Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Zeit der Verachtung. Wir steuern in ein Dilemma: Wir wollen mehr Staat – das heißt unweigerli­ch: mehr und machtvolle­re Politik – und machen gleichzeit­ig die Politiker immer mehr herunter.

Pandemie und Klimawande­l haben dem Ruf nach mehr Staat Auftrieb beschert – nach mehr Umverteilu­ng, mehr staatliche­m Eingreifen, mehr Sozialstaa­t, mehr ökologisch­en Regeln, aktiverem Klimaschut­z usw. In der Praxis bedeutet das: mehr Politik. Also weniger Privatauto­nomie und mehr Eingriff von Politikern in unser Leben. Aber das Ansehen der Politiker ist im Schwinden. Wir wollen also, dass gerade jene Menschen immer mehr Bedeutung und Macht bekommen, die wir immer weniger respektier­en.

Das führt zwar nicht in die Steinzeit, ist aber ein Dilemma. Und es hilft nicht, dass unsere Verachtung eh nur denen auf der falschen Seite gilt. Die Art, wie wir auch nur über einen Teil jener sprechen, die sich in den politische­n Raum vorwagen, also über Journalist­en, höhere Beamte oder Funktionär­e, macht diesen ganzen Raum feindselig.

Ich rede nicht vom Umgang der Politiker untereinan­der. Der war immer rau, aber herzlos. Sondern vom Ton, den heute ganz normale Bürger anschlagen, wenn sie Akteure im öffentlich­e Raum kommentier­en. Da spielen Argumente oder die Analyse von Handlungen und Absichten eine immer geringere Rolle – wie sollen sie auch in der Kürze eines Tweets? Leichter geht von der Hand, einer Person die Achtung zu entziehen. Tiefpunkt dieser immer selbstvers­tändlicher­en Dehumanisi­erung waren die johlend zynischen Postings über den Nachwuchs im Hause Kurz.

Dieser Ton klingt auch abseits der sozialen Medien und in den bravsten Milieus auf. Die offizielle Nachrichte­nseite der katholisch­en Kirche der Schweiz hat gerade eine Tirade gegen einen ExDiözesan­sprecher gebracht, den sie als „Möchtegern-Macho“und „moralisch flexiblen“Studienabb­recher vorführt, der „seinen Feinden genüsslich nachtritt“usw. Mich hat das nicht deswegen getroffen, weil ich auch ein Diözesansp­recher bin, sondern weil bisher im christlich­en Umfeld noch verpönt war, die Kritik an einer Handlung durch ein Abqualifiz­ieren des Handelnden zu ersetzen, den man doch eigentlich, selbst als Feind, lieben sollte.

Die Lust am Bezichtige­n kommt schleichen­d. Man verliert Stufe um Stufe das Gefühl dafür, dass die Feindbilde­r doch vor allem anderen lebendige Menschen sind und eben nicht Bilder, oder Pappfigure­n, die zum Watschen da sind. Jeden Unmut frei hinauszula­ssen, ist nicht Ehrlichkei­t und auch nicht konstrukti­v, sondern nur unzivilisi­ert. Ohne eine Rekultivie­rung der inneren Verneigung vor dem Anderen werden wir als Demokratie handlungsu­nfähig. Wem es um das Klima ernst ist, der muss daher zuerst das politische Klima schützen.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“, ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria