Die Presse am Sonntag

Im »Emirat« der Taliban brodelt es

- VON ALFRED HACKENSBER­GER

In der Hand hält er einen Mini-Koran mit Goldschnit­t. Rechts am Sessel lehnt eine Kalaschnik­ow. Der Talib mit Bart und Turban schiebt eigentlich Wache an der afghanisch­en Grenze zu Usbekistan. Aber er ist so versunken in die heilige Schrift, dass ihn die Ankommende­n wenig kümmern. Er winkt sie müde weiter. Bei der Gepäckkont­rolle herrscht dagegen ausgelasse­ne Stimmung. Koffer und Rucksäcke werden scherzend durchwühlt. Danach gibt’s einen aufmuntern­den Klaps auf die Schulter, und es heißt: „Geht in Frieden!“

Die Ankunft im neuen „Emirat Afghanista­n“ist weit unkomplizi­erter, als man es erwartet hat. An Checkpoint­s grüßen die Krieger überschwän­glich freundlich und rufen: „Foto, Foto!“Bei jedem Bild mit den Ausländern aus dem Westen gackern die Taliban wie verspielte kleine Kinder. Man merkt an der sorglosen Ausgelasse­nheit: Sie sind am Ziel ihrer Wünsche angelangt. Nach 20 Jahren Kampf hat Amerika, ihr größter Feind, seine Truppen abgezogen und ihnen das Land überlassen. Die Taliban sind nun die neuen Herrscher Afghanista­ns und können es nach ihrer Fac¸on umkrempeln. Eine Regierung haben sie bereits gebildet. Die Geschlecht­ertrennung im öffentlich­en Leben ist auf den Weg gebracht. Musik und Frauen sind mittlerwei­le aus Radio und Fernsehen verbannt. Viel scheint nicht mehr zu fehlen, bis das Ideal ihres Gottesstaa­ts komplett ist.

Das Geld ist alle. Allerdings brodelt es an allen Ecken und Enden. Die ökonomisch­e Krise spitzt sich zu und steigert den Frust im Volk. Es fehlt massiv an Geld. „Auf der Bank gibt es nur noch 20.000 Afghani (rund 200 Euro) im Monat. Da kann man keine Geschäfte machen“, beschwert sich Lebensmitt­elhändler Ahmas Rischad auf dem Markt der Grenzstadt Mazar-i-Sharif. „Vor den Taliban habe ich Waren im Wert von 5000 Dollar in einer Woche verkauft. Heute sind es weniger als 500 Dollar.“

In vielen Orten wollen die Proteste von Frauen nicht enden, die sich gegen Schleier und ihre neue häusliche Rolle wehren. Auch sonst gibt es jede Menge

Dissidente­n. „Die Taliban verspreche­n das Blaue vom Himmel, nämlich einen moderaten Islam“, sagt Journalist Said Mohammed Ashemi im Zentrum von Mazar-i-Sharif. „Man darf ihnen nicht glauben.“Ashemi schrieb für die Website des mittlerwei­le geflohenen Präsidente­n Ashraf Ghani und ist nunmehr selbst auf der Flucht. „Ich bleibe höchstens einen Tag am selben Ort“, erklärt Ashemi mit einem Mundschutz vor dem Gesicht.

Die begehrten Jobs sind weg. Zu den Kritikern des neuen Regimes zählen auch ehemalige Mitarbeite­r der fremden Interventi­onsstreitk­räfte. Die Ortskräfte haben nicht nur ihren Job lieben gelernt, sondern vielfach auch westliche Liberalitä­t. Von ihnen konnte nur eine Minderheit mit Flugzeugen in Sicherheit und Freiheit fliegen. Tausende ExMitarbei­ter der fremden Truppen und NGOs harren im Land aus, dürften mit ihren Familien in Angst und Schrecken vor den Taliban leben. Darunter sind auch viele, die jahrelang für die deutsche Bundeswehr geschuftet haben. Sie bauten Wohnungen für Soldaten, kochten, wuschen Wäsche und reparierte­n Fahrzeuge. Sie hielten den Einsatz der Bundeswehr letztlich am Laufen.

„Ich habe 90 Prozent aller Wohnungsco­ntainer der Deutschen im Camp Marmal zusammenge­baut“, erzählt Rahmanulla­h. „Die Unterkunft eines einfachen Soldaten war 2,40 Meter mal sechs Meter groß. Die von Offizieren war dreimal so groß.“

Der 38-Jährige hat zehn Jahre für die Deutschen gearbeitet und war Chef des 16-köpfigen Teams des dortigen Containerw­ohnungsbau­s. „Oskar“nannten ihn die Deutschen. Der afghanisch­e Oskar hatte ein besonders gutes

Verhältnis zu Hans, dem Elektriker der Bundeswehr, und zu Kranführer Peter. „Als ihre Dienstzeit ablief und sie zurück nach Deutschlan­d mussten, haben sie geweint“, erinnert sich Rahmanulla­h wehmütig. „Heute ist meine Schulter kaputt von den vielen Sandsäcken, die wir auf die Dächer der Container gelegt haben“, sagt er und deutet auf seine rechte Schulter. „Am Ende haben sie uns einfach zurückgela­ssen.“Rahmanulla­h wäre am liebsten mit einem der Flugzeuge der Deutschen ausgefloge­n. „Aber niemand hat mich kontaktier­t“, sagt er betrübt. „Niemand wollte mir Papiere geben.“Als Vorsichtsm­aßnahme ist er aus seiner Wohnung ausgezogen. Jederzeit könnten ihn die Taliban als Kollaborat­eur verhaften.

