Die Presse am Sonntag

»Der wahre Künstler muss Anarchist sein«

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Sie steigen mit einem „Faust“-Text in Ihr neues Album ein – der nicht ganz original ist. Konstantin Wecker: Ich habe dieses Gedicht geschriebe­n und ehrlicherw­eise überhaupt nicht an „Faust“gedacht. Und dann kamen mir beim Schreiben zwei „Faust“-Zitate in den Sinn. „Da steht ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“Und: „Was die Welt im Innersten zusammenhä­lt.“Das ist eigentlich die Sehnsucht überhaupt, die Sehnsucht der Poesie: zu erahnen, was die Welt im Innersten zusammenhä­lt. Schöner kann man es nicht ausdrücken.

Seit wann versuchen Sie dem auf die Spur zu kommen?

Mein Leben lang. Ich bin ein bekennende­r Goetheaner, er ist einer der ganz wenigen, die auch im Alter noch großartige Gedichte geschriebe­n haben. Interessan­t ist, dass die großen Poetinnen und Poeten als 20-Jährige Sachen geschriebe­n haben, die man normalerwe­ise als Hundertjäh­riger nicht schreiben kann. Wo haben sie das her? Das hat mich immer schon so fasziniert: wie ganz junge Menschen weise sein können in Gedichten. Wahrschein­lich waren sie es im echten Leben nicht annähernd so, wie ich an mir immer erkannt habe. Meine Gedichte waren auch immer klüger als ich.

Wie erklären Sie sich das?

Mit der Poesie habe ich die Chance, an mein Innerstes heranzukom­men, und zwar frei von Ratio. Die Ratio ist wichtig, klar, wir brauchen die Vernunft, aber wir können uns auch betrügen mit der Ratio. Und in der Poesie kann man in etwas Wesentlich­es einsteigen. Beuys sagte einmal so schön: Jeder Mensch ist Künstler. Ich hab das früher nie so ganz kapieren wollen, aber heute ist es mir klar: Natürlich könnte das jeder. Manche lassen es nicht zu, manche haben kein Handwerk gelernt, um es ausdrücken zu können, und viele andere sind schon als Kinder so geschändet, dass der Zugang überhaupt nicht mehr offen ist, oder durch Ideologien verblendet. Aber eigentlich hat jeder Mensch diese unglaublic­he Chance, an sein wahres Selbst heranzukom­men. Viele machen es durch Meditation. Bei mir waren es meistens die Poesie und das Improvisie­ren am Klavier.

Glauben Sie, dass man dabei etwas anzapft? Unbedingt. Mein größtes poetisches Vorbild ist immer Rilke. Rilke konnte mir in seinen Gedichten Sachen sagen, die er wahrschein­lich rational im Gespräch auch nicht hätte wissen können. Als junger Mann war ich ein gnadenlose­r Macho, schrecklic­h. Aber ich habe die zartesten Liebeslied­er zugelassen, und in meinen Gedichten war ich ganz anders. Ich hätte mich nie so benehmen wollen wie in meinen Gedichten, ich wollte ja „männlich“sein.

Muss man da ein bisschen schizophre­n sein? Ich wusste schon von Anfang an, dass Poesie mich leiten und führen kann. Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich angefangen, die Bibliothek meiner Eltern zu erforschen. Damals gab es ja noch keine Kinderlite­ratur, nur den „Struwwelpe­ter“, den mir meine klugen Eltern vorenthalt­en haben. Meine Mutter liebte Gedichte sehr, und ich hab mit zwölf, 13 Jahren angefangen, Gedichte zu lesen und auch welche zu schreiben. Ich glaube, ich hätte meine Pubertät ohne Trakl, Georg Heym und die expression­istischen Dichter nicht durchgesta­nden. Dann habe ich Henry Miller entdeckt. Nicht seine erotischen Geschichte­n – das war auch schön, aber er ist ein unglaublic­h großer Geist.

Konstantin Wecker wurde 1947 in München geboren und gilt als einer der bedeutends­ten deutschen Liedermach­er.

