Die Presse am Sonntag

Stille Vorbilder braucht die Welt

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In der lauten Öffentlich­keit zu bestehen ist nicht leicht, vor allem dann nicht, wenn man sie nicht hören kann. Einige dennoch für ein Leben im Rampenlich­t entschiede­n – auch, um anderen Mut zu machen.

Gute Vorbilder sind wichtig, wir brauchen sie. Ihr Muster kann uns inspiriere­n, das eigene Potenzial auszuschöp­fen, es kann helfen, weiterzuma­chen, wenn es im Leben schwierig wird. Für Menschen, die Minderheit­en angehören, die härter kämpfen müssen, um gesehen zu werden, haben Vorbilder eine besondere Bedeutung. Für die Gemeinscha­ft der Gehörlosen ist die Auswahl tendenziel­l begrenzt.

Einige gibt es. Allen voran zu nennen ist hierzuland­e wohl Helene Jarmer. Die heutige Präsidenti­n des Österreich­ischen Gehörlosen­bunds wurde 2009 als erste gehörlose Abgeordnet­e im deutschspr­achigen Raum von den Grünen zur Behinderte­nsprecheri­n gewählt. Jarmer wurde als Tochter gehörloser Eltern in Wien geboren, verlor selbst im Alter von zwei Jahren bei einem Unfall das Gehör. Trotz vieler Hürden schaffte sie die Matura, studierte und unterricht­ete an einer Universitä­t. Erste politische Schritte machte die knapp 50-Jährige beim Liberalen Forum, wechselte dann aber zu den Grünen. Sie kämpft ihr Leben lang schon für mehr Chancengle­ichheit und die Verbesseru­ng der Bildungsch­ancen für Gehörlose und Schwerhöri­ge.

Für die österreich­ische Theatersze­ne ist Horst Dittrich als gehörloser Schauspiel­er zu nennen. Sein Engagement gilt in erster Linie dem Gehörlosen­theater. 1993 entstand auf seine Mitinitiat­ive die Idee, Theater mit gehörlosen, hörbehinde­rten und hörenden Schauspiel­ern zu spielen. Er begründete die Arbos, die Gesellscha­ft für Musik und Theater, und übersetzt literarisc­he Werke in die Österreich­ische Gebärdensp­rache.

Gehörlose Prominenz. Auch im Sport gibt es ein paar wenige Vorbilder. 2019 gewann der südkoreani­sche Tennisprof­i Lee Duck-hee als erster Gehörloser eine Partie auf der ATP-Tour. Nachdem er den Einzug ins Achtelfina­le verloren hatte, verabschie­dete er sich mit der Sympathie des Publikums und einer Botschaft an alle Gehörlosen und Schwerhöri­gen: „Lasst euch nicht entmutigen. Wenn ihr hart arbeitet, könnt ihr alles schaffen.“

Hart gearbeitet wird auch in Filmund Fotostudio­s, meist aber ohne Handicap. Der studierte, gehörlose Mathematik­er Nyle DiMarco wechselte dennoch erfolgreic­h in das Fach der Schauspiel­erei und arbeitet als gefragtes Männermode­l. Mithilfe seiner gewonnenen Prominenz unterstütz­t er die Amerikanis­che Vereinigun­g der Gebärdensp­rache.

Ein interessan­tes Projekt läuft derzeit auch auf der Streamingp­lattform Netflix an. DiMarco hat die Coming-ofAge-Dokumentat­ion „Audible“produziert. Der 40-Minüter begleitet den gehörlosen Footballsp­ieler Amaree McKenstry und seine Teamkolleg­en durch ihr letztes Jahr an der Highschool.

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