Der Verführer hat die Festspiele
Mozarts »Don Giovanni« gilt nicht nur die erste Premiere im Sommer 2021. Er war Salzburgs erste Festspieloper überhaupt.
Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal hatten mit ihrem „Jedermann“Coup auf dem Domplatz den Vortritt: Das spektakuläre – und wie sich zeigen sollte dauerhafte – Spiel „vom Sterben des reichen Mannes“markierte 1920 den Beginn der 100-jährigen Festspielgeschichte. Erst 1922 spielte man in Salzburg zur Sommerszeit auch Oper. Und damit kam der dritte im Bunde der berühmten Festspielväter ins Spiel: Der Komponist und Dirigent Richard Strauss war auch Direktor der Wiener Staatsoper. Und er brachte aus seinem Haus das Sängerensemble und die Dekorationen für die ersten Festspielopern ins Landes- (damals: Stadt-)Theater.
Die erste Premiere galt dem „Don Giovanni“, der traditionsgemäß noch „Don Juan“hieß und auf Deutsch gesungen wurde. Alfred Jerger und Hans Duhan, zwei Publikumslieblinge, die im Charakter unterschiedlicher nicht hätten sein können, alternierten in der Titelpartie. Seit damals ziehen sich Produktionen dieser Oper durch die Festspielgeschichte. Und nahezu alle bedeutenden Dirigenten der Festspiele – ausgenommen lediglich Arturo Toscanini – haben dieses Werk hier einstudiert.
Und es ist nicht übertrieben, wenn man gerade auf den „Don Giovanni“die Aussage des amtierenden Wiener Opernchefs, Bogdan Rosˇcˇic´, münzt, derzufolge „mehr Staatsoper in den Salzburger Festspielen steckt, als man im Allgemeinen annimmt“. Auch in den auf die Richard-StraussPremiere folgenden Jahren und Jahrzehnten stützten sich die Festspielaufführungen des Werks auf das Ensemble und die Inszenierungen des Wiener Hauses.
Politische Verwerfungen. An der Entwicklung dieser in Salzburg keineswegs heiß geliebten Beziehung lassen sich in der historischen Folge auch die politischen Verwerfungen der Zwischenkriegszeit studieren. Man durfte davon ausgehen, dass in Salzburg dank besserer Probenbedingungen und der Freiheit von den Zwängen des Repertoirebetriebs die Wiener Oper – mit den Philharmonikern als sozusagen selbstverständlichem Festspielorchester im Graben – demonstrieren konnte, was sie unter optimalen Voraussetzungen zu leisten imstande war.
Dieser Ehrgeiz erreichte in den Jahren um 1930 einen Höhepunkt, als der damalige Staatsoperndirektor Clemens Krauss, der nominell nach längerer Salzburg-Pause erst während der Herrschaft des Nationalsozialismus zum Festspielleiter avancierte, sozusagen kraft seines Wiener Amtes zum Spiritus Rector der sommerlichen Opern-Stagione wurde.
Als Wiener Opern-Stagione durfte man das musikalische Programm der Festspiele damals wirklich bezeichnen, hatte doch Festspielgründer Richard Strauss seinem Dirigenten-Adlatus Krauss alle Wege geebnet. Der für die damalige Zeit ungeheuer moderne Ansatz des Opernchefs Krauss lautete: Nach minutiösen Einstudierungen szenisch wie musikalisch ausgefeilter Produktionen sollte im Laufe der Zeit die Besetzung nach Möglichkeit nicht wechseln.
Ein Festspielprinzip also, das Salzburg ab 1929 die vollständige Landnahme des Wiener Leitungsteams bescherte: Krauss und sein
Oberspielleiter Lothar Wallerstein beherrschten das Operngeschehen im Festspielbezirk: 1931 etwa zeichneten sie für „Die Frau ohne Schatten“, den „Rosenkavalier“, „Figaros Hochzeit“und „Cos`ı fan tutte“verantwortlich. Und „Don Giovanni“? Der wurde ebenfalls von Wallerstein inszeniert, aber von Bruno Walter dirigiert.
Die Festspiele haben stets demonstriert, was Wiens Oper im Idealfall zu leisten vermag.
Diese Einstudierung war bald legendär. Walters hoch emotionales Dirigat der Oper inspirierte den französischen Literaten und Freudianer Pierre Jean Jouve zu einer psychologisierend-feuilletonistischen „Inhaltsangabe“der Oper, die wiederum dem „Don Giovanni“-Regisseur des Jubiläumsjahres 2021 rechtzeitig in die Hände fiel: Romeo Castellucci bezeichnete dieses Buch als wichtige Inspirationsquelle für seine Inszenierung – womit Bruno Walters Geist nach 90 Jahren in den Festspielbezirk zurückbeschworen wird.
Ein Blick auf die Besetzungslisten der Wiederaufnahmen des „Don Giovanni“in den Festspieljahren 1938 und 1939 verraten die sich anbahnenden Katastrophen der Zeitgeschichte: Ezio Pinza, der das Publikum unter Bruno Walter so beeindruckt hatte, blieb der Titelheld, doch der Dirigent war längst im Exil.
Don Juan für alle Systeme. Das Schicksal wollte es, dass einer der wichtigsten Festspiel-Dirigenten der Nachkriegs-Ära, Karl Böhm, dessen Karriere Walter einst gefördert hatte, die Leitung übernahm und ausgerechnet damit sein Salzburg-Debüt feierte. Im Jahr darauf dirigierte Clemens Krauss selbst die Aufführung, nach wie vor mit Pinza als Don Juan.
Hörtipp: „Presse“-Podcast: Anna-Maria Wallner im Gespräch mit Wilhelm Sinkovicz über Festspiele in Zeiten der Pandemie und große MozartInterpretationen. DiePresse.com/ Podcast