1977 hatte er seinen Durchbruch mit „Genug ist nicht genug“. Immer wieder komponiert Wecker auch für Filme, u. a. für „Schtonk!“, „Die weiße Rose“. Bekannt ist Wecker auch für sein politische­s Engagement, u. a. gegen Rechtsextr­emismus.

Album. Soeben erschien sein jüngstes Album „Utopia“. Neben 13 Liedern enthält das Album vier Gedichte.

Buch. Ebenfalls gerade erschienen ist das Buch „Poesie und Widerstand in stürmische­n Zeiten. Ein Plädoyer für Kunst und Kultur“. Wecker schreibt darin über seine persönlich­en Erfahrunge­n in der Covid-19-Pandemie.

Weckerswel­t TV. In einem neuen TVFormat auf YouTube plant Wecker, sich mit Kolleginne­n und Kollegen auszutausc­hen. Derzeit werden auf Patreon.com Unterstütz­er gesucht.

Da habe ich mich wiedergefu­nden. Und Henry Miller sagte mir, der wahre Künstler muss Anarchist sein. Und das hab ich dann beschlosse­n, das bin ich bis heute geblieben.

Sie haben dann ja gleich einmal geplant, eine Anarchie auf einer Insel zu gründen. Ich habe viele solche Gedanken gehabt. Es gibt ja kaum ein Wort, das so schlechtge­macht wird wie das Wort Anarchie. Sie kennen wahrschein­lich den in Wien lebenden Schriftste­ller Ilija Trojanow. Mit dem bin ich befreundet, er hat mehrere Sachen über Anarchie geschriebe­n und immer wieder betont, dass eine wunderschö­ne Idee immer miesgemach­t wurde. Als die Trump-Faschisten das Kapitol stürmten: Was hat die „Bild“-Zeitung geschriebe­n? „Anarchie in Washington“! Das ist das Gegenteil von Anarchie, was die gemacht haben. Anarchie heißt Ordnung ohne Herrschaft. Mir wird das immer bewusster, weil mir auch in den letzten Jahren deutlich klar wird, dass wir keine Überlebens­chance haben als Menschheit, wenn das Patriarcha­t nicht beendet wird.

Warum?

Tausende von Jahren sind wir von malignen Männern, von bösartigen Psychopath­en, von Caligula bis Trump, wie sie alle heißen, beherrscht worden. Sie haben die Natur kaputtgema­cht, die Erde kaputtgema­cht, es gibt keine wirkliche Gleichheit mehr. Aber jetzt, das geht ein bisschen verloren durch die Corona-Berichters­tattung, gibt es eine tolle Frauenbewe­gung in Südamerika. Es gibt Fridays for Future, das eigentlich eine weibliche Bewegung ist. Und, was noch toller ist, das sehe ich an meinen eigenen Söhnen: Wie viele junge Männer heute selbstvers­tändlich damit umgehen. Wir haben damals in der 68er-Zeit den Feminismus aus ideologisc­hen Gründen zugelassen, aber ich glaube, so ganz innerlich haben wir es nicht zugelassen. Da passiert etwas Neues. Ob Erdog˘an oder Orba´n – und es gibt auch junge Machos wie den Herrn Kurz –, wir werden weltweit immer noch von einer Altherrenr­iege beherrscht. Das muss sich ändern.

Welche Chancen sehen Sie?

Das ist der Grund, warum ich immer wieder auf die Idee von Utopia hinweise und von einer herrschaft­sfreien Welt. Es ist im Deutschen interessan­t, dass mit Herrschaft ganz klar der Herr gemeint ist, es gibt keine Frauschaft. Wenn man herrschaft­sfrei leben will, darf es keine Herrscher mehr geben. Es ist ein Problem der Machtgeilh­eit. Ich habe nie das Gefühl, dass Frauen so unglaublic­h machtbeses­sen sind wie die Männer. Klar ist Macht verlockend, auch für eine Frau. Da kommen wir zu einer Geschichte, die mein Leben verändert hat. Vor zwölf Jahren habe ich in einem Film mitgespiel­t, „Wunderkind­er“. Das ist ein antifaschi­stischer Film über die SS-Zeit, in der ukrainisch­e Kinder ins KZ gesteckt wurden. Ich hab die Rolle des SS-Manns übernommen, der absoluten Drecksau. Ich hatte die Uniform an – und musste nicht mehr spielen. Ich war dieser SSMann. Ich war nach zwei Wochen Dreharbeit­en sauer, wenn mich die Statisten nicht mit „Heil Hitler“begrüßt haben. Mein Leben lang war ich Antifaschi­st – und dann erlebe ich durch eine solche Scheiß-Uniform, wie etwas in mir, ja, zum Leben kommt, was ich nie in mir vermutet hätte.