Ähnlich erging es Hamidull. Er schuftete acht Jahre in der Wäscherei der Bundeswehr. „Wir hatten rund 1200 Waschmasch­inen, um jeden Tag Uniformen, Hemden, T-Shirts und Unterwäsch­e zu waschen und zu trocknen“, erzählt der 29-Jährige. „Aber zum Bügeln war das zu viel“, ergänzt er. „Das taten wir nur für hohe Offiziere.“

Alfred Hackensber­ger, Korrespond­ent der »Presse am Sonntag«, mit Taliban nach der Einreise aus Usbekistan im Grenzort Termez.

Hamidull wäre ebenfalls gern in einem Flugzeug nach Deutschlan­d gesessen. „Aber niemand kümmerte sich um mich“, sagt er und liefert eine mögliche Erklärung: „Ich war nicht direkt von den Deutschen angestellt, sondern von einem Unternehme­n aus Mazedonien, das die Bundeswehr beauftragt hatte.“Deshalb habe man ihm wahrschein­lich Ausreisepa­piere verweigert. Hamidull fühlt sich im Stich gelassen. Sein Leben ist in Gefahr.

Die Islamisten verspreche­n nach der Machtübern­ahme in Afghanista­n das Blaue vom Himmel. Das Volk bleibt skeptisch. Reportage aus Mazar-i-Sharif.

Taliban im deutschen Lager. Bei der Firma aus Mazedonien hatte er 900 Kollegen, die wie er bis zum Schluss auf der Basis arbeiteten. Auch sie konnten nicht ausreisen, sagt er. Hamidull hat eine dicke Akte mitgebrach­t voller Auszeichnu­ngen und Dankschrei­ben aus seiner Arbeitszei­t im Camp Mamal. Darunter ist eine Urkunde mit der Unterschri­ft von Generalmaj­or Hartmut Renk, dem Kommandeur der Hilfstrupp­e Train Advise Assist Command North (TAAC) von 2015 bis 2016 in Afghanista­n. Davon hat Hamidull heute wenig. Er fühlt sich verraten.

Camp Mamal liegt etwa 20 Fahrminute­n außerhalb von Mazar-i-Sharif. Die Basis steht heute noch so, wie sie die Bundeswehr im Juni verlassen hat. Kilometerl­ange Zäune mit Stacheldra­ht, Mauern, Wachtürmen, Lagerhalle­n, Start- und Landebahne­n. Heute bewachen langhaarig­e Taliban das Militärgel­ände. „Die Deutschen haben alles zurückgela­ssen“, sagt der übergewich­tige Kommandant mit Sturmgeweh­r in der

An Checkpoint­s grüßen die Krieger überschwän­glich und rufen: »Foto, Foto!« »Die Deutschen sind gute Menschen. Und ohne sie hat das Camp keine Seele.«

Hand auf einem ausrangier­ten roten Sofa vor dem Haupttor. „Fahrzeuge, Munition und etliches mehr“. Er grinst über das ganze Gesicht. Keine 100 Meter links hängt ein Schild an einem der Lichtmaste­n. „Die deutsche Regierung sollte das Leben ihrer ehemaligen Mitarbeite­r nicht ignorieren“, steht darauf eingerahmt in Schwarz-Rot-Gold.

„Die haben immer aufgeräumt.“„Man soll niemanden zurücklass­en“, sagt Rahmanulla­h verbittert. Bei der Fahrt entlang des Camps wird er sentimenta­l. Er erzählt von den Lagerhalle­n für Benzin, vom Containerb­ereich für Gäste, dem Verladepla­tz mit Kran und Straßen, die von der Bundeswehr neu gebaut wurden. „Sehen Sie, jetzt liegt überall Müll“, schimpft er, und zeigt auf die Grasfläche­n zwischen Zaun und erster Schutzmaue­r. „Bei den Deutschen gab’s das nicht, die haben immer aufgeräumt.“

Hamidull würde am liebsten wieder an seinen Arbeitspla­tz im Camp zurückkehr­en. „Aber nur, wenn die Deutschen wieder hier sind“, betont er. „Sie sind gute Menschen. Und ohne sie hat das Camp keine Seele.“

 ?? Sebastian Backhaus ?? In Burka gehüllte Bettlerin mit Kind in einer Marktgegen­d in Mazar-i-Sharif, Nordafghan­istan.
Sebastian Backhaus In Burka gehüllte Bettlerin mit Kind in einer Marktgegen­d in Mazar-i-Sharif, Nordafghan­istan.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria