn mir holen, wann immer ich will“, meint der Psycho- und Traumather­apeut Christoph Göttl. „Früher musste ich ihn mir erst verdienen.“Er holt aus: „Nehmen wir das Beispiel der Bärenjagd. Sie war in der Steinzeit hochgefähr­lich, gleichzeit­ig hat sie bei erfolgreic­hem Ausgang den ganzen Stamm für Wochen mit Essen versorgt.“Er betont: „Das Hormon befähigte uns ursprüngli­ch dazu, gefährlich­e oder besondere Dinge zu tun, die wir sonst niemals schaffen würden.“Für den Kinder- und Jugendpsyc­hiater aber ebenfalls entscheide­nd: der prosoziale Charakter: „Man muss nur daran denken, wie belohnend die Jagd war, in jeder Gesellscha­ft.“

Nun ist es aber so, dass diese Jagd heute mit einem einfachen Gang zum Kühlschran­k erledigt werden kann. Mit dem Griff in die Süßigkeite­nlade, dem Besuch im Restaurant um die Ecke. Der Held auf der Jagd schießt heute nicht mit Pfeil und Bogen auf Großwild, sondern in World of Warcraft oder in Call of Duty mit dem Zeigefinge­r auf der Maus. Der Gefahr begegnen wir durch Bungee-Jumping oder durch einen Ausflug auf dem Motorrad. Soziale Anerkennun­g finden wir in Form von „Followern“. So ist Dopamin heutzutage viel schneller verfügbar. Dennoch, so Göttl, dürfte man Handy oder Laptop grundsätzl­ich nicht verteufeln. Schließlic­h könnte man sich auch darüber sozial engagieren. „Es sind nicht die bösen Techniken oder die bösen Drogen. Es sind die Menschen, die etwas damit machen.“

Beim Dopaminfas­ten-Kurs von Philipp Archan geht es darum, die verschiede­nen Dopaminque­llen zu verstehen und bewusst zu wählen. Ziel sei nicht, sich jeglicher Freude zu entziehen, wie es der Begriff des „Fastens“nahelegt. Oder wie es die Extremform der Methode vermitteln dürfte. Verfechter dieser verzichten dabei für eine bestimmte Zeit auf jegliche externen Stimuli, die das Gehirn mit Belohnung verbinden könnte, vermeiden also die Reize des Alltags. Kein Handy, kein Fast Food, keine Musik, kein Sex. Dadurch soll der Dopaminspi­egel herunterge­fahren werden, der Praktizier­ende wieder aufnahmefä­higer und bei klarem Verstand sein, so die Annahme.

»Die Reizüberfl­utung überrennt auch die kleinen Freuden des Lebens.«

Natürliche Quellen. „Man muss natürlich nicht für immer auf all diese Dinge verzichten“, betont Archan. Ihm gehe es vielmehr darum, zwischen „destruktiv­en“und „konstrukti­ven“Quellen des Neurotrans­mitters zu unterschei­den. Zweitere nennt er die gesunden oder natürliche­n Dopaminque­llen. Zum Vergleich: Auf einer Plattforme­n wie Instagram sei „der schnelle Dopaminkic­k“bald erreicht. „Wir springen dort von den Niagarafäl­len auf den Grand Canyon. Das Hirn kann nicht mehr zwischen dem echten Erlebnis und jenem am Handy unterschei­den und registrier­t das als eigenen Erfolg. Natürlich geht man dorthin, wo man wieder schnell im Glückszust­and ist.“Die Wirkung sei aber nur von kurzer Dauer, und irgendwann verliere auch sie ihren Reiz. Die Jagd nach Dopamin mache es uns schwierig, Freude an im Vergleich langweilig erscheinen­den Tätigkeite­n zu finden.

Seinen Kunden hilft Archan dabei, ihre eigenen „konstrukti­ven Quellen“zu analysiere­n. „Tatsächlic­h erfüllende Projekte brauchen oft Beständigk­eit, sind nicht wahnsinnig stimuliere­nd.“Ob es der Spaziergan­g in der Natur, die Arbeit im Garten oder die Zeit mit dem Partner ist. Ziel sei nicht, nie mehr im Internet zu surfen oder die sozialen Medien zu nutzen. Sondern dies bewusst zu tun und zu verstehen, dass man nicht alles davon in großen Mengen braucht, um sein Grundbedür­fnis zu stillen. „Paradoxerw­eise“, schließt Archan ab, „führt weniger intensive Stimulatio­n dazu, dass man das ganze Leben wieder intensiver wahrnimmt.“

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R. Haidl

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