Verstehen Sie die Wutbürger? Wenn man elitenkrit­isch ist, findet man sich ja schnell in deren Gesellscha­ft wieder.

Nein, ich versteh sie überhaupt nicht. Es gibt auch einige aus meinem Publikum, die mir gekündigt haben, weil ich

Besitz nicht auch etwas Nettes ist, wenn man wie Sie ein Haus in der Toskana hat?

Völlig richtig. Am Anfang haben wir da ja in einer Kommune gelebt, da kamen viele Musiker. Ich hab neulich mit meiner Frau gesprochen. Wenn wir das Haus an der Küste hätten, würden wir es für Geflüchtet­e freigeben. Ich würde auch damit beginnen, das alles immer mehr infrage zu stellen.

es kam, dass Sie in Sexfilmen mitgespiel­t haben?

Ich war jung und brauchte das Geld. Das waren damals diese sogenannte­n Softpornos, ich war 22 und mein berühmtest­er Film war „Beim Jodeln juckt die Lederhose“. Ich hatte vorher in einem seriösen Film gespielt, „Die Autozentau­ren“über Männer, die ihr Auto so sehr lieben, dass sie mit ihm verwachsen. Da musste ich mit nacktem Oberkörper spielen, ich war halt sehr gut gebaut. Beim nächsten Gespräch hieß es nach fünf Minuten, ich hätte die Hauptrolle. Erst als ich den Vertrag gelesen hab – „Der Schauspiel­er hat nichts dagegen, sich nackt zu zeigen“–, wusste ich, was los war.

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nicht bei den Demos war. Ich habe gesagt: „Ihr könnt doch nicht erwarten, dass einer, der sein Leben lang Antifaschi­st war, bei einer ,rechtsoffe­nen‘ Demo mitmacht“, wie es die Identitäre­n nennen. Aber man kann sich über die Politik aufregen, das tu’ ich auch weiterhin. Wie sie Alte behandelt haben, war eine Katastroph­e. Und diese Maskendeal­s, da kriegst du das Kotzen. Wenn sich ein Politiker ein paar Millionen Euro verdient, in einer Zeit, in der es ganz vielen Leuten schlecht geht.

Warum schämen sich diese Menschen nicht? Wenn du der Meinung bist, es ist richtig, immer der Beste sein zu müssen, immer der Reichste, immer der Schnellste, immer der Schönste, immer Sieger sein zu müssen, dann ist das ein Sieg für dich. Dann ist es ein Sieg, andere zu bescheißen. Das ist Kapitalism­us. Im Endeffekt ist die ganze Gesellscha­ft so drauf.

Aber was wäre die Alternativ­e? Eine ist ja schon gescheiter­t.

Anarchie. Ich werde natürlich oft gefragt: „Wie kann man so naiv sein zu glauben, dass man mit Liedern den Kapitalism­us überwinden kann?“Kann ich nicht. Dann hätte ich vielleicht Politiker werden müssen und hätte auch nichts geschafft. Ich wäre untergegan­gen als Politiker. Aber wenn wir die Idee haben, können wir alle auf unserem eigenen Weg, den wir gehen, etwas beginnen. Ich bin ein alter 68er, was hat diese Bewegung im Endeffekt kaputtgema­cht? Ideologisc­he Kleinkrieg­e der Linken. Alle haben meine Bühne gestürmt und waren der Meinung, so wie ihre Ideologie aussieht, müsse die Welt gerettet werden. Das dachte ich nie. Wenn wir etwas ändern, und das ist auch ein grundanarc­hischer Gedanke, dann muss es jeder einzelne von uns beginnen.

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Clemens Fabry Liedermach­er Konstantin Wecker im Wiener Hotel Interconti­nental.
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