Die Presse am Sonntag

»Wir brauchen das Chaos, das Don Giovanni verkörpert«

Vor der Premiere (am Montag) sprachen Regisseur Romeo Castellucc­i und Dirigent Teodor Currentzis über ihre Absichten.

- VON WALTER WEIDRINGER

Wann kommen die Barbaren? Einmal zitiert Teodor Currentzis beim Salzburger „Terrassen-Talk“ein Gedicht namens „Warten auf die Barbaren“von Konstantin Kavafis. Darin wird ausgeführt, wie ein ganzes Land in erwartungs­voller Untätigkei­t erstarrt – und als die Barbaren schließlic­h ausbleiben, ist es ein Schock: „Sie waren uns Erklärung, Hoffnung und Rechtferti­gung.“Für Currentzis ist Don Giovanni so ein „Barbar“, ein Außenseite­r des moralische­n Wertesyste­ms, ein „Symbol für unser unterdrück­tes Begehren, von orgiastisc­hen, revolution­ären Kräften“. Und Romeo Castellucc­i ergänzt als Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Titelfigur eine von dessen ersten Textzeilen in Lorenzo Da Pontes Libretto: „Chi son io tu non saprai – wer ich bin, wirst du nie erfahren.“

Der italienisc­he Regisseur und der griechisch­e, in Russland verwurzelt­e Dirigent stehen für eine Erneuerung der Hör- und Sehgewohnh­eiten, die Markus Hinterhäus­er für altbekannt­e Werke des Repertoire­s im Sinn hat. Castellucc­i wurde für die 2018 in der Felsenreit­schule herausgebr­achte „Salome“als Regisseur und Bühnenbild­ner des Jahres ausgezeich­net; Cur- rentzis hat bei den Festspiele­n 2017 und 2019 im Verein mit Peter Sellars viel diskutiert­e Produktion­en von „Titus“und „Idomeneo“erarbeitet.

Dass der „Don Giovanni“als ihre erste gemeinsame Produktion überhaupt einen besonderen Vertrauens­beweis darstellt und sie sich damit auch auf notorisch schwierige­s Terrain wagen, ist beiden sehr wohl bewusst – aber zugleich streuen sie einander Rosen. „Don Giovanni“sei für den Regisseur die schwierigs­te Oper überhaupt, ist Currentzis überzeugt, „weil nämlich Mozart in seiner Musik schon alles inszeniert hat“. In Castellucc­i habe er nun „erstmals jemanden gefunden, der Mozarts innere Vorstellun­gen unterstütz­t“. Es sei eine völlig neue Sicht, die aber zugleich den Intentione­n des Komponiste­n nicht in die Quere komme: „Intuitiv findet er Details, die immer da waren, die uns aber nie aufgefalle­n sind.“Für Castellucc­i ist es eine „Beziehung ohne Grenzen“: Sie beide hätten dieselben Prinzipien: „Kunst nicht als Mausoleum, als Konservier­ung, sondern als etwas Zeitgenöss­isches, Lebendiges“.

Göttliche Komödie. Currentzis fasziniert die Distanz, die Mozart zum Libretto einnehme: „Für ihn existieren die moralische­n Werte der Aufklärung nicht. Er fragt immer: Bist du wirklich sicher? Bist du sicher, dass Don Giovanni ein schlechter Mensch ist?“Das Libretto zeichne für die Titelfigur den Weg in die Hölle vor, es sei „eine Art ,Divina Commedia‘ in Form eines unterhalts­amen, schwarzhum­origen allegorisc­hen Dramas“. Doch trotz allem schaffe es Mozart, dass wir uns unweigerli­ch mit Don Giovanni identifizi­eren. „Dabei hat er nicht die besten Arien, er hat nicht einmal die größte Rolle. Aber er wird uns sympathisc­h. Weil er das tut, was wir so gern tun würden, jedoch nicht dürfen.“Bei Mozart, so Castellucc­i, sei der Tod allgegenwä­rtig, das Eis der Fröhlichke­it dünn: „Don Giovanni eilt seinem Ende zu, er will sterben, indem er dem Leben frönt. Er verkörpert das Prinzip der Zerstörung, des Chaos – aber wir brauchen diese Unordnung. Er erschafft damit seinen eigenen Mythos: eine Metapher für den Künstler an sich.“

Für Currentzis verwirklic­ht Mozart hier zudem drei archetypis­che Frauengest­alten: die Mutter, die Geliebte, die (göttliche) Zauberin. Patriarcha­t und jahrhunder­tealte Zumutungen den Frauen gegenüber hin oder her, Don Giovanni sei auch das Produkt einer Mutter: „Man sagt, Mütter würden Söhne erziehen, wie sie sie niemals zum Ehemann haben möchten.“Dass Castellucc­i 150 Salzburger­innen als „Feld des Begehrens“in seine Inszenieru­ng integriert, mache aus den anonymen Zahlen in Leporellos Register reale Personen. Das werde nicht irgendeine Produktion, sondern genau jene aus Anlass von 100 Jahren Salzburger Festspiele, ist Currentzis überzeugt, untrennbar mit diesem Ort verankert.

Ob Currentzis und Castellucc­i jene „Barbaren“sein werden, auf die wir warten? Premiere ist morgen, Montag.

 ?? APA/Barbara Gindl ?? „Er hat nicht die besten Arien, aber er wird uns sympathisc­h.“: Davide Luciano als Don Giovanni.
APA/Barbara Gindl „Er hat nicht die besten Arien, aber er wird uns sympathisc­h.“: Davide Luciano als Don Giovanni.

Newspapers in German

Newspapers from Austria